Keine Injektionen für den Todesstreifen

■ »Berlin morgen: Ideen für das Herz einer Groszstadt« — das Frankfurter Architekturmuseum zeigt städtebauliche Auswürfe für die Mitte Berlins.

Die ganze Sache war schlechthin eine Rotweinidee: Bei einem gemeinsamen Abendessen im Oktober vergangenen Jahres hatten Vittorio Magnago Lampugnani, Chef des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt/Main, Michael Mönninger und Mathias Schreiber, Mitglieder des großbürgerlichen Zentralorgans 'FAZ‘, ihr städtebauliches Berlin- Coming-out. Wahrscheinlich recht spät in der Nacht, aber garantiert besoffen, kam ihnen die Idee für die Ausstellung: »Berlin morgen: Ideen für das Herz einer Groszstadt«, die jetzt am Deutschen Architektur Museum (DAM) in Frankfurt gezeigt wird.

Von Rolf Lautenschläger

Erst »zufällig gewachsen, dann wieder liegengeblieben, gediehen und schließlich aufgeblüht«, wie Lampugnani sich im Katalog zu erinnern versucht, sei zwar an besagtem Abend nur »rudimentär« die Rede von dem Vorhaben gewesen. Doch kurze Zeit darauf konkretisierte sich die Idee »dynamisch«. Wie von der Tarantel gestochen trommelten Lampugnani & Co. zwanzig »prominente Architekten aus aller Welt« zusammen, die innerhalb weniger Wochen »radikale« Vorschläge für eine neue städtebauliche Gesamtperspektive Berlins aus dem Boden stampfen sollten, um damit noch schnell »in die realen Planungen für die Stadt einzugreifen«.

Sogenannte »Stararchitekten«, wie die Italiener Aldo Rossi, Giorgio Grassi und Mario Bellini, die Amerikaner John Hejduk, Robert Venturi und Denise Scott Brown, das Wiener Team »Coop Himmelblau«, der Franzose Jean Nouvel und Zaha Hadid aus Bagdad, sowie Oswald Mathias Ungers und Josef Paul Kleihues, die Lampugnani ob ihres Ruhmes auf das Projekt ansetzte, starteten zu einem Wettlauf unbewußter Supervision. Flankiert wird die Ausstellung durch die 'FAZ‘-Serie Das Neue Berlin, in der Fachjournalisten die städtebauliche Entwicklung Berlins nacherzählen.

Berlin, die mythische Großstadt der 20er Jahre, so die einzige Vorgabe von Lampugnani, Mönniger und Schreiber, stehe nach dem Einsturz der Mauer vor der »epochalen Aufgabe«, ihr traditionelles Zentrum neu zu planen. Die Stadt wurde im Zweiten Weltkrieg und durch die Abrißwut der Stadtplaner mehrfach zerstört. Seit 1961 teilte die Mauer die Metropole in zwei Teile. Sie speziell riß breite Wunden in die städtische Struktur und relegierte einst zentrale Bereiche in eine marginale Position. Auch nach dem Einsturz der Mauer zieht sich die Schneise des einstigen Todesstreifens, »als beklemmende Brache in einem surreal eckigen Muster durch das Herz der Stadt«, so der DAM-Chef. Ein städtebaulicher Entwurf für die historische »Mitte« zwischen Alexanderplatz und altem Westen müsse darum umgehend die wirr verzettelte Berliner Diskussion lenken, damit der zukünftigen Metropole nicht der Ausverkauf durch clevere Investorenprojekte, Bodenspekulationen, alternative Dilettanten und antichambrierende Politiker drohe.

Daß wegen der geforderten Windeseile den Architekten nur Ideen, Visionen, Manifeste, Konglomerate und Modelle aus Pappe, in Acryl und Wasserfarben einfallen konnten, die nicht in ihrem planerischen Gehalt, sondern überwiegend als ästhetisches Geschwätz abgehalfterter Heroen der Postmoderne zu rezipieren sein würden, wie man im DAM sieht, ist dem sonst so sorgfältigen Museumschef Lampugnani vielleicht nicht klar gewesen. Das Konzept, die Entwürfe happeningartig zusammenknallen zu lassen, ist mehr als fragwürdig; von der politischen Brisanz ganz zu schweigen.

