Die Zahl der Flüchtlinge aus Irak ist noch klein

■ Walter Koisser, Vertreter des UN-Flüchtlingskommissars in Bonn, äußert sich zur Situation der Flüchtlinge/ Kurden gelten nicht als Flüchtlinge

taz: Herr Koisser, der Flüchtlingsstrom aus dem Irak — vor allem von Ausländern — ist bekannt. Vielfach wird aber berichtet, daß von seiten Bagdads eine Flucht dadurch erschwert wird, daß an den Grenzen ein Ausreisevisum verlangt wird. Stellt sich diese Hürde für alle Ausländer? Wie ist die Situation wirklich?

Walter Koisser: Die Zahl der Menschen, die aus dem Irak herausgekommen sind, ist im Vergleich zu dem was wir uns vorgestellt haben noch relativ klein. Wir haben schon sehr frühzeitig mit einigen anderen Organisationen zusammen — unter anderem mit dem Katastrophen- Hilfswerk und der Welternährungsorganisation — ein Aktionsprogramm ausgearbeitet, in dem wir uns auf etwa 400.000 Flüchtlinge eingestellt und dementsprechende Vorsorgen getroffen haben. So befinden sich jetzt im Iran, in Syrien, in der Türkei und in Jordanien Zeltlager, in denen jeweils 100.000 Flüchtlinge untergebracht werden können. Im syrischen Lager „El Hol“ gibt es nach Informationen aus der letzten Woche ungefähr 400 Menschen, davon haben nur 31 die irakische Staatsangehörigkeit. Im Iran sind es etwa 3.500 Nicht-Iraker und in der Türkei bisher auch nicht mehr als 400 Ausländer. Nach Jordanien sind ungefähr 6.000 Menschen geflüchtet, von denen aber ein Großteil, hauptsächlich Ägypter und Sudanesen, schon lange wieder in ihrem Heimatland sind. Im übrigen wissen wir von schätzungsweise 1.000 Menschen, die vor der jordanischen Grenze zur Flucht entschlossen sind. Ein Grund für diese relativ geringe Zahl kann natürlich darin liegen, daß die irakischen Grenzbehörden mit einem geforderten Ausreisevisum viele Menschen von einer Flucht abhalten, weil es für sie einfach zu kompliziert ist, an ein Visum zu gelangen. Es scheint aber, daß die jordanischen Staatsbürger ohne eine Genehmigung die Grenze passieren dürfen. Für diejenigen hingegen, die schon allein aus finanziellen Gründen von der Grenze gar nicht mehr nach Bagdad zurückkehren können, ist die Situation furchtbar. Wer das Wüstenklima kennt, der weiß wie verdammt kalt die Nächte sind. Uns sind jedoch die Hände gebunden. Wir haben leider keinen Zugang zum Irak.

Was halten sie von der Idee Rita Süssmuths, die das Flüchtlingsproblem zu einem „parlamentarischen Thema“ machen will?

Man muß das unbedingt aufgreifen. Es muß den Menschen die Freiheit gegeben werden, sich aus dem Krisengebiet in Sicherheit zu bringen, damit sie nicht um Leib und Leben bangen müssen. Es wäre richtig, wenn der Bundestag — wie auch Parlamente anderer Staaten — dies auch durch eine Erklärung verlangen würde.

Um den weltweit rund 15 Millionen Flüchtlingen zu helfen, steht dem UNHCR ein Jahresbudget von ungefähr 550 Millionen Dollar zur Verfügung. Wie der Leiter ihrer Organisation kürzlich sagte, entspricht dieser Betrag den Kosten für einen Kriegstag am Golf. Deshalb hat sich der UNHCR an die UN-Mitgliedsstaaten gewandt, um weitere 262 Millionen Mark für die Versorgung der Flüchtlinge am Golf aufzubringen. Gibt es da schon Reaktionen der Bundesregierung?

Im Gegensatz zur japanischen Regierung, die sich sofort bereiterklärte, 38 Millionen Dollar dazuzusteuern, hat es in der Bundesrepublik schon etwas gedauert. Man hat uns jetzt einen Betrag von fünf Millionen Mark zugesichert. Man muß sich vor Augen halten, daß die 550 Millionen Dollar auch durch Ausbildung und Erziehung eine Hilfe zur Selbsthilfe ermöglichen sollen. Nicht nur angesichts der Golfkrise mußten wir sehr wichtige Langzeitprojekte, die die Flüchtlinge in anderen Teilen der Welt auf sich selbst gestellt hätten, stoppen bzw. reduzieren. Also auch ohne die Golfflüchtlinge könnten wir mit dem eingeplanten Geld jetzt nur noch wirklich lebensnotwendige Hilfen aufbringen. Unsere Mittel sind demnach sowieso schon zu knapp. Ich weiß nicht, ob die fünf Millionen Mark von seiten der Bundesregierung das letzte Wort ist.

Herr Koisser, viele Kurden fliehen aus den Provinzen an der irakischen Grenze in Richtung Westen. Berichten zufolge vegetieren sie entlang der großen Landstraßen aus Angst vor dem Krieg. Die Bundesregierung tut sich schwer, die Türkei überhaupt als Krisengebiet anzusehen. Was sagen Sie dazu?

Man braucht einen sehr intensiven Dialog mit der Türkei, um dort bessere Bedingungen zu schaffen. Die Kurden müssen, wie jedes andere Volk auch, in demokratischen Verhältnissen in ihrem Heimatland leben können. Ihre Situation muß zunächst vor Ort verbessert werden, damit die Menschen nicht fliehen müssen. Möglicherweise ist in diesem Punkt auch schon sehr viel versäumt worden.

Allerdings gelten die Kurden für uns nicht als Flüchtlinge, da sie keine Staatengrenze überschreiten. Andere Organisationen aber, wie zum Beispiel das Rote Kreuz, setzen sich ja sehr stark für ihr Problem ein.

Sollten dort schwerwiegende Krisenfälle für einzelne Personen oder Gruppen auftauchen, so muß nicht nur die Bundesregierung, sondern die Internationale Staatengemeinschaft, wenn auch nur für eine kurze Zeit, die Leute aufnehmen.

Interview: Hasso Suliak