»Unsere Anrufe nach Hause werden abgehört«

■ Gespräch mit Riza und Ute Baran vom Kurdischen Kultur- und Hilfsverein über das Schicksal ihres Volkes im Schatten des Golfkriegs

Die Befürchtungen der Berliner KurdInnen, daß der Golfkrieg vor allem auch für ihre Landsleute im Irak wie in der Türkei verheerende Folgen bringt, haben sich bestätigt. Kurdische Städte im Irak sind nach Informationen von »medico international« von alliierten Flugzeugen bombardiert worden, in kurdischen Deportiertenlagern hat die irakische Armee Munitionsdepots errichtet und die Kurden damit zur Zielscheibe alliierter Angriffe gemacht. In der Türkei meldeten Istanbuler Zeitungen Bombenangriffe der türkischen Luftwaffe auf kurdische Dörfer im Grenzgebiet zum Irak. Berliner Kurden mit türkischem Paß müssen zudem fürchten, in eine Armee eingezogen zu werden, die im Schatten des Golfkrieges auch gegen ihr eigenes Volk eingesetzt wird. Die taz sprach mit Riza Baran, kurdischer Lehrer mit türkischem Paß, und Ute Baran, deutsche Staatsbürgerin, vom kurdischen Kultur-und Hilfsverein, der ältesten Beratungsstelle für Kurden in Berlin.

taz: Wie macht sich die aktuelle Situation in der Golfregion in der Beratungsstelle bemerkbar?

Riza Baran: Seit dem 17.1. geht es um nichts anderes als den Krieg. Die Leute sind verunsichert und verängstigt, fragen, was mit ihren Söhnen passiert, die im wehrpflichtigen Alter sind. Die Leute haben Angst vor der Einberufung. Die ausländischen Schüler in meiner Klasse fragen mich morgens als erstes über Neuigkeiten aus dem Kriegsgebiet aus.

Ute Baran: Die Unruhe wird zusätzlich geschürt, weil es immer schwieriger wird, Verbindung mit zu Hause aufzunehmen. Inzwischen werden die Telefongespräche in die Türkei offenbar zum Teil abgehört. Die Menschen reden also nicht mehr offen. Die können nur noch geradeheraus sagen, daß sie am Leben sind. In den Irak ist ohnehin jede Verbindung abgeschnitten.

Sollte es zur Einberufung kommen, wie schätzen Sie die Stimmung unter den betroffenen Männern ein?

Riza Baran: Sie werden nicht gehen. Die Kurden schon gar nicht.

Haben Sie neue Informationen aus den bombardierten Gebieten in Kurdistan?

Riza Baran: Die Kontakte in den Irak sind, wie gesagt, total abgeschnitten. Man kann aber davon ausgehen, daß rund 3,5 Millionen Kurden noch in Irakisch-Kurdistan leben. Viele von ihnen sind den Bombardements in dieser Region zum Opfer gefallen. Tausende von Kurden sind in den Süden des Iraks zwangsumgesiedelt worden. Auch dort dürfte es zahlreiche Bombenopfer gegeben haben. Außerdem hat Saddam Hussein Kurden in Kuwait angesiedelt. Und Kurden gehören zu denen, die als erste von ihm an die Front geschickt werden. Was die Situation in Türkisch-Kurdistan betrifft, so steht fest, daß die Menschen dort keinerlei Schutzmaßnahmen durch die türkische Regierung erfahren haben. In dieser Region ist keine einzige Gasmaske ausgegeben worden. Wenn die Abgeordneten der ANAP-Partei (Mutterlandpartei des Ministerpräsidenten Turgut Özal, Anm. der Redaktion) allerdings die Region besuchen, tragen sie immer Gasmasken mit sich herum. Manche Bewohner haben versucht, die umliegenden Höhlen als Zufluchtsorte zu nutzen. Nach unseren letzten Informationen hat die türkische Regierung auch das verhindert, mit der Begründung, dort könnten sich auch Terroristen verstecken. Tausende von Kurden haben nun ihren Besitz verkauft, um in den Westen fliehen zu können. Schätzungsweise 300.000 Menschen sind bereits geflohen.

Ute Baran: Es gibt von offizieller Seite die Empfehlung, im Falle eines Bombenangriffs in den Keller zu gehen. Dabei kennt jeder die Bautradition in diesem Teil des Landes, wo die Häuser keine Keller haben. Im Fall eines Bombenangriffs sind die Menschen völlig schutzlos. Als von den Flugstützpunkten in der Türkei die ersten Militärflugzeuge in Richtung Irak starteten, war die Angst in der Zivilbevölkerung am größten, daß der Irak sofort zurückschlagen würde. Viele haben aus Angst vor dem Giftgas ihre Wohn- und Schlafräume abgedichtet. In mehreren Fällen sind die Leute an Kohlenmonoxidvergiftungen gestorben.

Nun hat der türkische Staatspräsident Özal gleichzeitig erklärt, die Restriktionen gegen die kurdische Sprache zu lockern. Wie erklärt sich dieser Widerspruch in der Politik gegenüber den Kurden?

Riza Baran: Mich wundert wirklich, daß die westliche Presse das so positiv verkauft. Die vermeintliche Liberalisierung ist der süße Teil einer Strategie von Zuckerbrot und Peitsche gegenüber den Kurden. Vor einigen Tagen wurde er in der türkischen Presse mit den Worten zitiert: »Wenn die Kurden uns unterstützen, werden sie auch mehr Rechte bekommen nach dem Krieg.« Die tatsächlichen Auswirkungen dieser Lockerungen sind gering. Kurdisch ist erstmalig als Sprache anerkannt worden, bislang wurde es ja immer als Dialekt des Türkischen bezeichnet. Kurdisch darf aber weiterhin nicht als Amtssprache benutzt und nicht in den Schulen unterrichtet werden. So steht es in der türkischen Verfassung festgeschrieben. Und in den den letzten Tagen hat man ja wieder gesehen, was mit Kurden passiert, die mehr fordern als eine Scheinliberalisierung: Die kriegen Bomben auf den Kopf.

Spielt die Situation der Kurden im Kriegsgebiet eine Rolle im Umgang zwischen Kurden und Türken in Berlin?

Riza Baran: Ein Thema ist es auf alle Fälle. Viele Türken signalisieren uns durchaus Verständnis und Zustimmung. Sie haben im Ausland, also in Berlin, selbst die Erfahrung gemacht, was es heißt, keinen muttersprachlichen Unterricht zu haben. Sie haben dafür gekämpft und denken sich nun: Warum nicht auch die gleichen Rechte für Kurden?

Gespräch: Andrea Böhm