Schnellschüsse aus der Ferne

Der architektonische Auswurf ist, gemessen an der Ambitioniertheit des Unternehmens, bis auf ganz wenige Ansätze in planerischer Hinsicht eine Katastrophe. Die 17 ausgestellten Projekte erinnern — auch in der hastigen Entstehung — fatal an jene sechs Schnellschüsse, zu denen das dummgeile Revolverblatt 'Tempo‘ vor nicht allzu langer Zeit Architekten trieb. Aufgeschreckt durch den Vereinigungsrummel, produzierten damals Daniel Libeskind, Albert Speer Junior u.a. Knall auf Fall exorbitante Ergüsse für die Berliner Mitte.

Anstatt das existierende planerische Verwirrspiel durch genau vorformulierte städtebauliche Rahmenbedingungen in eine realistische Richtung zu wenden und abzuwarten, welche Entwicklung die hauptstädtische Bigamie Bonn/Berlin nimmt, entschieden Lampugnani & Co., die Architekten in einer nebulösen Laborsituation wild herumexperimentieren zu lassen. Einige kannten die Stadt gar nicht. Von den 17 »gebetenen« Baumeistern haben nicht einmal die Hälfte in Berlin gebaut, geschweige denn, daß sie sich mit der spezifischen Berlin-Materie richtig auseinandergesetzt haben, wie vielen Entwürfen zu entnehmen ist. Auf mögliche Grundstückseigner nahm man sowieso keine Rücksicht.

Beschworen wurden deshalb spiritistische Lösungen, die ihre Übereinkunft in der traditionellen Typologie des Städtebaus suchten, oder, leicht übergeschnappt, mit Musterbeispielen dekonstruktivistischer Unaufgeräumtheit kokettierten. Bei einem überlegt ausgelobten Wettbewerb mit viel Zeit auch für weniger spektakulär plappernde Architekten — mir fiele da Karljosef Schattner ein — wäre wahrscheinlich mehr herausgekommen als expressive Zertrümmerungsformen und postmoderne Rekonstruktionsideen für den Zentralen Bereich. Insgesamt meint man, die Visionen seien die erklärte Absage an die rationale Welt.

Grünbänder und schweinchenrosafarbene Hochhäuser

Wie sehr den meisten Projekten die Berliner Topographie allein zum graphischen Spiel mit einem chimärischen Zeitraum zwischen Vergangenheit und Zukunft dient, zeigt der Vergleich zu den wenigen Entwürfen, deren Architekten sich auf dem Berliner Terrain auskennen und die versuchen, praktisch mit dem Stadtgrundriß umzugehen: So entwickelt der Engländer Norman Foster einen strategischen Gesamtplan für das alte Zentrum, indem die bestehende Textur der historischen Straßen wie des Mauerstreifens berücksichtigt werden. Eine »Umformung« der Stadt kommt zustande, ohne zur Zerstörung ihrer eigenen Identität zu führen. Ähnlich wie bei früheren Stadterweiterungen Schutzwälle oder Stadtmauern abgetragen und zu öffentlichen Arealen ausgebaut wurden, entsteht bei Foster der Plan, die einstige Sektorengrenze als komplex gestaltetes Grünband zu einer neuen städtebaulichen Landschaft um die Berliner Mitte zu legen, vergleichbar den Grünstreifen in Frankfurt, Köln oder Wien. Parks, Architektur und Straßen fokussieren den Ring zu einem Netzwerk offener und verdichteter Stadträume. Foster liefert eine urbane Collage aus heterogenem Material, das Stadt und Natur in einem Raum integriert und zerstörte Bereiche revitalisiert.

Überdenkenswert sind in diesem Zusammenhang auch die Planungen des Berliners Hans Kollhoff, dessen schweinchenrosafarben geratene Computergraphiken zeigen, daß er die städtebaulichen Verhältnisse zwischen Alexanderplatz und Tiergarten aus eigener Anschauung kennt. Wie Foster entwickelt Kollhoff in seiner Simulation großzügige Freiräume, die von Wolkenkratzerzentren und der Downtown geprägt werden. Was bei Kollhoffs Hochhausplänen auf den ersten Blick vielleicht so aussieht, als hätten sich Ableger stalinistischer Megatürme ins Berliner Zentrum geschlichen, relativiert sich durch die provokante Konsequenz seiner stadtplanerischen Vorstellungen. Einmal wird die heilige Kuh der Berliner Traufhöhe geschlachtet zugunsten eines vertikalen Konzepts mit starker innerer Verdichtung. Am Alexanderplatz und Potsdamer Platz entsteht jeweils ein Mini-Manhattan, das durch die rückgebaute Leipziger Straße verbunden wird. Mit den beiden Hochhauszentren will Kollhoff die historische Mitte vor dem steigenden Investitionsdruck durch die zu erwartenden Dienstleistungsbetriebe retten, die ins Zentrum drängen werden.

