Orientalische Bühne: Krieg würde die Türkei zurückwerfen

Die Türkin Gülbahar Kültür stammt aus Istanbul. Sie ist Lyrikern, Übersetzerin, Studentin, Taxifahrerin und lebt seit 1979 in Bremen.

taz: Jetzt sind schon wieder Bundeswehr-Soldaten auf dem Weg in die Türkei. Findest Du auch, daß Dein Land verteidigt werden muß?

Gülbahar Kültür: Ich denke nicht, daß das Aufgabe der Deutschen ist. Ich wüßte auch nicht, daß das Land überhaupt zu verteidigen ist. Wenn die türkische Regierung sich in den Krieg stürzen will, dann kann das kein Grund sein, das Land zu verteidigen — und schon gar nicht von ausländischen Truppen.

Aber Israel wird auch vom Irak bombardiert, obwohl es sich in diesen Krieg noch nicht eingemischt hat...

Das finde ich auch bewundernswert. Aber die türkische Regierung ist ja gerade scharf darauf, daß eine kleine Bombe auf die Türkei fliegt. Die reicht schon, um eine Rechtfertig für die Teilnahme am Krieg zu haben. Das ist das Gefährliche.

Ich verfolge auch die türkische Presse und glaube, daß die meisten in der türkischen Bevölkerung das nicht befürworten, weil die Türkei einen Krieg gar nicht tragen kann. Wenn es dort Krieg gibt, wird das Land immer um 50 Jahre zurück versetzt.

Was meinst Du mit zurückversetzt?

Alles, was die Wirtschaft betrifft. Die Arbeitslosigkeit ist ja bekannt und die letzten Streiks zeigen auch, wie es den Leuten geht, die noch arbeiten. Das Arbeiterleben hat nie einen richtigen Fortschritt erfahren. Es wird immer wieder zurückgeschraubt — und sei es durch Putsch.

Aber hat die Nato-Mitgliedschaft die Türkei nicht eher an Westeuropa gebunden?

Na ja, die Türkei will ja immer an Europa gebunden sein — militärisch, ökonomisch. Der Wunsch in die EG reinzukommen, ist ja seit Jahren bekannt.

Will das auch die Bevölkerung?

Das ist schwer zu sagen. Man muß ja sehen, was in dem Land los ist: Viele können ihre Meinung überhaupt nicht sagen, wie kann man dann wissen, ob sie in die EG wollen. Es gibt ja fast überall Meinungs- Zensur.

Gibt es viele Türkinnen und Türken, die sich zur Zeit in Bremen in den Friedensaktionen engagieren?

Ich denke schon. Ich habe viele gesehen, die ich früher nie gesehen hatte, besonders viele türkische Frauen.

Hat das auch damit zu tun, daß Ihr Angst habt, selber von dem Krieg betroffen zu sein?

Soweit habe ich gar nicht gedacht. Aber die Angst ist natürlich da. Ich finde es auch nicht schlimm, wenn die Leute aus eigener Angst handeln. Das ist auf jeden Fall positiver, als wenn sie schweigen würden. Und wenn das von einigen Egoismus genannt wird, dann ist mir das egal. Es geht in erster Linie darum, diesen Krieg zu stoppen und nichts anderes.

Wenn es jetzt eine direkte militärische Zusammenarbeit Deutschland-Türkei gibt, gibt es dann auch eine Zusammenarbeit der Friedensbewegungen?

Soweit ich weiß, ist es im Moment ganz schwer, in der Türkei öffentlich aufzutreten — in einer Zeit, in der die Regierung um ihren eigenen Kopf fürchtet. Man hat ja gesehen, wie die demonstrierenden Arbeiter-Massen zurückgeschlagen worden sind.

Wenn ich in der Türkei anrufe, höre ich immer wieder, daß sie dort nichts außer CNN erfahren können. Immer wenn es dann um die türkischen Nachrichten geht, gibt es plötzlich eine Störung. Das kann ja kein Zufall sein. Es gibt einfach keine konkreten Informationen. Die gibt es hier zwar auch nicht, aber die Zensur wirkt dort noch stärker.

Hast Du Hoffnung, daß nach dem Krieg für die Türkei auch etwas Positives herauskommen könnte?

In Form eines Krieges nicht. Ich kann mir vorstellen, daß es danach erstmal viele Sanktionen geben wird. Aber das wird auch Widerstand auslösen. Ich glaube, nach dem Krieg wird es überall in der Region und auch in der Türkei viel Bewegung und Gegenwehr geben.

Fragen: Dirk Asendorpf