Kritik an Bonner Steueropfer-Politik

Oppositionsparteien zerpflücken Kohls Regierungserklärung/ Kritik an unsozialer Steuerpolitik/ Die versprochene „Solidarität der Wohlhabenden“ geht zu Lasten der Bevölkerung der Ex-DDR  ■ Aus Bonn Tina Stadlmayer

Die RednerInnen der SPD, des Bündnis 90 und der PDS zerpflückten gestern in der Bundestagsdebatte zur Regierungserklärung das Eigenlob und die wohlklingenden Versprechungen des Bundeskanzlers. Werner Schulz vom Bündnis 90 schilderte das soziale und wirtschaftliche Desaster in den neuen Bundesländern: die Zahl der Arbeitslosen sei auf 1,5 Millionen gestiegen, die „Leistungsfähigen“ wanderten in den Westen ab, der Aufbau der Verwaltungen werde durch die schlechte Bezahlung der Leute erschwert, die Länder und Kommunen seien finanziell am Ende. Der Bundesregierung warf er vor, „in einer Zeit, in der die Solidarität der Wohlhabenden gefordert ist“, die Vermögenssteuer zu streichen und höhere Beiträge für die Arbeitslosenversicherung zu kassieren. Zudem setze die Regierung auf „wirtschaftliche Expansion zu Lasten der Umwelt“ und verschreibe sich damit dem „Teufelskreis von Umweltzerstörung und -reparatur.“

Nur unter dem lauten Gelächter einiger CDU-Abgeordneter und von dauernden Zwischenrufen unterbrochen, konnte der ehemalige DDR- Ministerpräsident und jetzige PDS- Abgeordnete Hans Modrow seine Rede beginnen. „Trotz des Booms im Westen“ gehe die „wirtschaftliche Talfahrt im Osten“ weiter. „Die einen verdienen, die anderen verlieren“, klagte er an. Modrow kritisierte, die meisten ehemaligen DDR- Firmen würden in den Konkurs getrieben, und die westdeutschen Unternehmen bekämen die „Filetstücke“ von der Treuhand „zum Nulltarif“.

Als er auf sich selbst zu sprechen kam, wurde es zunächst leise im Bundestag: Er sei vor eineinhalb Jahren zunächst als „Reformer“ hofiert worden. Heute begegne man ihm mit Intoleranz und Ausgrenzung. Das Gegröhle auf den CDU-Bänken ging wieder los, als Modrow forderte: „Andersdenkende sollten sich gegenseitig ertragen und tolerieren.“ Auch der SPD-Vorsitzende Hans- Jochen Vogel prangerte in seiner Rede die Situation in den neuen Bundesländern an. Er wiederholte die SPD-Forderung, die Kosten der Einheit durch eine Ergänzungsabgabe zu finanzieren. Die geplante Aufhebung der Vermögenssteuer, das Anheben der Telefongebühren und der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bezeichnete er als unsozial. Der Golfkrieg müsse jetzt als Ausrede für weitere Steuererhöhungen herhalten, obwohl „der Finanzbedarf zur Vollendung der Einheit“ viel höher sei als der Beitrag zum Golfkrieg.

Die finanzpolitische Sprecherin der SPD, Ingrid Matthäus-Maier, schlug in dieselbe Kerbe. Sie warf dem Kanzler einen „klaren Bruch seiner Versprechen“ vor. Er trage damit zu dem verbreiteten Bild bei, „daß alle Politker lügen“. Die Regierung erhöhe die Steuern und werfe zur selben Zeit „das Geld zum Fenster hinaus“: Sie schaffe neue Ministerien und stelle zahlreiche zusätzliche Staatssekretäre ein. Sie bezeichnete es als unsozial, daß ein Spitzenverdiener-Ehepaar ohne Kinder durch Splitting im Monat fast 1.900 Mark Steuern spare, während das Kindergeld nur um 20 Mark im Monat erhöht werde. Außerdem sei es ein Skandal, daß nur die Familien für die vergangenen Jahre weniger Steuern zahlen müßten, die ihre Steuerbescheide angefochten hätten.

Finanzminister Theo Waigel gab zu, daß dies keine gute Lösung sei, er halte sie aber „für vertretbar“. Ansonsten verteidigte und lobpreiste er die „großen finanzpolitischen Leistungen“ der Bundesregierung. „Alle Instrumente der bewährten Steuer- und Wirtschaftspolitik“ seien angewendet worden, um den Aufschwung in den neuen Bundesländern herbeizuführen. „Es gibt keinen Grund, die Situation der öffentlichen Haushalte zu dramatisieren“, sagte er. Und: „Zumutbare und begrenzte Opfer im Rahmen der Tarif- und Steuerpoltik“ könnten von den Leuten schon verlangt werden.