Gleichzeitig bietet Kollhoffs Idee ein mögliches städtebauliches Konzept, das auf die kommende innere wirtschaftliche und soziale Entwicklung Berlins reagiert und ebenso das unversehrte Umland zu bewahren sucht. Die Antwort auf eine mögliche Zersiedelung über die Stadtgrenzen hinaus sieht Kollhoff in der Zentrierung kapitalistischer Stadtausbreitung, die das Umland für eine soziale Nutzung freihält. Ob nicht auch umgekehrt ein flaches Zentrum und periphere Hochhausdistrikte möglich sind, läßt der Entwurf ebenso offen wie die Idee, neben Hochbauten Raum für »Central Parks« zu schaffen.

Kollhoffs Vorschlag ist schon deshalb erwähnenswert, weil er auf die absehbare Zukunft Berlins mit einem baulichen Plan anwortet, der sich in seinem »Realismus« deutlich von den Konzepten der anderen Architekten absetzt. So scheint es, daß die Kollegen sich nicht nur gnadenlos utopischen, sondern gleichfalls idiotischen Gedankenspielchen hingegeben haben. Ohne Perspektive einer städtebaulichen Vereinigung erscheinen die Modelle dann, wenn das obsolete Thema »Mauerstadt« durchexerziert wird.

Todeszone in Acryl

So will in einer euphorischen Bauerinnerung in rotem Acryl Zaha Hadid die »Todeszone« in einer Grundrißkalligraphie erhalten und mit baulichen »Injektionen« reaktivieren, während Jean Nouvel sich auf dem Ödland eine Merry-go-round-Kulturmeile für alle Ewigkeit vorstellt. Berlin erscheint als künstliche Reklame- und Neonstadt, voll blinkender Lichtlein, Wandzeitungen und bunter Videofilme. Während Hadid und Nouvel eine symbolische Überhöhung des einstigen Grenzstreifens im Sinn haben und Aldo Rossi sich den Potsdamer Platz gar nur noch als steinernes Denkmal vorstellen mag, verbinden Robert Venturi, Denise Scott Brown und der Schweizer Bernhard Tschumi die beiden Stadtteile durch monumentale Brückenkonstruktionen und Plattformen. Der Mauerstreifen dient zur Stimulation städtischer Sensationen: Theater, Ausstellungen, politische Versammlungen und Trauerfeiern könnten darauf stattfinden.

Einen möglichen Schritt aus der planerischen Bewegungslosigkeit zwischen historischem Stadtgrundriß, den Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg und der Teilung der Stadt sowie ihrer neuesten Geschichte bieten die konzeptionellen Überlegungen der Gruppe »Coop Himmelblau«. Ihr Fotokopie/Pappmodell-Projekt Berlin Crossing nimmt die Idee der Entwicklung der Stadt aus dem Wegekreuz wieder auf. Von West- nach Ost-Berlin spannt sich die neue Hochgeschwindigkeitstangente, entlang derer sich infrastrukturelle Einrichtungen ansiedeln. Gekreuzt wird diese Linie am Potsdamer Platz von einer zweiten Schiene, die den Nord-Süd-Verkehr aufnimmt. In einem Prozeß der Annäherung entwickeln sich ökonomische und soziale Felder, die zugleich die Umwandlung der Stadt insgesamt in Kraft setzen. Die Idealität fester Formen und geometrisierter Stadtlandschaften scheint »Coop Himmelblau« um so fragwürdiger, je konsequenter sich architektonische Strukturen darauf berufen, geben sie doch keine Antworten mehr auf urbane wie soziale Veränderungen.

