ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Ich hab' dich lieb, auch wenn du fusselst

Es gibt nicht besonders viele deutsche Bands, die deutsch singen, und noch weniger, die so deutsch singen, daß man nicht gleich davonlaufen muß. Genaugenommen sind mir in den letzten Jahren nur drei wirklich angenehm aufgefallen: „Die kolossale Jugend“ aus Hamburg, „Die Regierung“ aus Essen/Haltern und eben die „Flowerpornoes“, die Band mit dem ältesten Kindergesicht der Welt als Sänger. Es hört auf den Namen Tom G. Liwa und hat nun zum dritten Streich ausgeholt.

Auf ihrer neuen LP setzen die mittlerweile zum Trio geschrumpften Duisburger das mit Pumpkin Tide begonnene Experiment fort, deutsche und englische Texte nebeneinander zu stellen und/oder zu vermischen, als sei das schon immer so gewesen, sozusagen das Selbstverständlichste von der Welt. Die ganze Musik klingt wie aus dem Ärmel geschüttelt: kein Pressen, kein Röhren, kein Knödelkrampf vor mühsam breit produzierter Klangkulisse, sondern abgeklärtestes, beatfulstes Songwriting, leicht und frisch wie vom Demoband. Ganze 18 Stücke rumpeln in ungezwungener Mir-doch-egal-was- ich-anhab'-stonewashed-Produktion daher, nennen die Sterne am Himmel im Vorbeigehen „schweinescheißekalt“, lassen alle paar Takte ein leises Witzchen fallen, stolpern wie traumwandlerisch in den Refrain und sind gelgentlich auch schon vorbei, ehe sie so richtig angefangen haben. Man hat Mühe nachzukommen. I'm not in Love, das ist doch eigentlich von »10cc«, oder? Kokoloresladen (ausgerechnet) versprüht großzügig Kostproben jenes weltläufigen Charmes, den deutsche Poplieder gemeinhin gänzlich missen lassen (und der vielleicht in Duisburg nicht die schlechteste Schule durchgemacht hat). Das balladeske 2nd Meeting bricht leider an der dramatischsten Stelle ab. Und wie war das gleich noch mal: „Liebe macht die Welt sich drehn“?

Das klingt natürlich etwas seltsam, gerade zur Zeit, ist aber nicht einfach „naiv“ oder gar zynisch, sondern Produkt wirklich schweren Spinnertums, das sich in der Konsequenz der Wahl und Anwendung seiner Mittel selbst transzendiert, gleichsam das Wahre im Falschen der Popmessage als allerzerbrechlichste Schlagerweisheit dem verständigen Hörer samten ins Ohr friemelt: „Das Herz sagt zum Kopf: ,Ich hab' dich lieb, auch wenn du blöd bist!‘ Und der Bär sagt zum Bär: ,Ich hab dich lieb, auch wenn du fusselst!‘ Am Strand der großen Leere sitzen immer zwei und reden, haben irgendwo aufgeschnappt: Liebe macht die Welt sich drehn...“ Got it? Nicht!? Tja, vielleicht muß man Tom G. Liwas Stimme einmal gehört haben, die klingt, als sei sie Stunden nach dem Aufstehen immer noch irgendwie im Schlafanzug, auch sollte man sich wohl zumindest kurz mit Birgit Quentmeiers filigraner Keyboardtechnik vertraut gemacht haben, um wirklich zu verstehen, was die Band aus solchen Zeilen zaubert: Großes nämlich.

Also die neuen Könige von Deutschland? „Flowerpornoes“ on top of the pops? Wohl kaum. In den meinungsbildenden deutschen Musikorganen wie 'Spex‘ ist man schon wieder dabei, das unlängst noch gehätschelte Objekt als Ladenhüter auszumustern und zur weiteren Ausweidung den Stadtmagazinen zu überlassen. Offenbar paßt der gereifte, späthippieske Blumenporno-Approach bereits nicht mehr in die wave- und raveumdudelte Zeit. Sei's drum. Mir hat an dieser Platte gerade gefallen, daß die Musik ganz offensichtlich nichts wollen muß, sich selbst genug ist. Sie kommt von einer Band, die am Rande der Szene nicht unvergnügt ihr eigenartiges Wurzelsüppchen kocht.

Und noch einmal Ruhrpott. Tom Mega, der Essener Pop-Chansonnier mit eingebautem „Glaubwürdigkeitsbonus“ (Presseinfo), setzt mit Book of Prayers zum ebenfalls dritten und wohl entscheidenden Angriff auf die Hitparaden an. Handwerklich wird das immer perfekter. Jan Kazda und Wolfgang Schmidtke, beides ausgebuffte Jazzprofis (hauptamtlich bei einer Formation namens „Das Pferd“), haben mit ihren Kompositionen einmal mehr dafür gesorgt, daß Megas manierierter Gesang das nötige musikalische Unterfutter bekommt. Book of Prayers ist abwechslungsreich arrangiert und makellos produziert. Internationaler Sound-Standard ist angesagt, um so mehr, als 'Prinz‘ Mega im letzten Jahr „internationale Klasse“ bescheinigte und 'ME/Sounds‘ gar „eine Art Frank Sinatra des Atom- und Aids-Zeitalters“ heraufziehen sah.

Nun hat Handwerk aber bekanntlich nicht nur goldenen Boden, sondern ist oft genug reichlich öde, tot, bis zur Gesichtslosigkeit aufgerieben zwischen musikalischen Großkonzernen, an deren Möglichkeiten man dann doch nicht heranreicht, genialen Dilettanten wie Tom G. Liwa, die sich auf gewisse Zwänge gar nicht erst einlassen, und dem eigenen Willen, es mit Fleiß, Ausdauer und dem richtigen Ding zu etwas zu bringen. Schon nervt es, die vielen ganz offensichtlichen Vorbilder Megas zu zählen, und die Frage kommt auf, warum man sich aus zweiter Hand servieren lassen soll, was Brian Ferry, Tom Waits, Marc Almond und Nick Cave (wie immer man zu denen stehen mag) schon besser gebracht haben.

Der Reiz verschiebt sich auf das Strickmuster von Book of Prayers: alles, was irgendwie gut klingt, sich als geliehenes Sentiment einzuverleiben und dem Publikum als späte poetische Blüte eines vom Schalker Slum-Jungen zum Thomas- Bernhard-Leser und Brel-Interpreten emporgekommenen Bildungsprols zu verkaufen. Und das ist auf die Dauer zuwenig. Sicher, gewisse Fisimatenten, zu denen popmusikalische Gymnasiasten neigen, bleiben einem hier erspart; das Prinzip Klotzen, das bei aller Kunstfertigkeit im einzelnen den Gesamtplan beherrscht, führt zu straightem Entertainment ohne große Ausfälle: immer Breitwand, immer Gib-ihm, Song für Song. Aber wer verträgt schon pausenlos Schimanski-Dramatik?

—Flowerpornoes, As Trivial as Life and Death (Scratch'n'Sniff)

—Tom Mega, Book of Prayers (Rough Trade)

ICHHAB'DICHLIEB,AUCHWENNDUFUSSELST