St.-Florian-Prinzip

Meine Schwester und mein Bruder leben in Tel-Aviv, ebenso wie mehrere andere Verwandte von mir. Sie werden von irakischen Raketen genauso bedroht wie etwaige Freunde und Verwandte von Benny Peiser und Henryk M.Broder. Ich nehme mir daher das Recht heraus zu sagen, daß ich deren Meinung nicht teile. [...]

Die Vorwürfe der israelischen Regierung an die Friedensbewegung sind unbegründet. Die Vorwürfe der israelischen Regierung an die deutsche Regierung sind begründet, haben aber offensichtlich den Sinn, von der israelischen Mitschuld an dieser Katastrophe abzulenken. Dazu einige Fragen:

Hat die israelische Regierung zu Zeiten des irakischen Angriffs auf den Iran etwas gegen die deutsche und internationale Unterstützung des Iraks gehabt? Hat die israelische Öffentlichkeit nicht im Gegenteil diesen Krieg begrüßt? (Mit dem Argument: „Solange die sich streiten, lassen sie uns in Ruhe“ — was ja durchaus stimmte.) Insbesondere: Hat die israelische Regierung irgendetwas gegen deutsche Giftgaslieferungen an den Irak gehabt? Wo blieb die Stimme der israelischen Regierung, die nun behauptet, es laufe ihr allein bei dem Wort „Gas“ ein Schauder über den Rücken, als dieses Gas zum Massenmord gegen die Kurden eingesetzt wurde? Konnte man nicht vom Staat der Überlebenden von Auschwitz verlangen, daß er seine sämtlichen Möglichkeiten einsetzt, um Maßnahmen der Völkergemeinschaft gegen dieses Abbild von Auschwitz zu erwirken? Embargo nur wegen Erdöl, nicht wegen Völkermord?

Weiter: War denn die israelische Regierung irgendwie besser als die deutsche Regierung, was die Unterstützung von Diktaturen betrifft? Gibt es nicht eine jahrzehntelange enge Zusammenarbeit von Israel mit Südafrika? Was treiben israelische Ausbilder in allen möglichen Kleindiktaturen Lateinamerikas und Afrikas? Das ganze Verhalten der israelischen Regierung ist doch offensichtlich von einem Prinzip geleitet, das man in Bayern so nennt: „Heiliger St.Florian, verschon' mein Haus, zünd' andre an.“

Und noch etwas sehr wesentliches, was die israelische Regierung nicht auf die deutsche Regierung abwälzen kann: Ohne die jahrzehntelange Unwilligkeit der israelischen Regierung zu einer gerechten Lösung der Palästinafrage, ohne insbesondere die bornierte und kurzsichtige Hau-drauf-Reaktion auf die Intifada, ohne die — jawohl Herr Geisel— offen rassistische Mentalität der Kahanisten und Gusch Emunim, die von der israelischen Regierung mit Glacéhandschuhen angefaßt wurden, ohne all dies hätte Saddam Hussein nicht die Argumente und die Unterstützung bekommen, die er nun hat: ohne all dies hätte es die jetzige Krise nicht in dieser Form gegeben. Schlicht: Daß dieser Krieg da ist, hat sehr viel mit dem ungelösten Palästinaproblem zu tun.

Zum Schnee von gestern: Es hätte Alternativen zum Krieg gegeben. Ich teile die Meinung von Konrad Weiss, daß jede Lösung schlecht gewesen wäre, die Saddam Hussein an der Macht und das irakische Militärpotential intakt gelassen hätte. Ich teile auch die Meinung von Bush, daß Saddam Hussein nicht belohnt werden dürfe, indem man mit ihm einen Tausch Kuwait gegen Palästina macht. Also hätte man doch folgendes machen können: 1.Intensivierung des Embargos, Stichwort: Zollfahndung, Wirtschaftskriminalität und vor allem effektive Einschnürung des Irak, 2.Verschärfung der Embargoforderungen: Nicht nur Rückzug aus Kuwait, sondern: Rücktritt von Saddam Hussein, Demontage des irakischen Militärs, 3.politische Absicherung des Embargos: Sämtliche Nachbarn des Iraks müssen das Embargo bedingungslos unterstützen, also auch Syrien, Jordanien und der Iran. Ohne das geht es nicht, da die deutschen Waffenlieferungen an den Irak sonst wie gehabt einfach als Luftfracht nach Amman deklariert werden. Die bedingungslose Unterstützung dieser Staaten ist sehr einfach zu haben. Stichwort: Aufnahme von Arafat in die israelische Regierung. Will sagen: klare Maßnahmen zur Lösung der Palästinenserfrage, die ebenso unwiderruflich sein müßten, wie Iraks Abrüstung. Dies wäre zu machen mit einer Nahost-Konferenz. Saddam würde nicht belohnt, da er zurücktreten müßte. [...]

Das einzig erfreuliche in diesen katastrophalen Zeiten war die klare Aussage von Mitterrand zwei Tage vor dem 15.Januar: Komme was da wolle, man werde eine Nahost-Friedenskonferenz durchführen. Er drückte die einfache Wahrheit aus, daß ohne eine Lösung der Palästinafrage niemals Frieden im Nahen Osten einkehren wird. Man wird die israelische Regierung dazu zwingen müssen. Das bedeutet jetzt: Man soll ihr die Patriotrakete geben, die sie braucht, und ihr die Vorwürfe machen, die sie verdient. [...] Dr.Rolf Verleger, Lübeck