EG-Integrationsprozeß als Opfer des Golfkrieges

■ Der britische Labour-Fraktionsvorsitzende im EG-Parlament, Glyn Ford, zur Problematik EG und Golf INTERVIEW

Die Europaparlamentarier haben vor einer Woche eine Resolution zum Golfkrieg verabschiedet, in der sie ihre Unterstützung für die alliierten Kriegsanstrengungen gegen den Irak mit der „Hoffnung“ verbinden, daß man diese „schnell beenden“ könne. Diesen Spagat setzte die Fraktion der Sozialisten und Christdemokraten mit 202 gegen 98 Stimmen der Grünen, Linken, Kommunisten und britischen Labour-Abgeordneten durch. Der britische Parlamentarier Glyn Ford gehört zu dieser Minderheit der „radikalen Pazifisten“ sowohl im EP als auch in der britischen Labour Party, die „sofortige und konkrete Schritte zur Beendigung des Krieges und zum Rückzug der irakischen Besatzungsmacht aus Kuwait“ fordern. Als Labour- Vorsitzender vertritt er jedoch offiziell die Mehrheitslinie. Die EP-Diskussion zum Golf wurde Mittwoch abend in Brüssel fortgesetzt, allerdings weitgehend ohne französische und luxemburgische Abgeordnete. Diese boykottieren die Debatten zum Golfkrieg in Brüssel, weil Plenumsversammlungen in Brüssel ein Exempel gegen Straßburg als Hauptsitz des Europaparlaments setzen würden. In Brüssel finden bislang lediglich die Ausschuß- und Fraktionstreffen der ParlamentarierInnen statt, in Luxemburg ist die Verwaltung untergebracht. Eine Mehrheit der Abgeordneten plädiert schon seit einiger Zeit dafür, den teuren und ineffektiven Wanderzirkus zu beenden und das Parlament ganz nach Brüssel zu verlegen. Dies stößt allerdings auf erbitterten Widerstand der französischen und luxemburgischen Regierungen. Immerhin hatte der erweiterte EP-Vorstand im September durchgesetzt, daß in Ausnahmefällen auch in Brüssel Plena stattfinden dürfen. Von diesem Ausnahmefall wird wegen des Golfkriegs zur Zeit Gebrauch gemacht.

taz: Was sagen Sie zu dem Boykott der Golf-Debatten in Brüssel durch französische und luxemburgische Abgeordnete?

Glyn Ford: Das ist ziemlich absurd, denn es ist wichtig, daß das Europaparlament an diesen Themen dran bleibt. Dies ist zur Zeit nur in Brüssel möglich, weil unsere Gruppensitzungen hier stattfinden. Außerdem ist es völlig aberwitzig, daß die Sitzfrage des Europaparlaments mit den Debatten zum Golfkrieg verknüpft wird.

Das Parlament macht sich dadurch vollends lächerlich. Kann die Sitzfrage nicht endlich geklärt werden?

Es wird gerade ein Konferenzzentrum in unmittelbarer Nachbarschaft dieses Parlamentsgebäudes gebaut. Wenn dieses Zentrum fertiggestellt ist, werden sicher immer häufiger Sondersitzungen des Europaparlaments dort stattfinden.

Ein ganzes Viertel alter Häuser wurde zerstört, um dieses Konferenzzentrum zu bauen...

Das war eine Brüsseler Entscheidung. Daran läßt sich jetzt nichts mehr ändern.

Muß nicht bald die Entscheidung getroffen werden entweder für Straßburg oder Brüssel? Der Wanderzirkus macht das Parlament doch völlig ineffektiv.

Ja, die richtige Entscheidung wäre, alles entweder nach Straßburg oder Brüssel zu verlegen. Ich denke, der logische Ort wäre Brüssel, weil dort auch die beiden anderen wichtigen EG-Institutionen, die Kommission und der Rat, sind, mit denen wir viel zu tun haben. Leider können sich die EG- Regierungen nicht entscheiden...

Und die Parlamentarier, warum beschließen sie nicht einfach, wo sie ihre Sitzungen abhalten wollen?

Dies wird passieren, sobald wir Konferenzräume in Brüssel haben, die groß genug sind.

Wie erklären Sie, daß das Parlament trotz der Friedensrhetorik, die auch heute die Debatte bestimmte, letzte Woche eine Resolution verabschiedete, die die westlichen Kriegsführer unterstützt?

Es gibt meiner Ansicht nach drei Alternativen: ein sofortiger Waffenstillstand ohne eine Übereinkunft mit Saddam Hussein würde diesen zum jetzigen Zeitpunkt lediglich stärken; eine bedingungslose Kapitulation, wie sie die US-Amerikaner offensichtlich anstreben, wäre auf der anderen Seite absolut daneben, denn dies würde zu einem wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Desaster auf Weltmaßstab führen. Die dritte Variante, wie sie das Parlament vergangene Woche forderte, scheint im Moment am meisten Sinn zu machen: Sobald Hussein sich zum Rückzug aus Kuwait bereit erklärt, können wir einen Waffenstillstand haben.

Dies scheint er ja nicht vorzuhaben. Die Hoffnungen auf eine schnelle Beendigung des Krieges sind doch illusionär...

Ich war dagegen, daß der Krieg begonnen wurde. Man hätte Sanktionen und Diplomatie eine Chance geben sollen, den Konflikt zu lösen. Aber jetzt, wo der Krieg einmal begonnen hat, halte ich einen Waffenstillstand ohne die Zusage Husseins, aus Kuwait abzuziehen, für falsch. Dies würde andere Miniimperialisten auf der ganzen Welt wie Kaschmir, Belize oder Indonesien nur ermuntern, ihre Nachbarländer zu überfallen.

Eines der Opfer des Golfkriegs ist der EG-Integrationsprozeß...

Es ist zum großen Teil Schuld der britischen Regierung. Sie hat ihre Kriegspolitik nicht wirklich mit dem Rest der Gemeinschaft abgestimmt, beklagt sich jetzt aber, daß die Gemeinschaft sie im Stich läßt. Ich denke, wenn man eine gemeinsame europäische Position haben möchte, muß man auch mit der Möglichkeit rechnen, daß die gemeinsame Position von der eigenen abweicht. Dies scheint für die britische Regierung jedoch unbegreiflich. Deswegen fordern wir: Die politische Integration muß parallel zur wirtschaftlichen Vereinheitlichung dringend beschleunigt werden.

Wird der wirtschaftliche Integrationsprozeß der EG durch den Golfkrieg langfristig nicht in Frage gestellt?

Es wird sicher schwieriger, wenn der Krieg länger andauert. Die Konsequenz ist absehbar: ein wirtschaftliches, ökologisches und politisches Desaster, das die internationalen Beziehungen sehr vergiften wird.

Sie fordern in Anlehnung an das Rote Kreuz die Einrichtung eines Grünen Kreuzes...

Ja, dies ist ein Vorschlag aus dem Umweltausschuß. Es gibt zur Zeit ja mindestens zwei Umweltkatastrophen am Golf — den Ölteppich und radioaktive Verseuchung durch die Bombenangriffe auf Nuklearanlagen. Deswegen fordern wir, daß Leute mit demselben Schutz ausgestattet werden sollen wie Sanitäter des Roten Kreuzes, um gegen diese Umweltprobleme etwas zu unternehmen. Das Interview führte Michael Bullard