»Ich möchte mit dem Auto ins Theater fahren«

■ Der neue Verkehrssenator Herwig Haase erklärt, wie er sich und andere Verkehrsindividualisten in Bus und Bahn locken möchte

Berlin. An der Spitze der Berliner Verkehrspolitik steht seit vergangener Woche ein neuer Senator: Herwig Haase. Der 46jährige CDU-Politiker ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Seit 1983 ist er Mitglied des Abgeordnetenhauses und in der letzten Legislaturperiode Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses. Davor hatte er den Ausschuß für Finanzen geleitet. Haase studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der FU, legte 1969 sein Examen als Diplom-Volkswirt ab und promovierte 1976. Haase stammt aus Hohensalza in Polen.

taz: Herr Haase, fahren Sie Auto?

Haase: Ich fahre Auto.

Und was für eins?

Einen Golf ... den kleinsten Golf.

Und Ihre Frau?

Auch meine Frau hat ein Auto.

Fahren Sie mit dem Auto, wenn es sinnvoll ist, oder auch mal aus Bequemlichkeit?

Wir verwenden die Autos sinnvoll. Einmal für den Bereich Arbeiten und zum Einkaufen, und abends fahren wir ins Theater.

Ich selbst fahre Auto vor allem aus Bequemlichkeit. Was werden Sie als Verkehrssenator tun, damit ich meine Karre häufiger stehen lasse?

Zunächst kommt es auf den Wohnort an...

...ich wohne in Kreuzberg...

...ich an der Stadtgrenze. Insofern habe ich für die Benutzung des Autos ganz andere Gründe. Ich will — was in dieser Stadt ja auch schon seit Jahren gemacht wird — den Nahverkehr attraktiver gestalten. Der Autofahrer soll zum Wechsel...

...was bieten Sie mir an? Die U-Bahn Prinzenstraße ist nur vier Minuten von meiner Haustür entfernt...

...das halte ich doch für sehr attraktiv...

...trotzdem benutze ich die U-Bahn nicht. Das ist leider so.

Warum?

Das wissen Sie doch selbst. Das Auto steht vor der Tür, ich werde bei Regen nicht naß, kann meinen eigenen Radiosender hören und muß mich nicht über schlechtgelaunte Mitbürger ärgern. Also, Herr Haase, Ihr Angebot?

Wenn sie in der U-Bahn ihre Zeitung in Ruhe lesen, vielleicht — auch mit ihrem Walkman — Musik hören, dann wäre da doch eine Gleichwertigkeit.

Meinen Sie das ernst?

Also für Sie liegt die Attraktivität doch darin, daß Sie ihre U-Bahn in vier Minuten erreichen können. So günstig haben das viele andere nicht.

Im Koalitionspapier steht, daß die Regierungsparteien sich für einen verstärkten Straßenausbau und für ein Parkplatzleitsystem einsetzen wollen. Sollten Sie wider Erwarten schaffen, damit Staus abzubauen, wird doch das Auto attraktiver — nicht die BVG. Unsere Golfs lassen wir doch dann stehen, wenn wir wissen, daß wir im Stau steckenbleiben oder keinen Parkplatz finden werden.

In bezug auf ein Parkleitsystem sehe ich die Dinge anders. Berlin wird mehr Verkehr bekommen. Vor allem diejenigen, die von außerhalb in die Stadt kommen, möchte ich aus dem innerstädtischen Bereich heraushalten. Das wollen wir mit dem Parkleitsystem erreichen. Auch der Ausbau der Ringbahn soll Entlastung bringen — zugunsten des Wirtschaftsverkehrs und von Anwohnern.

Ausbau der Ringbahn soll Entlastung bringen

Wollen Sie als Verkehrssenator eigentlich nur, daß nicht noch alles schlimmer wird — oder wollen Sie die Lebensqualität in dieser Stadt verbessern?

Das Ziel ist natürlich, die Lebensqualität zu verbessern. Was ich aber nicht möchte, ist die Intervention. Ich möchte den Mobilitätswunsch der Bürger nicht mit Gesetzen oder durch Schikane beeinträchtigen.

Der Autoverkehr wird in Berlin wahnsinnig zunehmen. Schon im Jahr 1989 waren allein in West-Berlin 750.000 Kraftfahrzeuge registriert, Experten schätzen, daß die Zahl der Zulassungen bis zum Jahre 2000 auf eine Million steigt, 2010 soll es im Großraum Berlin 2,4 Millionen Blechkarossen geben. Greift Ihr Vorschlag, diesem prognostizierten Verkehrskollaps mit einer attraktiveren BVG und einem Parkleitsystem begegnen zu wollen, da nicht zu kurz?

Es wird ja nicht nur die BVG attraktiver werden. Ein Stichwort ist auch der Autobahnausbau in Neukölln. Dazu kommt der Aufbau eines ringmäßig um das Stadtzentrum geführten Straßensystems. Auf eine andere Art und Weise werde ich kaum die Entflechtung der Verkehrsströme erreichen. Und zur Lebensqualität gehört auch die Nutzung des privaten Fahrzeugs...