Weniger dilettantisch in ihrem Charme, dafür hoffnungslos sentimental erscheinen die farbigen Gebilde Oswald Mathias Ungers. Für Berlin entwarf er das Konzept eines »Städtearchipels«, wobei, über die gesamte Innenstadt verteilt, Turmformen aus der Baugeschichte in die Höhe stehen. Säulen ragen am Reichstag in die Luft. Torhäuser schmücken den Alex. El Lissitzkis Wolkenbügel-Hochhäuser überspannen die Spree. Ungers plädiert für ein retroaktives polyzentrisches Stadtkonzept mittels solitärer Torhäuser, ohne zur Kenntnis zu nehmen, daß Berlin immer schon eine dezentrale städtebauliche Konfiguration hatte. Ebenso wie Ungers wird auch bei Mario Bellini das Zentrum zur kulissenhaften postmodernen Spielwiese. Sind Bellinis Ideen zum Aufbau des Berliner Stadtschlosses noch naive Sehnsüchte nach dem städtebaulichen wie gesellschaftlichen Idealbild, so entspricht seine Forderung, auf dem Alexanderplatz ein Hochhaus zu errichten, damit der sozialistische Funkturm dahinter verschwände, der selbstgefälligen ideologischen Rückwärtsgewandtheit.

Geradezu kriminell erscheint schließlich der Entwurf des Schweizer Architektenteams Jaques Herzog/Pierre de Meuron/Remy Zaugg, die vier riesige Betonblöcke an den Rand des Tiergartens legen, als hätte Berlin nicht genug Wohnbunker, die das Stadtbild verschandeln und die Bewohner an den Rand des Irrsinns treiben.

Rollback der Salonarchitekten

Entsteht im DAM die eine Peinlichkeit durch die präsentierten Entwürfe und die Geschichte ihrer Entstehung, so ist die andere, daß sich ein Verlag anschickt, mit großen Namen das provinzielle — ehemalige »rot-grüne« — Berliner Bauwesen mit wichtigtuerischen Anregungen aufzupeppen. Berlin ist im DAM in Wirklichkeit gar nicht das Thema. Das städtebauliche Zusammenwachsen dient zu nichts mehr als zur gedankenlosen Spielerei mit gleichzeitigem konservativen Rollback in der Architektur und Stadtplanung.

Gerade ist die Auslobung des städtebaulichen Wettbewerbs der früheren Berliner Umweltsenatorin, Michaele Schreyer, die den Zentralen Bereich nicht bedingungslos dem Verkehr, ungezügelter Baukunst und mit Falschgeld handelnden Investoren überlassen wollte, im Reißwolf verschwunden, da erinnert die Frankfurter Ausstellung schon wieder an die Schau Berlin — Denkmodell aus dem Jahre 1988. Wurde dort ebenfalls mit fragwürdigen baulichen Elaboraten Todesstreifenarchitektur entworfen, so sollte doch wesentlicher Bestandteil der Architekturideen der Abstand zur Wirklichkeit sein. Lebbeus Woods »fliegendes Berlin« ist ein wunderbares Beispiel phantasmagorischer Architektur, die niemals den Anspruch auf Realisierung beanspruchte. Anders dagegen die Frankfurter Schau, wo in die städtebauliche Entwicklung Berlins hineingeredet werden soll. Ihre Entwürfe sind nicht allein von realistischer, sondern ebenso von demokratischer Planung meilenweit entfernt. Mit solcherlei »Propaganda von Salonarchitekten«, wie der Redakteur des Berliner Architekturmagazins 'Bauwelt‘, Felix Zwoch, bei der Eröffnung schnaubte, vollzieht sich erneut ein autoritätsgläubiger Rückzug auf elitäre Unternehmungen in der Architektur, die mit öffentlicher Kontrolle, Selbstbestimmung und Diskussion nichts mehr im Sinn haben. Die Architekten sonnen sich in selbstgefälligen Künstlerattitüden; die Veranstalter sind in die Rolle von Kommunalpolitikern geschlüpft. Die Künstlerhaltung und skulpturale Architektur der avantgardistischen Bauextremisten erscheint geradezu arrogant und ohne jedes Verhältnis zum Subjekt der Stadt: den Menschen.

