Das System der Gemeinheit

■ Bremer Literarische Woche: Helga Schubert diskutierte ihr Buch „Judasfrauen“ in der Büchergilde Gutenberg

Aus Originalakten des Volksgerichtshofes, dessen Präsident Roland Freisler 4951 politische Todesurteile verantwortete, und aus Wiederaufnahmeprozessen nach 1945 recherchierte Helga Schubert, klinische Psychologin und Schriftstellerin aus Ost-Berlin, „Judasfrauen“: zehn Fallgeschichten von Frauen, die während der NS-Herschaft Menschen denunziert und dadurch zu Tode gebracht hatten. So wie die schwangere Frau eines HJ-Führers, deren Fall Schubert am Sonnabend in der Büchergilde Gutenberg vorlas. Die hatte binnen drei Monaten ihren Frauenarzt unters Fallbeil gebracht, von dem sie herumerzählt hatte, er hätte mutig gefunden, daß sie ein viertes Kind in eine Welt setze, in der es, wenn es mit dem Krieg schiefginge, schlimm für alle kommen werde.

Nachdem der Aufbauverlag Schuberts Buch ein Jahr unveröffentlicht geparkt hatte, erschien es im März 1990 bei Luchterhand. Beinahe flehentlich betonte die Autorin wieder und wieder ihr Motiv für das Buch: ihrer DDR- Gesellschaft „den Spiegel vorzuhalten, auf meine Art und nicht zu gefährlich.“ In der DDR sei es so verstanden worden, als Parabel für den Verrat als Grundelement der Diktatur. Die Reaktionen in der Bundesrepublik aber, zur der Schubert inzwischen zu ihrer Freude gehört, sind ganz anders und offensichtlich so, daß sie, die jedesmal lächelt, wenn sie über schmerzliche oder knifflige Dinge spricht, sich schützt. Z.B. mit der wiederholten Erklärung, daß es ihr bei den „Judasfrauen“ weniger darum geht, daß Frauen die Täterinnen sind, sondern daß eine Diktatur sie dazu benutzt.

Die Westveröffentlichung — inzwischen erschien das Buch erweitert auch bei Aufbau und in der Büchergilde Gutenberg — ließ die Autorin in westliche Streits geraten. Deren Erbitterung traf sie unvorbereitet. In Bielefeld z.B. geriet sie auf die Speerspitzen eines forschungsgestählten Feminismus, der aggressiv ahndete, daß die „Judasfrauen“ bar jeder Kenntnis des westlichen Opfer- Täterinnen-Diskurses geschrieben seien. (Mit diesem Erlebnis rückte die Autorin, die davon ausgeht, daß die aus dem Osten und die aus dem Westen sich einander „ganz ganz langsam erklären müssen“, erst nach der Lesung beim Wein heraus.)

„Die Mehrzahl aller Denunzianten ist weiblichen Geschlechts“, hatte die Lektorin im Klappentext geschrieben. Aber das will Schubert so nicht unterschreiben und nicht herausbekommen haben. Wenn sich jemand aber so zuchtvoll erkundigt wie der bremische Lehrer, wo denn die Frauen mit ihrer Destruktivität bleiben, dann sagt sie doch, wie sie sich Frauen vorstellt: als Liebhaberinnen der indirekten, der verbalen, der fast nicht nachweisbaren Form der Aggression, auch der Denunziation.

Ob es in Bremen immer so unaggressiv und angenehm gesprächig zuginge, fragt die Autorin nach der Lesung, aufatmend. Im Westen erlebe sie das das erstemal. Je nun, die beiden zuständigen Wespennester fehlten an diesem Abend, das der feministischen und das der (ehemals) sozialistischen Fortschrittsequipe. Auch diejenigen, die immer und überall aus dem Stand beweisen, daß sie jede Schandtat des SED- Staates mit unsrigem dreimal erlebt haben, und wie ihr WG-Telefon nach Brokdorf geknackt hat, fehlten diesmal.

Zu ihrem Nachteil. Denn Helga Schuberts Geschichten belegen gerade durch die Einfühlung in die „Täterinnen“: Der Unterschied des Herrschaftssystems ist der Unterschied ums Ganze. Die menschlichen Verhaltensweisen, bei denen aus Angst und Kränkung Denunziation entsteht, sind so verständlich, wie sie normal und systemübergreifend sind. Nur: Die Diktatoren rufen sie ab über ihren geheimpolizeilichen Apparat. Der muß herausspitzeln, ob das Volk die ungewählten Herrscher noch duldet oder gefährdet. Was die parlamentarische Demokratie durch Wahl herausfindet. That's all. Uta Stolle