Auch im Innenstadtbereich?

Vielleicht in den Hauptverkehrszeiten nicht. Mit dem Auto zum Arbeitsplatz zu kommen gehört nicht unbedingt zur Lebensqualität. Daß ich aber damit zum Theater fahre...

...Sie sagten: nicht in den Hauptverkehrszeiten? Wollen Sie die Innenstadtbereiche für den privaten Autoverkehr von morgens 6 bis abends 7 Uhr sperren?

Das schwebt mir nicht vor. In dieser Situation des Aufbruchs — des Zusammenwachsens der Stadt — muß man die Verkehrsströme mit einer sinnvollen Planung in den Griff bekommen. Und wir haben uns eindeutig festgelegt, daß die Priorität beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs liegt.

Noch einmal zum Straßenring um die Innenstadt. Einer der Väter dieser Idee, Professor Hoffmann von der TU, sagt, daß in Spitzenzeiten alle Knotenpunkte hoffnungslos überlastet sein würden. Sind das für Sie übertriebene Befürchtungen?

Die Gefahr besteht. Das ist die Aufgabe meiner Verkehrsplaner, das in den Griff zu bekommen.

Was werden Sie im nächsten halben Jahr versuchen umzusetzen?

Ich habe bereits begonnen, mich mit anderen Verwaltungen abzustimmen und Aufträge zu vergeben. Im einzelnen wird es darum gehen, Punkt für Punkt umzusetzen, was wir im Koalitionspapier vereinbart haben.

Wollen Sie die Havelchaussee kurzfristig öffnen?

Die Havelchaussee wird wieder geöffnet.

Vor einer Öffnung müssen offenbar erst mal 30 Millionen Mark für den Gewässerschutz aufgewendet werden.

Das prüfen wir gegenwärtig. Es wäre aber ein verfehlter Ansatz, das Thema Ökologie ausschließlich an der Öffnung der Havelchaussee aufzuhängen. Ich kann Ihnen in Berlin — vor allem im Ostteil — eine Vielzahl von Straßen nennen, bei denen auch, ich sage mal, ökologische Dringlichkeit gegeben ist.

Ein anderes Streitthema sind die Busspuren und die Tempo-30-Zonen. In welchem Umfang wird es die weiterhin geben?

Tempo-30-Zonen werden überprüft

Die Busspuren und die Tempo-30- Gebiete werden derzeit überprüft. Durchgangsstraßen sollen nach Möglichkeit aus den verkehrsberuhigten Zonen herausgenommen werden.

Wo soll man wieder Tempo 50 fahren dürfen?

Ich nenne mal zwei Straßen. Einmal ist es der Bereich Spanische Allee. Auch die Aufpflasterung in der Xantener Straße hat bei Bürgern zu sehr viel Unmut geführt.

Stimmt es, daß Ihrem Haus in Bonn schon ein Mittelbedarf für den sechsspurigen Ausbau der Avus angemeldet wurde?

Einen Antrag auf den Aus- oder Weiterbau der Avus habe ich bisher noch nicht gesehen.

Nach den Vorstellungen der Koalition soll für den Erhalt und Ausbau des S-Bahn-, U-Bahn-, und Straßenbahnnetzes die nächsten 15 Jahre jährlich die gigantische Summe von einer Milliarde Mark ausgegeben werden. Woher soll das Geld kommen?

Wir haben enge finanzielle Spielräume. Deshalb richten wir unser Zukunftsdenken auf Konzepte, mit denen privates Kapital für den Ausbau nutzbar gemacht werden könnte. Im Zusammenhang mit der Olympiaplanung kann ich mir vorstellen, daß es dort nach bewährten Modellen gelingt — wie bei der Münchner U-Bahn —, dem Verkehrssystem die notwendigen Investitionen zuzuführen.

Wie wollen Sie privates Kapital mobilisieren?

Zur Erschließung von Gewerbegebieten könnte man private Anlagen, zum Beispiel Gleise und Kanalisation, durch Trägergesellschaften bauen lassen.

Und beim öffentlichen Personennahverkehr?

Glauben Sie, daß uns jemand die BVG abnimmt?

Sind von Ihnen in nächster Zeit politische Entscheidungen zum weiteren Ausbau des Flughafens Tegel zu erwarten?

Flugverkehr aus der Stadt heraushalten

Eine Notwendigkeit will ich nicht ausschließen. Das Ziel ist, den Flugverkehr durch einen Großflughafen im Umland von Berlin aus der Stadt herauszuhalten. Tegel platzt aus allen Nähten, deshalb möchten wir Schönefeld stärker einbeziehen — bis hin zu einer gleichgewichtigen Auslastung beider Flughäfen. Das Interview führten

Thomas Knauf und Dirk Wildt