Überraschungsgäste

Bei der Eröffnung der Ausstellung kreuzten als Überraschungsgäste die beiden jungvermählten Berliner Senatoren Volker Hassemer (Stadtentwicklung) und sein Kollege Wolfgang Nagel (Bauwesen) in Frankfurt auf. Die beiden hatten wohl gehofft, sie könnten sich im Glanz der Entwürfe ein wenig aalen und weltgewandte Anregungen mit nach Hause nehmen. Denn daheim in Berlin liegt bis dato nur ein altes Styropormodell zum Potsdamer Platz von Wolfgang Nagel vor. Mit dem »Geschenk an Berlin«, so mahnte Lampugnani allerdings, sei nicht gemeint, daß die politisch Verantwortlichen im Berliner Senat bei der Suche nach Konzepten für die Neuordnung des Zentralen Bereichs sich aus dem baulichen Potpourri mit Kompromißlösungen bedienen dürften. Vielmehr solle die Stadt eine präzise städtebauliche Haltung finden. In einem klar profilierten Plan hätten differenzierte Architekturen genügend Raum.

Im Unterschied zum Bausenator, der sich im DAM brav für die ausgestellten Entwürfe bedankte (obwohl für seine Spezialität, den Ausbau von Dachböden, gar nichts dabei war), gab sich Volker Hassemer am Ziel der Pilgerfahrt resevierter. Damit die städtebaulichen Überlegungen im Zentralen Bereich nicht ins Leere laufen, kündigte der neue Senator ein Berliner »Planungsforum« an, auf dem Fachleute, einzelne Gruppen und Verbände sowie die Öffentlichkeit Vorschläge und Initiativen zum Thema einbringen können. Der städtebauliche Wettbewerb für den Zentralen Bereich wird nach diesem Verfahren neu ausgelobt. Ein Stück Demokratie, das die Heimlichkeiten und autoritären Entscheidungen überwindet? Kaum mehr als das, was längst getan oder gefordert wurde! Daimler-Benz wird nicht von seinem Vertrag über den Potsdamer Platz lassen. Die Option für eine Parzellenstruktur ist nach wie vor hin. Der Spekulation stehen Tür und Tor offen. Verkehrspolitisch wird der Bereich zu einem Kulminationspunkt. Trotzdem hat Lampugnani recht, wenn er konzeptionelle Rahmenbedingungen fordert: Wegen der schon legendären Berliner Hochhausfeindlichkeit, die 1921 bereits Mies van der Rohe für den Entwurf eines Glashochhauses für den Platz vor dem Bahnhof Friedrichstraße zu spüren bekam, ist dem neuen Senat zu raten, sich grundsätzlich städtebaulich für eine Linie zu entscheiden, die Klarheit schafft. Die Münchner etwa haben sich entschlossen, die Innenstadt nicht hochzuziehen. In Frankfurt da- gegen schießt die metropolitane Verdichtung schon über 265 Meter Höhe.

Der Ruf nach dem starken Stadtbaudirektor

Während bei der Ausstellungseröffnung im Vortragssal des DAM noch heftigst versprochen wurde, was mit Sicherheit nicht gehalten wird, tobten im Foyer bereits die Debatten. Kraftausdrücke schwerster Art fielen. Den präsentierten Architekten wurde rundweg jede Ahnung von Berlin, Städtebau und Architektur abgesprochen. Ein schwäbischer Architekturredakteur wollte gar — vielleicht hatte er zuviel CNN-Kriegspropaganda gesehen — mit Scud- B-Raketen gegen die Machwerke vorgehen. Die Sehnsucht nach der Berliner Planungsstreitkultur ebenso wie der Ruf nach dem Stadtbaudirektor klangen an, als würden die schon a priori das durchsetzen, was die Metropole wirklich braucht.

Vielleicht wird die berechtigte Wut über die Ausstellung durch die Erfahrung gedämpft, wonach beinahe alle großangelegten städtebaulichen Hauptstadtideen in diesem Jahrhundert dort geblieben sind, wo sie entstanden: nämlich auf dem Papier. Weder wurde Martin Mächlers wilhelminische Nord-Süd-Achse von Tempelhof nach Moabit aus dem Bebauungsplan für Groß-Berlin von 1917 realisiert noch konnte Albert Speer sie zur »Großen Straße« 1939 in megalomaner Überhöhung mit ungeschlachten Hallen und Triumphbögen für das faschistische Deutschland ausbauen. Selbst die 1927 von der avantgardistischen Architektenvereinigung »Der Ring« entworfenen Planungen für Ministerialbauten am Platz der Republik blieben Makulatur, ebenso wie die großangelegten städtischen Projekte 1929 für die Umgestaltung des Alexanderplatzes, des Potsdamer/Leipziger Platzes und des Spreebogens. Die Brüder Luckhardt, Hans Poelzig und Erich Mendelsohn beteiligten sich an diesen Wettbewerben.

