piwik no script img

Im tiefen Saal der Superechsen

■ Fiepende Saurierbabys und stampfende Dino-Bullen sorgen für Massenandrang auf die Museumsshow

Der Steppke steht staunend im Saal und starrt dem Ungeheuer ins rollende Auge. Mit der linken Hand hält sich der Vierjährige an Papas Ärmel fest, den rechten Arm hat er samt Zeigefinger ausgestreckt: »Dino! Dino!« ruft er verzückt und meint grinsend: »Der lacht ja!«

Und nicht nur das. »Dino«, eigentlich als »Schreckliche Eidechse« (Tyrannosaurus Rex) bekannt, winkt mit der Vorderpfote, dreht seinen Kopf und röhrt alle 30 Sekunden mit tierischem Gebrüll in die Halle hinein. Links neben ihm schlüpfen fiepende Minisaurier aus ihren Eiern, rechts gegenüber stampft ein Dino- Bulle sauer mit dem Fuß auf. Insgesamt 17 Saurier-Roboter locken seit zehn Tagen die Berlinerinnen und Berliner magisch in das Museum für Naturkunde. Etwa 17.000 waren allein am vergangenen Wochenende da, auch während der Woche riß der Besucherstrom nicht ab. Ganze Schulklassen stellen sich in die bis zu 300 Meter lange Schlange und warten stundenlang auf Einlaß, Buskonvois aus Prag werden für morgen erwartet, und jedes Kind, das von der Ausstellung gehört hat, nervt seine Eltern mit der Frage, »wann wir endlich zu den Dinos gehen!«.

In den Kaufhäusern gehen Dino- T-Shirts und Bettlaken mit Saurier- Aufdruck weg wie warme Semmeln. Aufblasbare Plastikechsen gelten als der letzte Schrei fürs Badezimmer, populärwissenschaftliche Urzeit- Bücher plus Saurierskelett-Bausätze als die Geschenkidee. Wer sein Kind nun auch noch Dino tauft, ist wahlweise reif für Leo's »in«-Liste oder die Klapsmühle. In Italien ist der Vorname schon lange en vogue: Dino de Laurentiis (Filmproduzent) oder Dino Zoff (Torwart), um zwei Promis zu nennen.

Als vor über 150 Jahren in Deutschland, Nordamerika und Afrika die ersten Saurierknochen ausgegraben wurden, war der Drachen-Mythos out und die Klärung der Saurier-Rätsel angesagt: Wieso verschwanden sie plötzlich? Gibt es noch welche, die heute leben? Das Geschäft mit den vermeintlich ausgestorbenen Echsen blüht übrigens schon länger. Die Bewohner eines kleinen, langweiligen Kaffs in Schottland setzten in den fünfziger Jahren einfach das Gerücht in die Welt, in ihrem Tümpel hause ein Ungetüm. Seitdem floriert der Tourismus in Loch Ness — und jedesmal, wenn die Gäste auszubleiben drohen, taucht plötzlich ein verwackeltes Foto auf, das den Hals eines Dinosauriers zeigt.

Auf den »Nessi-Efekt« haben auch die Macher der Dino-Show gesetzt, die noch bis zum 28. April in unserer Stadt zu sehen ist. Während es bisher nicht mal Saurierhaut, sondern immer nur Knochen zu sehen gab, wird im Naturkundemuseum Wahrhaftigkeit suggeriert. Tatsächlich, so beteuern Wissenschaftler, kämen die Ausstellungsobjekte den echten Sauriern in Form und Aussehen ziemlich nahe. Das Problem liegt, wie immer, im Detail. Ob der Stegosaurus wirklich »Uuuh!« statt »Aaah« gebrüllt hat, wird sich ebensowenig klären lassen wie die Frage, ob sein Gegenüber tatsächlich einen blauen Kamm oder keinen hatte. Die Viecher sehen gut aus. Und die Kalkulation der »Dinamation International Corporation« (Disneyland plus Wissenschaft) geht auf. Muß man also hingehen und pro Person satte zehn Mark auf den Tisch legen? Wenn man Kinder hat, dann schon. Wenn nicht, geht man lieber gleich nach nebenan, wo der Eintritt bloß eine Mark kostet.

Denn die eigentliche Saurier-Sensation ist nicht bei den per Mikrochip und Computer gesteuerten Pappdinos zu finden. Ebenfalls in der Invalidenstraße, im Hauptmuseum, steht eines der Weltwunder: das größte Dinosaurierskelett der Welt, ein 23 Meter langer und 12 Meter hoher Brachiosaurus brancai Eigentlich müßte er das Schild »Ich bin zwei Dinos!« tragen, denn das Skelett ist aus zwei Saurierresten zusammengebastelt. Ebenfalls in der Sammlung des Naturkundemuseums: der Saurier von Halberstadt — ein zu Anfang des Jahrhunderts im Harz ausgegrabener Knochenfund — sowie der jedem Biologieschüler bekannte Urvogel Archaeopterix und Bobby, der Lieblingsgorilla der Berliner, der 1935 im Zoo das Zeitliche segnete. Insgesamt 60 Millionen (!) Objekte werden unter den Dächern des Museums gehortet, nur 4.500 sind davon ausgestellt. Dr. Rainer Hoffmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Hauses, schätzt den Gesamtwert der Sammlung auf rund 25 Milliarden Mark. Allein der Archaeopterix wurde mit vier Millionen Dollar versichert, als er an ein Museum in den USA verliehen wurde. In der Vitrine hängt deshalb auch nicht das Original. Hoffmann: »Den echten Urvogel kann ich ja gar nicht schützen!«

Die Knochen des größten Sauriers der Welt aber sind originale Gebeine. Daneben liegt ein Häufchen Gips — Wissenschaftler hatten die spärliche Gehirnmasse des Sauriers ausgegossen. Waren die Urechsen ein bißchen blöd? Im Vergleich zur Menschheit stehen die Saurier, was die Überlebensfähigkeit angeht, ziemlich gut da. Während die Dinos 140 Millionen Jahre auf der Erde herumtrampelten, treiben wir schon nach lächerlichen zwei Millionen Jahren gezielt aufs Ende zu, und das »obwohl wir im Gegensatz zu den Sauriern über Vernunft verfügen«, meint Dr. Hoffmann. Claus Christian Malzahn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen