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Wasserspülung im Atomklo

Das Endlager Morsleben in der ehemaligen DDR ist unsicherer als behauptet/ Studie sieht Gefährdung durch das Eindringen von Wasser/ „Geologische Verhältnisse ungeeignet“  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

In der bisher einzigen bundesdeutschen Atommüllkippe, dem von der DDR übernommenen Endlager Morsleben, ist der „größte anzunehmende Unfall“ (GAU) nicht auszuschließen. Das Salzbergwerk steht in der Gefahr, über kurz oder lang „unkontrolliert abzusaufen“. Dies ist das Hauptergebnis einer „Schwachstellenanalyse“ des Endlagers Morsleben, die die hannoversche „Gruppe Ökologie“ (GÖK) jetzt im Auftrag der „Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad“ erstellt hat.

Für ihr Gutachten haben die Hannoveraner Wissenschaftler die Betriebsgenehmigungen und Sicherheitsberichte des Endlagers einer kritischen Prüfung unterzogen. Dabei sind sie vor allem bei der Geologie des Endlagers auf gravierende „Schwachstellen“ gestoßen, die sich durch Änderungen im Endlagerbetrieb nicht mehr beheben lassen. „Die geologischen Verhältnisse in Morsleben erfüllen in keiner Weise die Anforderungen, die bisher in der Bundesrepublik an einen Endlagerstandort gestellt worden sind“, sagte der Geologe Jürgen Kreusch.

Dem Gutachten der GÖK zufolge verbindet in Morsleben eine potentiell wasserführende Salzschicht, der als „Laugenbringer“ gefürchtete Hauptanhydrit, die Endlagerhohlräume mit der Oberfläche des Salzstocks. Da sich der Salzstock weiterhin bewegt, ist nach Ansicht der Wissenschaftler ein Wassereinbruch über diesen Hauptanhydridstrang nicht auszuschließen. In das Morslebener Endlager und in die mit ihm auf mehreren Ebenen verbundenen Nachbargrube „Marie“ fließt schon jetzt über die beiden Schächte und über fünf weitere Stellen in den Stollen Wasser hinein. In der Grube Marie sind an einer dieser Zuflußstellen in den letzten Jahrzehnten bereits 1.000 bis 2.000 Kubikmeter Wasser in die Doppelschachtanlage gelangt. Da in diesem Bereich nur 40 Meter Salz die Bergwerkstollen vom darüberliegenden Deckgebirge trennen, geht Jürgen Kreusch davon aus, daß „hier möglicherweise bereits ein Grundwasserzufluß stattfindet“. Zum GAU kann es kommen, wenn sich ein solcher Grundwasserzufluß durch gebirgsmechanische Bewegungen verstärkt: Das eintretende Grundwasser würde die aus Salz bestehenden Stützen des Grubengebäudes auflösen. Das ganze Bergwerk droht einzubrechen, das im Wasser gelöste radioaktive Invertar wird nach außen gedrückt und an die Erdoberfläche transportiert. Obwohl die Informationen über das Deckgebirge über dem Endlager für die Wissenschaftler von der GÖK „völlig unzureichend sind“, gibt es schon jetzt Hinweise darauf, daß im Bereich Morsleben ständig Wasser vom Salzstock zur Erdoberfläche aufsteigt. Auf diesem Wege könnten auch Radionuklide in die Biosphäre transportiert werden.

Ein vernichtendes Urteil fällen die Wissenschaftler von der GÖK über die Sicherheitsheitsanalyse für Morsleben, die im Frühjehr vergangenen Jahres schon unter Berücksichtigung bundesdeutscher Anforderungen noch einmal fortgeschrieben worden ist. In die Modellrechnungen für die Langzeitsicherheit sind so wenig Informationen über die tatsächliche Geologie, dafür aber so viele unbewiesene Annahmen und extreme Vereinfachungen eingegangen, daß Jürgen Kreusch die Sicherheitsanalyse ein „Glasperlenspiel“ nennt. Das Ergebnis der Modellrechnungen sei „Papier mit Buchstaben drauf, die mit der Realität nichts mehr zu tun haben“. Kritisiert hat die Gruppe Ökologie in ihrer Schwachstellenanalyse auch die Unkenntnis über den in Morsleben eingelagerten schwach- bis hochaktiven Müll, die sich in den offiziellen Unterlagen zeigt. Die Wissenschaftler warnen vor akuter Gefahr von Bränden und von Schlagwetterexplosionen in dem Endlager und halten den Strahlenschutz für unzureichend. Die Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad hat die sofortige Stillegung von Morsleben gefordert.

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