„Araber haben ein Gefühl, als befänden sie sich in Feindesland“

■ Ralph Ghadban, aus dem Libanon stammender Mitarbeiter einer Berliner Beratungs- stelle für arabische Flüchtlinge, über die Stimmung unter Arabern in der BRD INTERVIEW

taz: Herr Ghadban, was hat sich für die in der Bundesrepublik lebenden Ausländer aus arabischen Staaten seit der Golfkrise verändert?

Ghadban: Der Krieg hat eigentlich in den Massenmedien begonnen, bevor er tatsächlich ausbrach. In den Medien wurde überwiegend die Position der USA und ihrer Verbündeten angenommen. Und die in Deutschland lebenden Araber haben dadurch gespürt, daß es für ihre Position kein großes Verständnis gibt. Wenn Fragen gestellt wurden, dann nach dem Motto: Bist du für oder gegen Saddam. Aber für die meisten Araber geht es nicht um die Person, die im Irak herrscht. Es geht ihnen um die Palästina-Frage und die Haltung der westlichen Länder dazu. Das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, verstärkt sich immer mehr. Und durch das steigende aktive Engagement der Bundesrepublik in diesem Krieg entwickelt sich für die Araber das Gefühl, daß sie sich hier in Feindesland befinden.

Was hat das für Konsequenzen für das Leben hier?

Der Krieg hat für die Araber hier sehr viel mehr Konsequenzen als für die Deutschen. Die meisten haben Angehörige in der Golfregion, um die sie sich große Sorgen machen. Und dazu kommt das Gefühl, in einer feindlichen Umgebung zu leben. Dadurch steigern sich ihre Ängste, obwohl sie zu einem großen Teil unberechtigt sind. Denn bis jetzt hat es von Seiten des Staates und der Bevölkerung keine Anzeichen für eine aktiv negative Haltung gegeben. Es gibt sicher Einzelfälle von Diskriminierung und Anmache, aber das ist noch kein verbreitetes Phänomen. Es ist z. B. nicht wie 1972 nach dem Angriff auf die israelische Olympiamannschaft in München, als jeder Araber und vor allem jeder Palästinenser aus dem Libanon als Terrorist behandelt wurde. Anders auch als nach dem Anschlag auf die Diskothek La Belle, als in Berlin Araber aus der U-Bahn herausgeholt wurden. Die Intervention des Staates ist bisher im Rahmen geblieben, und ich hoffe, daß das auch so bleibt.

Fürchten Sie, daß die Stimmung einmal in offene Feindseligkeit umschlagen könnte?

Das hängt sehr stark von den Medien ab. Wichtig ist vor allem, die arabischen Jugendlichen etwas zu beruhigen. Die Älteren sind eher verängstigt und versuchen den Konflikt zu vermeiden. Bei den Jugendlichen nimmt die Aggression zu, aus diesem Gefühl der Ungerechtigkeit heraus. Und da müßte auch von staatlicher Seite etwas getan werden.

Was müßte getan werden, um Angst und Aggression zu mindern?

Die Medien sollten auf das friedliche Zusammenleben zwischen Arabern und Deutschen stärker aufmerksam machen. Die Menschen in den arabischen Staaten werden in den Medien sämtlich als radikale Fundamentalisten dargestellt, als ob sie von Saddam manipuliert seien im Namen des Islam. Damit lassen sich herrschende Vorurteile leicht bestätigen. Israel dagegen erscheint als Vertreter der Zivilisation in der gesamten Region. Insgesamt aber habe ich den Eindruck, daß sich die Stimmen mehren, die diesen Konflikt langsam in seinem richtigen Rahmen sehen, daß es nämlich nicht nur um die Befreiung Kuwaits, sondern um die Vernichtung Iraks und um eine neue Weltordnung in der Region geht. Für die Stimmung unter den Arabern hier wäre es deshalb sicher sehr hilfreich, wenn die Ausländerbeauftragten der Länder, wie jetzt die Berliner Ausländerbeauftragte, an ein friedliches Zusammenleben appellieren würden. Wichtig wäre auch, daß sich deutsche Organisationen dafür einsetzen, daß die Meinung der hier lebenden Araber respektiert wird. Man kann davon ausgehen, daß alle Araber hier für den Irak sind — für den Irak als Land —, weil sie gegen die USA sind und gegen Israel. Aber nur wenige unterstützen Saddam. Dafür kennen wir ihn zu gut. Und auch der Herrscher von Syrien ist nicht viel besser. Keiner will den Krieg. Viele Araber hier in Deutschland haben Kriege miterlebt oder sind vor ihnen geflohen. Wenn sie Krieg gewollt hätten, wären sie in ihrer Heimat geblieben. Interview: Vera Gaserow