Definitive Neuordnungen sollten auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht allein die Berliner Mitte, sondern die ganze Stadt verwandeln. Scharouns Kollektivplan von 1946 ließ vom historischen Zentrum praktisch nichts übrig. Anstatt der vorhandenen städtischen Struktur lieferte ihm das Berliner Urstomtal der Spree die morphologische Orientierung. Und 1957 schließlich, als ideologisches Kontrastprogramm zum neoklassizistischen Ausbau der »Stalinallee« Hermann Henselmanns im Ostteil der Stadt, markierte der Wettbewerb Hauptstadt Berlin, an dem neben Hans Scharoun und Alison/ Peter Smithson auch Le Corbusier teilnahm, einen paradoxen Schnittpunkt in der städtischen Planung, lagen doch große Bezirke des Baugebietes bereits jenseits der Sektorengrenze. Während sich in Ost-Berlin ab 1964 einzelne Planungen für den Bereich des Alexanderplatzes und des Leninplatzes durchsetzen konnten, sind alle Westberliner Vorschläge folgenlos geblieben. Seit den 60er Jahren hatte hier der Wohnungsbau Vorrang. Die Ideenwettbewerbe für den Platz der Republik und den Ausbau des Spreebogens von 1985/86 wurden bis dato nicht weiterverfolgt, ebensowenig wie die Gutachten von Ungers oder Hollein zum Kulturforum. Der Berliner Senat brachte das Projekt 1989 zum Stillstand.

Mehr Zeit für den Raum!

Geblieben sind Rudimente. Planungen, wurden sie zum ideologischen Vorzeigeobjekt wie das Hansa-Viertel oder der Alexanderplatz, sind in Berlin immer dann gescheitert, wenn sie mit einseitigem Kalkül politischer Interessen verbunden waren. So gesehen war weder der Verkauf der Potsdamer Platzes an Daimler-Benz gewinnbringend noch ist die Parzellenstruktur der 20er Jahre ein Maßstab für den Neubau der Mitte Berlins. War es dort der blinde Glaube an die Prosperität kapitalistischer Macht, so ist es hier die Sehnsucht nach dem Mythos flirrender Impressionen und poetischer Großstadterfahrung, die den Blick verstellen. Ebenso fragwürdig ist es, auf einen Geniestreich zu hoffen, der alle Probleme vom Tisch fegt. Da hätten sich manche, die auf die »Groszstadt« spekulierten, die Fahrkarte nach Frankfurt sparen können.

Was also tun nach einer solchen Ausstellung, wenn auf ein neues eine ganze City zu denken ansteht? Ein Vorschlag wäre, das Gegenteil von dem zu tun, was zu den Entwürfen Berlin morgen im DAM geführt hat. Der Glaube an die Autonomie in der Stadtbaukunst muß zur Säkularisierung öffentlicher Interessen führen. Das bedeutet keineswegs die Banalisierung unserer Städte. Im Gegenteil. Bereits Schinkel hat den Stadtraum nicht als Bild, sondern als Raum wechselseitiger Beziehungen zwischen Einzelbauten gesehen. Ein Masterplan würde solch einem Konzept widersprechen.

Zugleich ist ein besonderes Merkmal demokratischen Bauens der Planungsvorgang, der mit ausreichender Zeit die Beteiligung der Nutzer und Betroffenen berücksichtigt. In einem Prozeß, der durch seine unbedingte Durchsichtigkeit und Langsamkeit gekennzeichnet sein muß, der über einen großen Zeitraum nicht nach »Gestaltungen«, sondern nach Lösungen sucht, kann Architektur die Kräfte schließlich widerspiegeln, die bei ihrer Planung wirksam waren. Nur so wird das Neue, Moderne und Überraschende herausgefiltert. Nur so entsteht der Anteil Chaos für die Großstadt.

Berlin morgen: Ideen für das Herz einer Groszstadt ist noch bis zum 24. März im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt/Main zu sehen. Dienstag bis Sonntag 10-17 Uhr. Mittwoch bis 20 Uhr. Der Katalog kostet 48 DM. Die Ausstellung wird im Sommer auch in Berlin gezeigt werden.