Bad-Godesberg — In die falsche Richtung

■ Der letzte Parteitag der italienischen PCI KOMMENTARE

Ereignisse, auf die man zu lange — und vergeblich — hat warten müssen, entpuppen sich am Ende, wenn sie dann tatsächlich eintreten, oft als rechte Enttäuschung. Die Zeit des Wartens hat auch die Erwartungen ansteigen lassen; und die Zwischenzeiten haben auch die Erwartungen umgewälzt, auf die sich anfangs die Hoffnungen gründeten. Der zwanzigste — und nun also definitiv letzte — PCI-Parteitag ist so ein Ereignis: Bekämpft wurde er von vielen innerhalb und erwartet wurde er außerhalb der Partei, vor allem von jener unabhängigen liberalen Linken, die im endgültigen Abschied von Struktur und Programm der kommunistischen Partei eine Chance erblickten, die Spaltung der Linken in eine Regierungssesselpartei — PSI — und eine ewige Oppositionspartei PCI endlich zu überwinden und in Italien nach 40 Jahren christdemokratisch dominierten Regierungen demokratische Normalität einzuführen. Eine Chance auch für eine Erneuerung der Linken in Europa.

In der Tat: Das war Occhettos Wette gewesen. Im nunmehr vom Eise des Totalitarismus und vom Eisernen Vorhang befreiten Europa sollte die Ex- KPI zur Schaffung einer neuen, demokratischen Linken beitragen, die nicht mehr ein „Jenseits“ des Kapitalismus, den Sozialismus als „System“, zum Ziele hat, sondern für Bürgerrechte, Freiheit und Gerechtigkeit innerhalb der sozialen Marktwirtschaft und des demokratischen Verfassungsstaates kämpft. Die so entstehende neue demokratische Linkspartei — das Kürzel PDS weckt für Deutsche die falschen Assoziationen — sollte keine ideologische Identität mehr haben, sondern politisch die vereinigten Staaten von Europa mit sozialen und ökologischen Reformvorschlägen voranbringen — und zwar bald auch als Mitglied einer italienischen Regierungskoalition. Mehr als ein Jahr dauert der innerkommunistische — und streng demokratisch nach Mehrheit und Minderheit quotierte — Streit nun schon, jetzt ist es so weit — les jeux sont faits. Gibt es einen Sieger? Die Partei hat der Generalsekretär wohl gewonnen, die „corporate identity“ kann erfolgreich, wenn auch unter Schmerzen, ausgetauscht werden, aber gibt es ein neues, auf dem politischen Markt verkäufliches Produkt der Firma mit dem Eichenbaum?

Die Welt von heute ist nicht mehr geprägt von den Freiheitshoffnungen, die sich mit dem Sturz der „totalitären Ordnung“ (Occhetto) des realen Sozialismus verbanden: Im Osten herrscht die Angst vor einem Rückfall in autoritäre Lösungen beim Zerfall des sowjetischen Imperiums vor. Occhetto — und die Partei — teilen diese Angst; doch haben weder Mehrheit noch Minderheit Vorschläge beigebracht, wie denn der seit Jahrzehnten von der PCI schon geforderten Etablierung pluralistischer Demokratien im Ostblock vom Westen aus geholfen werden kann. Statt dessen redet Occhetto von der Notwendigkeit einer „Weltregierung“, um die neue soziale Frage, die Nord-Süd-Spaltung des Planeten, zu überwinden und den globalen ökologischen Herausforderungen begegnen zu können. Unglaubwürdig, oder sagen wir innen- wie außenpolitisch ineffektiv und verantwortungslos, werden solche kosmopolitischen Visionen jedoch, wenn die PDS der Sanktionsgewalt der alliierten Streitmacht am Golf, die im Auftrage der UNO die völkerrechtliche Legalität wiederherstellen soll, jede Unterstützung verweigert. Das von der irakischen Diktatur bedrohte Existenzrecht Israels wurde gerade noch erwähnt, die Solidarität der Herzen aber gilt dem gerechten Kampf des palästinensischen Volkes.

Nein, so erreicht die neue Partei keine international glaubwürdige Regierungsfähigkeit; kein Wunder, daß sich der Schutzpatron der demokratischen Linken, Noberto Bobbio, ebenso wie andere unabhängige Linke von der pazifistischen Grundströmung der PCI eindeutig distanziert haben. Das war wohl, wie Aldo Tortorella, der Führer der Minderheit, indirekt und befriedigt antworten konnte, der Preis für die Einheit der Partei.

Gewiß, heute, nach dem Ende des Kalten Krieges, ist zum ersten Male die UNO als Entscheidungs- und Koordinationsforum einer Weltinnenpolitik gefordert. Gewiß, die legitime Gewalt kann nie das einzige Mittel der Politik sein, es bedarf für die Hegemonie gerechter Verhältnisse im internationalen wie im nationalen Maßstab stets auch des Konsensus, wie KPI-Gründer Gramsci in seinen Gefängnisheften schrieb. Keine neue Weltordnung — und konkreter: weder die Vereinigten Staaten Europas noch eine Friedensordnung im Nahen Osten — wird jedoch entstehen können, wenn das Völkerrecht keine bewaffnete Sanktionsgewalt hat.

Die italienische PDS ist geboren, unter Schmerzen, aber mit ihrer bedingungslosen Forderung nach dem Rückzug der italienischen Truppen aus der Alliierten Streitmacht am Golf steht sie politisch isoliert da: Occhetto mag sich auf deutsche Ökopazifisten berufen oder auf demokratische Senatoren in den USA, in Italien bleiben ihm nur noch der Papst und einige katholische Fundamentalisten in der DC.

Antonio Gramsci schrieb in den Quaderni del Carcere, im katholischen Italien könne eine Hegemonie der Linken nur als Alternative zur Hegemonie des Vatikans zustandekommen. Hat sich die PDS in jahrelanger, authentischer Opposition zu Moskau nur darum vom östlichen Rom gelöst, um sich jetzt, also im Ernstfall, nolens volens der Hegemonie von Johannes Paul II. unterzuordnen? Otto Kalscheuer