Das große Pulverfaß auf Südafrikas Land

Vertriebene Angehörige des Barolong-Stammes besetzen ihr früheres Eigentum/ Behörden reagieren mit Klage  ■ Aus Potchefstroom Hans Brandt

„Hörst du die Schakale?“ — der alte Mann hebt warnend eine schwarze Hand. Ein sanfter Wind schüttelt raschelnd Regentropfen von den Büschen. Dunkle Wolken, ausgeregnet, ziehen erschöpft der rot untergehenden Sonne hinterher. Saftig grün schimmert das Gras auf den Hügeln, die rotbraune Erde duftet feuchtfruchtbar. In der Ferne kläffen jaulend Schakale. „Früher habe ich Windhunde gezüchtet, mit ihnen auf meinem Pferd Schakale gejagt.“ Seine Augen leuchten. „Ich kenne jeden Stein, jeden Busch auf diesem Land. Und dieses Land, Machaviestad, ist groß. Wenn du durch dieses Tor gehen würdest, würdest du dich verlaufen.“

Aber das Tor ist verschlossen. 1971 wurde dieser Mann mit etwa 140 anderen Mitglieder des Barolong-Stammes von den Apartheidbehörden aus Machaviestad vertrieben. 150 Jahre hatten ihre Vorfahren dort gelebt. Lange vor den Buren, den weißen Siedlern, waren sie hier gewesen. Jetzt wurde ihr Land der benachbarten weißen Stadt Potchefstroom zugeteilt, ihr Vieh ohne Entschädigung beschlagnahmt, ihre Häuser plattgewalzt, die Schule zerstört. Heute leben die meisten Barolong in Ikageng, dem schwarzen Wohngebiet von Potchefstroom. Machaviestad ist an weiße Farmer verpachtet worden.

Millionen von Schwarzen ist es ähnlich ergangen, seit die Landgesetze von 1913 und 1936 die rassistische Aufteilung des Landes festlegten: 87 Prozent der Landoberfläche für fünf Millionen Weiße, 13 Prozent in Reservaten für 30 Millionen Schwarze. Schwarze Bauern in „weißen“ Gebieten mußten verschwinden, egal wie lange sie dort gelebt hatten oder wie eindeutig ihr Anspruch auf das Land war. Die Landgesetze haben aus selbständigen Kleinbauern entrechtete Wanderarbeiter gemacht, sind Grundlage für die Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Schwarzen, Fundament des Homeland-Systems, Keim von Armut und Hungersnot.

Jetzt werden Schwarze wieder das Recht haben, im „weißen“ Südafrika Land zu besitzen. Präsident Frederick De Klerk versprach gestern in seiner Eröffnungsrede vor dem südafrikanischen Parlament das Ende der Landapartheid in diesem Jahr.

Land — das ist für Buren („Bauern“) wie Schwarze ein emotionsgeladener Begriff. Die Buren haben sich dieses Land in jahrzehntelanger Flucht vor den verhaßten britischen Kolonialherren und im Kampf gegen die einheimischen Schwarzen erobert. Den Schwarzen ist andererseits ihr Land bei vorgehaltenem Gewehr von Briten und Buren geraubt worden. Für beide bedeutet Land Selbstbestimmung und Sicherheit.

Weiße Bauern machen die Mehrheit der Anhänger der ultrarechten Konservativen Partei (CP) aus. Sie sind bereit, zur Waffe zu greifen, um das Land zu verteidigen. „Mein Land mag schwer verschuldet sein“, meint ein weißer Bauer bei Potchefstroom. „Aber niemand wird es mir wegnehmen, niemand. Dafür bin ich bereit zu kämpfen.“

Die Angst weißer Bauern vor Enteignung ist allerdings kaum berechtigt. Die Abschaffung der Landgesetze bedeutet lediglich, daß nun auch Schwarze auf dem freien Markt Land erwerben können. „Wir wollen bestehende Grundbucheintragungen garantieren“, erläuterte Verfassungsminister Viljön gestern das Regierungsvorhaben. „Wenn man bestehenden Besitzern Land abnehmen wollte, wüßte man nicht, zu welchem Zeitpunkt man anfangen sollte.“ Von Wiedergutmachung der Ungerechtigkeiten der Vergangenheit ist keine Rede.

Für Schwarze ist andererseits eine Landgesetzreform ohne aktive Wiedergutmachung unvorstellbar. Die bloße Abschaffung der Gesetze, so Bongiwe Njobe von der Landkommission des ANC, „würde die historische Enteignung der schwarzen Afrikaner festschreiben“.

Die Barolong bei Potchefstroom haben ihren Anspruch auf Machaviestad nicht aufgegeben. Sozusagen als Weihnachtsgeschenk erlaubte die weiße Stadtverwaltung im Dezember einigen Mitgliedern des Stammes, fünf Tage lang die Gräber ihrer Vorfahren in Machaviestad zu säubern. Nach Ablauf der Frist weigerten sich etwa 80 meist alte Männer, das Land zu verlassen. Die weiße Verwaltung ließ 20 verhaften und des „unbefugten Betretens“ anklagen. Am 20. Februar sollen sie vor Gericht erscheinen. Der alte Mann, der in seiner Jugend Schakale jagte, ist einer von ihnen. „Wir sind zurückgekommen, weil es Veränderungen gibt“, sagt Ishmail Seroalo, ein Sprecher des Stammes. „Wir wollten diese Veränderungen auf unserem eigenen Land begrüßen.“

„Das Land gehört nicht diesen Leuten“, meint andererseits Andries Viljön, Verwaltungsleiter von Potchefstroom. „Sie können das Land nicht einfach besetzen und behaupten, es gehöre ihnen.“ Die Abschaffung der Landgesetze, sagt er, habe kaum etwas damit zu tun. „Die einzige Auswirkung davon ist: Die Leute könnten jetzt das Land kaufen und legal dort wohnen.“

„Warum sollen wir das Land kaufen?“ fragt Seroalo verärgert. „Sie haben uns kein Geld gegeben, als sie uns das Land weggenommen haben.“ Ohnehin würden die Barolong und andere durch Zwangsumsiedlung enteignete schwarze Gruppen niemals das Geld aufbringen können, um ihr Land zu gängigen Marktpreisen zu kaufen. Deshalb fordern der ANC und Wirtschaftsverbände die Einrichtung eines Landgerichtes, um über konkurrierende Landansprüche zu entscheiden.

Aufgrund afrikanischer Tradition können europäische Begriffe des Landbesitzes viele Probleme bei der Umverteilung des Landes in Südafrika allerdings gar nicht lösen. In den Homelands gehört das meiste Land nicht den eigentlichen Bewohnern, sondern wird gemeinschaftlich als Stammes- oder Staatsbesitz verwaltet. Einzelne Stammesmitglieder haben nur ein Nutzungsrecht. „Versuche, dieses Land zu privatisieren, könnten großes Leid verursachen“, warnt das Nationale Landkomitee, eine Menschenrechtsgruppe, die in der Vergangenheit gegen Zwangsumsiedlungen gekämpft hat. „Die Menschen glauben, daß sie ein Anrecht auf Land haben, daß dieses Recht nicht verkäuflich ist.“