Vergessener Unterhalt für Kinder

■ Selbsthilfeverein SHiA warnt: Alleinerziehende Mütter und Väter werden zu Sozialfällen

Berlin — In den neuen Ländern haben Kinder, deren Eltern getrennt leben, Pech gehabt: der Einigungsvertrag hat sie vergessen. Von Mecklenburg-Vorpommern bis Thüringen leisten geschiedene Männer (seltener Frauen) keinen Beitrag zum Unterhalt des Nachwuchses, den der andere Ehepartner alleine erziehen muß. Um den zustehenden Unterhalt zu erhalten, müssen alleinerziehende Elternteile dem zuständigen Jugendamt erstens die Adresse des unterhaltspflichtigen anderen Elternteils besorgen und zweitens auch noch belegen, über wieviel Einkommen der Unterhaltspflichtige verfügt. Weil dies häufig nicht möglich ist, kritisierte jetzt die Vereinigung der Selbshilfegruppen Alleinerziehender (SHiA), müßten Einelternfamilien häufig alleine für den Unterhalt ihrer Kinder aufkommen. Sie erhalten nach der Unterhaltssicherungsordnung eine staatliche Beihilfe in Höhe von lächerlichen 60 Mark.

Und selbst wenn die notwendigen Angaben dem Jugendamt gemacht werden können gibt es in den neuen Ländern nicht das übliche Unterhaltsgeld. Denn die Ministerien für Justiz und für Familie und Frauen haben noch keine dafür notwendigen Unterhaltstabellen erstellt. Gisela Decker, Vorstandsvorsitzende von SHiA, erklärte der taz, daß ihr Verein die Ministerien schon lange auf den Mißstand aufmerksam gemacht habe. „Nur die Landesregierung von Thüringen hat auf unser Schreiben geantwortet“, stellte sie enttäuscht fest. Die sollen aber auch nur geantwortet haben, daß sie „so viel zu tun“ hätten.

Wenigstens im Ostteil Berlins steht es um die Finanzen Alleinerziehender nicht ganz so schlecht. Die Gesamtberliner Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie hat eine „Berliner Tabelle“ aufgestellt. Die Höhe der Unterhaltspflicht ist allerdings nur sehr schwer zu errechnen, da sie möglichst jedem Kind und dessen Eltern gerecht werden soll. Trotzdem zwei Beispiele für Ost- Berlin:

Bleiben dem geschiedenen Unterhaltspflichtigen nach Abzug des zu zahlenden Unterhaltes 650 Mark seines Nettoeinkommens, muß er für ein Kind bis ins sechste Lebensjahr 165 Mark, bis ins 12. Lebensjahr 201 Mark und bis ins 18. Lebensjahr 237 Mark zahlen. Für ein 11jähriges Kind sorgt die Mutter. Der geschiedene Vater ist wieder verheiratet, die Ehefrau nicht berufstätig, und er hat ein Kind aus der neuen Ehe. Er lebt zusammen mit seiner Familie ebenfalls im Ostteil Berlins. Sein auf einen Monat umgerechnetes Nettoeinkommen beträgt 1.800 DM. Dann muß er an die alleinerziehende Mutter für sein 11jährigen Kind 236 Mark bezahlen.

Die Unterhaltszahlungen seien besonders dringend, betonte Decker, da die Streichung der Subventionen vor allem zu Lasten von Alleinerziehenden geht. Da Familien von Kindern größere Wohnungen brauchen, spüren sie die Preiserhöhungen für Miete, Strom, Wasser und Heizmaterial als erste. Auch die Kosten für die Kinderbetreuung, für Fahrpreise und kulturelle Angebote haben sich häufig vervielfacht. Alleinerziehende sind auch dadurch benachteiligt, weil sie weder an Schichtarbeit noch an weiterqualifizierenden Abendkursen teilnehmen können. Außerdem sollen ab 1. Juli dieses Jahres die Kommunen — und nicht mehr der Bund — die Kinderbetreuungseinrichtungen finanzieren. Zusätzlich würden Alleinerziehende in kurzarbeitgefährdeten Betrieben schneller arbeitslos, so Decker, da sie seltener als andere Mitarbeiter in der Lage sind, Außendienste und Sonderschichten zu übernehmen. Weil auch Stellenangebote in den Tageszeitungen der neuen Ländern Alleinerziehende häufig — sittenwidrig — ausschließen, sei bei Einelternfamilien die Gefahr besonders groß, arbeitslos zu bleiben.

SHiA forderte deshalb diese Woche erneut von den Ministerien der neuen Länder, so schnell wie möglich eine Regelung für die Unterhaltszahlung zu finden. Nach den Informationen des Vereins ist jede fünfte Familie in der ehemaligen DDR eine Einelternfamilie. Dirk Wildt

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