Die VerliererInnen des Krieges stehen bereits fest

■ Kosten des Golfkrieges programmieren soziale Katastrophen vor/ Flüchtlingszahlen erhöhen sich um Millionen

Berlin (taz) — Wer wird schon knickerig sein, wenn große Bedrohungen das aufs Geld Schauen kleinlich erscheinen lassen? Wer will sich schon dem Vorwurf aussetzen, egoistisch den Sparstrumpf zu hüten, während andere ihr Leben gefährden? Doch vor den alle Dimensionen sprengenden Kosten des Golfkrieges zu erschrecken, hat nichts mit Knauserigkeit zu tun. Auf die Milliarden zu schauen, die täglich im Wüstensand versickern oder in der Luft explodieren, heißt auch den Blick schärfen — nicht nur für die Perversitäten einer immer gigantischeren Rüstungsmaschinerie, sondern auch dafür, daß durch diesen Krieg drängende Probleme über Jahrzehnte hinaus zur Unlösbarkeit verurteilt sind.

Zwei kurze Meldungen der letzten Tage nur, die in den Berichten über Kriegsstrategien und neue Angriffswellen verschwanden, rücken einige Dimensionen zurecht: Jede zur Abwehr der irakischen Raketen in die Luft geschossene „Patriot“ kostet eine runde Million Dollar. Zum Vergleich: Zweiundzwanzig dieser Abwehrgeschosse entsprechen dem Gesamtetat der Deutschen Welthungerhilfe. Ein einziger Tag dieses Krieges verschlingt exakt die Summe, die die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen im ganzen Jahr zur Verfügung hat. Ein Jahresbudget, das die Staaten dieser Welt für ausreichend befanden, die Not von rund 30 Millionen flüchtenden Menschen aufzufangen, ist plötzlich Tag für Tag verfügbar für einen Krieg, der die Zahl der Flüchtlinge schon in seinen ersten Tagen um einige Millionen Menschen vergrößert hat.

Daß der Golfkrieg schon jetzt einen Sieger kennt — die scheinbar schon zum Absterben verurteilte Rüstungsindustrie — ist nicht zu übersehen. Aber der Krieg hat auch jetzt schon — weit weg vom direkten Kampfgeschehen — seine Verlierer. Zu diesen Verlierern zählen Menschen in den Ländern der Dritten Welt und Osteuropa, die existenziell angewiesen sind auf die Hilfe der reichen Industrienationen. Diese Hilfe tröpfelte schon in Vorkriegszeiten nur allzu spärlich, aber immerhin bereitete noch vor wenigen Wochen eine Horrorvision westeuropäischen Politikern schlaflose Nächte: Millionen von Menschen, vor allem aus Osteuropa, die Einlaß begehren könnten in die Wirtschaftswunderwelt. Eilig einberufene Konferenzen sollten globale Lösungen für eine endlich als weltweit erkannte Realität von Flucht und Vertreibung finden. Doch als die hochkarätig besetzten internationalen Konferenzen dann — wie letzte Woche in Wien — endlich stattfanden, da hatten die Veranstalter Glück, daß sie jetzt niemand mehr beachtete. Denn die dort versammelten Politiker hatten nichts anzubieten — außer kurzsichtigen Abschottungsstrategien und schön klingenden Konzepten. Eine dieser griffigen Patentlösungen, die inzwischen von der Bundesregierung zur offiziellen „Flüchtlingskonzeption“ ausgelobt wurde, heißt: die Flüchtlingsprobleme in den Herkunftsländern lösen. Doch selbst wenn diese so plausibel klingende Parole jemals etwas anderes war als die Legitimation einer Politik der geschlossenen Grenzen — seit dem Golfkrieg ist sie längst von der Realität zur Unmachbarkeit verurteilt. Angesichts der Milliardensummen, die die westlichen Staaten in diesen Krieg stecken, ist eine solche Flüchtlingspolitik wie das Versprechen, den löchrigen Eimer mit einem Loch zu stopfen. Flüchtlingsströme zu stoppen, hieße jedoch in erster Linie, keine neuen Ursachen für den Zwang zum Verlassen der Heimat zu schaffen, und dieser Krieg tut genau das Gegenteil. Die Logik des Krieges durch einen sofortigen Waffenstillstand außer Kraft zu setzen, wäre deshalb nicht nur ein Durchbrechen der Gewaltspirale. Es wäre auch der einzige Ausweg aus einem Teufelskreis von dramatischer Verarmung und Flucht, von millionenfacher Entwurzelung und sozialen Spannungen, die ihre ersten Vorboten neuer — erklärter und unerklärter — Kriege bereits heute auf den Weg schicken. Vera Gaserow