Giftgas-Grundlagenforschung: Bremer Hilfe für Hussein

■ Beihilfe, ganz legal: Bremer Unternehmen lieferte jahrelang High-Tech für irakische Rüstungs-Forscher

Scud-Raketen und Massenspektrometer unterscheiden sich vor allem so: Mit einem Massenspektrometer lassen sich unter bestimmten Umständen auch Menschenleben retten.

Massenspektrometer — das sind zunächst nichts weiter als höchstempfindliche Aufklärungsapparaturen im Dickicht der Stoffe-Welt, minimalistische Spurensuchgeräte im labyrinthischen Eheleben der Elemente, so empfindsam, daß sie z.B. untrüglich einem in einer Talsperre unbefugt aufgelösten Stück Würfelzucker auf die Schliche seiner fadwässrigen Süße kommen. Jedenfalls wenn sie in den klimatisierten Werkhallen des Bremer Unternehmens Finnigan MAT entwickelt und in Handarbeit montiert wurden.

Dioxin im Müllverbrennungsrauchgas, Cadmium in Muttermilch, Pestizide im Trinkwasser — all das gäbe es auch ohne Massenspektrometer. Nur: Niemand wüßte davon. Kein Forschungsinstitut, keine Chemie-Fakultät einer Universität, kein Pharma- Unternehmen kommt heute ohne Massenspektrometer aus. Spürpanzer, gerüstet für den Einsatz in giftgasverseuchtem Gelände auch nicht.

Mindestens sechs solcher Geräte (Stückpreis je nach Ausstattung zwischen 400.000 und 1 Million Mark) stehen heute im Irak, gebaut im Bremer Gewerbegebiet Warturm zwischen Woltmershausen und Grolland, geliefert von Finnigan MAT zwischen 1980 und 1989. Offizielle Empfängeradressen: Forschungslabors und Universitäten bei Bagdad und Musol. Ein völlig legales Millionengeschäft.

Das Bremer Unternehmen verließ sich auf die Zusicherung, keines seiner Geräte werde in der Rüstungsproduktion eingesetzt. Das Bundesamt in Eschborn, zuständig für die Exportkontrolle potentiell kriegsverwendungsfähiger High-Tech, ebenfalls. Auch amerikanische Genehmigungsbehörden, die seinerzeit dem Export der von Finnigan verwendeten US-Computer zustimmen mußten, sahen nicht den geringsten Grund, den irakischen Beteuerungen zu mißtrauen. Aus Bremen wurde legal geliefert, aus dem Irak prompt bezahlt.

Ob die Geräte je bei den in den Frachtpapieren aufgeführten Empfängern angekommen sind und ob sie dort tatsächlich nur zur Analyse von Sickerwasser irakischer Mülldeponien oder zur Diagnose des Milchsäuregehalts in der Atemluft von Neugeborenen eingesetzt werden — offiziell weiß man das bei Finnigan nicht.

Einem Massenspektrometer ist es egal, ob er Luft oder Giftgas in seine chemischen Grundsubstanzen zerlegt. Seinen Herstellern auch. Zumindest solange der Ruf der Firma nicht unter den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten ihrer Produkte leidet. In Interviews ersetzt Finnigan-Geschäftsführer Wolfgang Hrosch fehlendes Wissen durch firmenphilosophischen Optimismus: „Wir gehen davon aus, daß mit unseren Produkten kein Beitrag zur Giftgasproduktion geleistet wurde.“ Warum? „Weil wir von der Seriosität unserer Kunden überzeugt sind.“

Inoffiziell weiß Hrosch es mindestens seit zwei Jahren besser. 1988 reparierten Finnigan-Techniker eines der in den Irak gelieferten Geräte in Musol. Die Auftraggeber waren mit der geleisteten Arbeit zufrieden, Finnigan um eine Erkenntnis reicher: Hinter der Universität Musol verbirgt sich das größte Rüstungsforschungszentrum des Irak. Inzwischen geht auch das Bundeswirtschaftsministerium davon aus: In Musol wurde nicht nur die Zusammensetzung von Giftgas „optimiert“, sondern wurden auch Reichweite und Zielgenauigkeit irakischer Rakten „verbessert“. Ausgestattet wurden die Labors vor allem vom Bielefelder Unternehmen Gildemeister Projecta. Gegen deren Manager ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft. An der Rechtmäßigkeit der von Finnigan gelieferten Geräte besteht dagegen bis heute nicht der geringste Zweifel. Nach der Rückkehr seiner Kundendienst-Techniker lieferte das Bremer Unternehmen noch einen einzigen Massenspektrometer in den Irak. Der Auftrag war bereits vor dem Reparatur-Service eingegangen. Dann brach Finnigan sämtliche Irak-Beziehungen Irak ab. „Aus Rücksicht auf unsere übrigen Kunden und aus Gründen unserer Firmenphilosphie, schließlich liefern wir auch an Max-Planck-Institute und renommierte europäische Chemieunternehmen“, erklärt Geschäftsführer Hrosch. „Unser amerikanischer Mutterkonzern ist da sehr sensibel.“

So sensibel, daß Zollfahnder Anfang Januar auf dem Frankfurter Flughafen einen Spektrometer beschlagnahmten. Lieferadresse: Irak. Verdacht: Verstoß gegen Embargo-Bestimmungen. Lieferant: Thermo Jarrall Ash Corp., Boston, Massachusetts. Mutter- Konzern: Thermo-Instruments, Nevada, USA. Ein weltweites Unternehmen mit dreistelligen Millionenumsätzen. Ein Bremer Unternehmen trägt dazu jedes Jahr 50 Millionen bei. Firmensitz zwischen Grolland und Woltmershausen, Name Finnigan MAT. Butz Binkel