Autonome Call-Girl-Ringe illegal

■ Immer mehr Prostituierte schließen sich in »Betreiberinnengemeinschaften« zusammen/ Telefonistin einer Zentrale wegen Zuhälterei verurteilt/ Interview mit einer, die Anschaffen geht

Moabit. Weil sie sich mit anderen Prostituierten zusammenschloß und für diese bei Freiern telefonisch Hausbesuche organsierte, wurde gestern die 38jährige Annette L. vom Landgericht zu 900 Mark Geldstrafe wegen Zuhälterei verurteilt. In erster Instanz war sie zu 3.500 Mark verurteilt worden. Zu dem Vorwurf, 1986 einen »Call-Girl-Ring« betrieben zu haben, hatte sie in beiden Prozessen die Aussage verweigert. Der Prozeß wurde gestern von zahlreichen Frauen und Mitarbeiterinnen der Prostituierten-Organisation 'Hydra‘ verfolgt. Ein Gespräch mit der Zuschauerin Marissa S. (Namen von der Redaktion geändert)

taz: Sie sind auch Mitglied in einem sogenannten »Call-Girl-Ring«, der von Prostituierten organisiert wird. Warum?

Marissa S.: So ein autonomer Zusammenschluß von drei oder vier Frauen hat viele Vorteile. Das funktioniert entweder so, daß sich alle Personen die Kosten teilen, oder daß die Betreiberin der Telefonzentrale alle Kosten trägt und man ihr einen Anteil von den Freiereinnahmen abgibt. Der zusätzliche Vorteil ist, daß an Tagen, wo das Geschäft sehr ruhig läuft oder man überhaupt nicht arbeiten will, die Verantwortung ganz bei der Betreiberin liegt.

Wo ist der Unterschied »zum Anschaffengehen« im klassischen Sinne?

Ich kann alles selbst bestimmen. Ich kann die Tage und die Anzahl der Stunden bestimmen, an denen ich arbeiten will. Es gibt lediglich bestimmte Vorgaben, die den Preis betreffen. In einem Laden ist es zum Bespiel üblich, dem Kunden als Minimium 150.- DM in Rechnung zu stellen. Diese Vorgaben werden von Polizei und Gericht dann immer wieder aufgegriffen, um den Paragraphen der Zuhälterei anzuwenden. In Wirklichkeit ist es aber absolut meine Sache, ob ich den Auftrag mache und wie ich ihn mache, und ob ich mehr Geld nehme oder nicht. Ich habe nie das Gefühl, daß die Betreiberin Druck auf mich ausübt.

Wieviel wird an die Betreiberin abgegeben?

Mittlerweile ist es so, daß in der Prostitution relativ wenig Geld verdient wird und die Kosten unheimlich hoch sind. Wenn 150 DM von Kunden genommen werden, gehen ungefähr 50 Mark an die Betreiberin. Vorausgesetzt, die Betreiberin hat fünf Mädchen, dann würden die Einkünfte pro Tag zwischen 250 und 1.000 DM liegen. Wobei die 1.000 sehr unrealistisch sind. Demgegenüber stehen Kosten für etwaige teilgewerbliche Räumlichkeiten. Dazu kommen ganz enorme Anzeigenkosten. Die kleinste Tagesanzeige bei Springer unter »Diverses« kostet schon 50 DM. Hinzukommen horrende Telefonkosten, zum Bespiel für Kontrollanrufe beim Freier.

Die Betreiberin sorgt also für die Sicherheit?

Sie sorgt durch Anrufe dafür, daß das Mädchen sicher vom Hausbesuch zurückommt. Würde ich das ganze allein von einer Wohnung aus machen, dann wüßte niemand wo ich hingefahren bin, und es gäbe keine Kontrolle, ob ich zurückkomme.

Wieviele Prostituierte haben sich mit einer Telefonistin zu autonomen Call-Girl-Ringen zusammengeschlossen?

Ich glaube, das alte Klischee des Zuhälters ist fast ausgestorben. Sich auf diese Art und Weise zu organisieren ist gang und gebe. Mir ist nicht bekannt, daß es in irgendeiner Richtung für die Frauen schlecht läuft. Hinter den den Anzeigen »Diverses« stecken bestimmt 150 bis 200 Adressen, wo sich Frauen auf so eine Art und Weise zusammengeschlossen haben.

Was bedeutet die Verurteilung wegen Zuhälterei für die weitere Arbeit?

Wir finden, daß der Tatbestand der Zuhälterei bei solchen Zusammenschlüssen nicht zur Anwendung gebracht werden darf. Wir hätten uns einen Freispruch für Annette gewünscht, weil wir unsere Arbeit gegenüber der Arbeit auf der Straße oder in einem Club, in dem Alkohol getrunken werden muß, rundweg als positiv ansehen. Das gibt den Frauen die Möglichkeit, die Prostitution auf eine saubere Art auszuführen. Aber auch, daß das Strafmaß herabgsetzt wurde, bringt uns ein kleines Stückchen vorwärts. Interview: Plutonia Plarre