Der Minosaurier aus Charlottenburg

■ In Berlin wird ein schwunghafter Handel mit Leguanen betrieben / Viele Menschen halten sie zu Hause

Es war einmal ein außergewöhnliches Tier namens »King«. Das residierte in einer Charlottenburger Hinterhofwohnung von 30 Quadratmetern Größe. King war ein fast ausgewachsener Iguana iguana, ein grüner Leguan. Er brachte es auf die stattliche Länge von zwei Metern, fraß eine Mohrrübe und eine Banane am Tag und hatte es gerne sehr warm. Ansonsten hatte »King« wenig Bedürfnisse, denn jedes Schwanzwackeln war ein unnötiger Energieverlust. Ganz selig flatterten seine Augenlider, wenn ihm ein Avocadoteilchen oder Mangoschnipsel vor das Maul gelegt wurde.

»King« verschwand vor einem Jahr aus der Friedbergstraße und zog nach Westdeutschland. Sein Hofstaat lebt in der Diaspora. Der Jagdhund »Prinz« in einem Steglitzer Reihenhaus, die Angorakatzen »Schneewittchen« und »Rosenrot« lümmeln sich auf einem Sofa in Frohnau. Denn der Diener dieser tierischen Gemeinschaft, der Charlottenburger Kohlenschlepper Wendig, erlag seinerzeit an einer Herzattacke.

King war nicht der einzige grüne Leguan in der Stadt. Die größte Berliner Reptilienhandlung Schulz in Halensee verkauft pro Jahr rund 50 dieser Urtiere, der Tierhändler Walter Goldschmidt in Dahlem etwa 20 und die Zoohandlung Weissenfels in der Urbanstraße auch mindestens einen im Monat. Die grünen Leguane fallen zwar unter das Artenschutzgesetz, ihre Einfuhr ist aber mit einer Herkunftsbescheinigung, dem CITES-Zertifikat, erlaubt. Die reptilienführenden Zoohandlungen müssen laut Gesetz von den »Unteren Naturschutzbehörden« der bezirklichen Gartenbauämter überprüft werden und die Käufer den Erwerb anmelden. Aber sehr genau scheint man es mit diesen Anmeldungen nicht zu nehmen, dem Bezirksamt Charlottenburg wurden im letzten Jahr gerade sieben Leguane gemeldet. Weil Leguane auch nicht unter die Genehmigungspflicht laut Berliner Verordnung »Über das Halten gefährlicher Tiere« fallen, ist die Dunkelziffer über die tatsächliche Anzahl verkaufter Leguane in der Stadt sehr hoch.

Eine Mitarbeiterin des Berliner Aquariums im Zoo bedauert dies. Viele Menschen, sagt sie, können die Tiere nicht artgerecht halten oder wollen ihre zu groß gewordenen Exoten in den Zoo abschieben. Meistens wären die privat gehaltenen Tiere krank, hätten Amöben oder bereiteten sonst nichts als »Unannehmlichkeiten«. Zoohändler Weissenfels kennt diese Probleme. Er warnt jeden Interessenten, zumal wenn sie nichts als ein »lebendes Bild« oder ein Prestigeobjekt haben wollen. Denn gekauft ist so ein Tier schnell, und teuer ist es auch nicht. Angeboten werden nur maximal 30 cm große Baby-Leguane zumeist aus mittelamerikanischen Zuchtanstalten. Die kosten höchstens 160 Mark, weniger als jeder Rassehund. Teuer, sagt Weissenfels, ist die Terristik. Glaskasten, elektrische Heizmatte und Lampe müßten großzügig bemessen sein, da der Leguan schnell wachse.

Leguane sind reine Vegetarier und tun keiner Fliege was zuleide. Sie können sogar zutraulich werden, auch wenn sie keine Pfötchen geben oder ein inniges Verhältnis zu Betreuern entwickeln. Leguane sind Urtiere, gehören stammgeschichtlich zu den Echsen und sind die kleinen Geschwister der großen Dinosaurier. Von den Leguanen gibt es heute mehr als 3.000 verschiedene Sorten.

Nicht jeder Minisaurier wird so groß wie »King«. Ein Tier, das ausschließlich im Terrarium gehalten wird, wehrt sich gegen das Gefängnis mit einer Wachstumsbremse und wird mit Schwanz nur 1 Meter 20 lang. »King« aber fühlte sich bei dem verstorbenen Kohlenschlepper wohl. Einmal pro Tag robbte er in das Badezimmer, entleerte sich dort auf einer Gummimatte, und etwa einmal im Monat bescherte er sich ein Abenteuer. Er kletterte auf einen, hinter dem Sofa angebrachten Ast und ließ sich von oben auf die Couch plumpsen. Deswegen haßten ihn die beiden Katzen und verwünschten ihn in seine mittelamerikanische Heimat. Denn dort werden die Nachfahren der Dinosaurier, von der jüngsten Schöpfung auf Erden, den Menschen, gefangen, um gegessen zu werden. Anita Kugler