Der Iran laviert nach allen Seiten

■ Die Landung der irakischen Flugzeuge läßt der Führung des Irans viele Optionen offen/ In Teheran werden Delegationen aus dem Irak, Frankreich, Algerien und Jemen erwartet: Beginn einer Vermittlungsoffensive?

Die iranische Regierung, die immer wieder ihre Neutralität im Golfkrieg beteuert, hat in der Frage der in ihrem Land „geparkten“ irakischen Flugzeuge eine Gratwanderung zwischen den USA und der UNO, Saddam Hussein und der inneren Opposition eingeschlagen. Gelingt es ihr, diesen Kurs durchzuhalten, dann läßt er der Teheraner Führung zugleich verschiedene langfristige Optionen offen. Pikant und ein Signal dafür, daß der Iran nicht willens ist, seine im Zuge des Krieges verbesserten Beziehungen zum Westen erneut aufs Spiel zu setzen, sind die jüngsten Demarchen bei der UNO. In einem Schreiben an Generalsekretär Javier Perez de Cuellar protestierte der iranische UNO-Botschafter Kamal Kharrazi gegen die Landung mehrerer irakischer Militärflugzeuge im Iran. Außerdem bat der Iran die UNO höchst offiziell um Erlaubnis, die unter den Folgen des Krieges leidende irakische Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten beliefern zu dürfen.

Vor Ort jedoch schuf man ungeachtet dieser Vorstöße längst Fakten. Bereits vor einigen Tagen wurden Lieferungen von Lebensmitteln und Medikamenten an den Irak angekündigt. Dreh-und Angelpunkt der iranischen Golfpolitik sind jedoch derzeit die irakischen Flugzeuge, die im Iran gelandet sind. Der britische Fernsehsender Sky-TV berichtete am Donnerstag, etwa 200 irakische Flugzeuge seien an einem „Pendelverkehr“ über die Grenze beteiligt. Nach Angaben des US-Oberkommandos in Riad gibt es jedoch keinerlei Hinweise auf hin- und herfliegende Flugzeuge.

Der Leiter der geopolitischen Forschungsabteilung des Londoner Instituts für orientalische und afrikanische Studien, Dr. McLachlan, der sich zwischen dem 17. und 24. Januar in Teheran aufhielt, berichtete in einem Interview mit der französischen Tageszeitung 'Libération‘, er habe auf dem Teheraner Flughafen Mehrabad mindestens ein Dutzend irakische Zivilflugzeuge gesehen. Iranische Quellen sprächen von 46 Militärmaschinen, die seither eingetroffen seien. Einige ständen in Teheran, die meisten aber in Hamadan und Dezful. Bei den Maschinen handelt es sich um das Beste, was der Irak zu bieten hat: Flieger der Typen Mig 29, Mirage F-1, SU 24 sowie zwei der drei Aufklärungsflugzeuge vom Typ Iljuschin 76.

Wenn Saddam Hussein jetzt seine Kampfflugzeuge im Nachbarland in Sicherheit bringt, dann vielleicht auch deshalb, weil sie nach der Zerstörung des irakischen Radarsystems nur noch begrenzte Einsatzmöglichkeiten haben. Den Aussagen McLachlans zufolge gab es offenbar — wie im Falle Mauretaniens, des Jemens und des Sudans auch — bereits vor Kriegsbeginn eine Abmachung zwischen Bagdad und Teheran, für die Dauer der Kämpfe zivilen Flugzeugen die Landung zu gestatten. Seinen Angaben nach waren die Iraner gar nicht entzückt, daß plötzlich auch Militärmaschinen landeten. Sie hätten zunächst auch versucht, ihnen die Landung zu verweigern.

Vorteile für den Iran wie für den Irak

Die Massenflucht der irakischen Kriegsmaschinen bringt für alle Seiten offensichtliche Vorteile. Für den Irak, weil sie vor Angriffen sicher sind. Für die USA, weil sie nicht in den Krieg eingreifen werden — das hat der Iran ausdrücklich zugesichert. Und für den Iran, weil er damit ein Faustpfand gegenüber dem Irak in der Hand hält. In der iranischen Innenpolitik schließlich, wo die Radikalen um den ehemaligen Innenminister Mohthaschemi einen Kriegseintritt auf seiten des islamischen Landes Irak gegen den „großen Satan“ USA fordern, kann Präsident Rafsandschani gleich auf zwei Gesten gegenüber dem Nachbarland verweisen: die Beherbergung der Flugzeuge ebenso wie die Lieferungen humanitärer Güter.

Gleichzeitig hat der Iran offenbar eine neue Vermittlungsinitiative gestartet. Wie die iranische Nachrichtenagentur 'Irna‘ gestern meldete, wurden noch für den Donnerstag Delegationen aus Frankreich, Algerien, Jemen und dem Irak in Teheran erwartet. Die irakische Delegation soll von dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Saadun Hammadi geleitet werden. Sollten sich diese Meldungen bestätigen, wäre es das erste Mal seit Kriegsausbruch, daß es Kontakte zwischen einem westlichen Land und der irakischen Führung gibt.

Der Iran hat ein starkes Interesse daran, seine Neutralität zu beweisen und einer Ausweitung des Krieges vorzubeugen. Zum einen hat das Land sich von dem achtjährigen Krieg gegen den Irak noch nicht erholt. Zum anderen bezeichnete Präsident Rafsandschani einen möglichen Kriegsantritt als „selbstmörderisch“, weil ein solcher Schritt Angriffe der USA nach sich ziehen könnte. Drittens bedrohen die Ölteppiche im Golf bei ungünstiger Windrichtung auch iranische Anlagen. Und schließlich wird mit den massiven Bombardements des Nachbarlandes auch der ehemalige Kriegsgegner und Konkurrent um die Vorherrschaft am Golf geschwächt.

Im Zentrum der iranischen Überlegungen steht jedoch die Türkei. Die iranische Führung hat sich mehrfach dafür ausgesprochen, die territoriale Integrität des Iraks nicht anzutasten — eine deutliche Warnung an die Adresse Özals. Denn im Falle eines türkischen Kriegseintritts befürchtet Teheran, daß die Führung in Ankara sich ein Stück des Iraks, namentlich die ölreiche kurdische Region um Mossul und Kirkuk, unter den Nagel reißen könnte. Damit aber würde das Gleichgewicht in der Region nachhaltig verschoben.

Bislang, so scheint es, geht das Lavieren Teherans auf. Die Islamische Republik hat für alle Eventualitäten vorgebaut. Überlebt das System Saddams den Krieg, kann der Schutz der Flugzeuge und die Lieferungen an den Irak als Brücke für weitere Kontakte nach Bagdad dienen. Im gegenteiligen Fall kann Teheran darauf verweisen, daß man die irakische Invasion in Kuwait verurteilt habe, daß die irakischen Piloten interniert und die Flugzeuge bis zum Ende der Kämpfe „sichergestellt“ wurden. Was tatsächlich aus ihnen wird, bleibt offen. Zum einen, weil die Maschinen gewartet werden müssen, um funktionsfähig zu bleiben, zum anderen, weil die Ayatollahs auf den Gedanken kommen könnten, ihre Luftwaffe durch dieses plötzliche Geschenk etwas aufzustocken. Beate Seel