Streit um Engagement von Bundeswehrsoldaten im Golfkrieg: Wehrpflichtige und Zeitsoldaten sagen nein
■ Mindestens 30 Soldaten des Flugabwehrraketengeschwaders in Bremervörde haben angesichts der bevorstehenden Teilverlegung ihrer Einheit in die Türkei den Kriegsdienst verweigert. In Bonn bastelt man derweil an einer Änderung des Grundgesetzes.
Rund dreihundert Friedensbewegte aus Stade und Buxtehude haben am Samstag in der 10.000-Einwohner-Stadt Bremervörde gegen die Verlegung von Bundeswehrsoldaten in den Osten der Türkei demonstriert. Die DemonstrantInnen forderten alle Soldaten zur Kriegsdienstverweigerung auf. Die Demonstration zog von der Kundgebung auf dem Rathausplatz zur Mahnwache vor der Bremervörder Kaserne weiter, wo eine Schülerin seit Donnerstag in den Hungerstreik getreten ist. Vor dem Rathaus verkündeten unterdessen 50 CDU-AnhängerInnen ihre Solidarität mit der Nato und dem geplanten Bundeswehreinsatz im Falle eines irakischen Angriffs gegen die Türkei.
Dreißig bis vierzig Soldaten der Bundeswehrkaserne in Bremervörde haben inzwischen den Bundeswehrdienst am Golf verweigert. „Als wir am Dienstag auf einer Übung waren, wurde plötzlich unterbrochen“, erzählt Mark Pahl*. Er ist einer der 62 Wehrpflichtigen in der dritten Kampfstaffel des Bremervörder Geschwaders 36, die am Samstag auf einer Pressekonferenz in Bremen ihre Entscheidung begründeten. „Dann wurde uns gesagt, wir sollten alles abmarschbereit machen, denn es ginge ganz weit weg.“ Doch erst vor Dienstschluß am Abend erfuhren die Soldaten, was wirklich los war: Teile des Flugabwehrgeschwaders sollen in die Türkei verlegt werden, voraussichtlich nach Diyarbakir, einer 500.000-Einwohner-Stadt im Herzen Kurdistans.
Was es bedeutet, Soldat zu sein...
„Für uns war das ein echter Schock“, sagt Patrick Sommer*, ebenfalls Wehrpflichtiger der gleichen Staffel. „Es war unheimlich, wie die Offiziere mit Witzeleien und künstlicher Fröhlichkeit versuchten, uns die Geschichte schmackhaft zu machen.“ Für beide steht jedoch inzwischen fest: Sie werden, zusammen mit etwa 40 anderen Wehrpflichtigen und Zeitsoldaten, den Dienst mit der Waffe verweigern.
„Als ich zur Bundeswehr gegangen bin, war mir überhaupt nicht klar, was das bedeutet“, begründet Mark Pahl, der inzwischen 22 Jahre alt ist, seine Entscheidung. „Ich wollte die Zeit möglichst schnell rumkriegen und dann mit dem Studium beginnen. Wenn ich mich damals für den Zivildienst entschieden hätte, wäre mir für das Studium noch ein ganzes Jahr mehr verlorengegangen.“ Erst durch den Golfkrieg habe er begriffen, was es heißt, Soldat zu sein — „da runter zu müssen und dort zu töten“. Patrick Sommer, 21 Jahre alt, ging es ähnlich. „Man hat damals den Ernst der Sache noch nicht gesehen, es war mehr so 'ne Notwendigkeit, die man hinter sich bringen mußte, weiter nichts.“
Auch er hat erst durch den Golfkrieg verstanden, daß es kein Spiel ist, Soldat zu sein. „Da habe ich erst gemerkt, daß ich gar nicht dazu fähig bin, zu kämpfen oder irgendwelche Leute umzubringen.“
Hans Martin*, Feldwebel und Zeitsoldat (für 12 Jahre) der Staffel, kam zu dem gleichen Schluß. „Überall werden Kinder geboren und von ihren Eltern wie Augäpfel gehegt, und dann sollen sie in solchen unsinnigen Auseinandersetzungen geopfert werden. Das finde ich schrecklich.“ Vor zwei Tagen hat er sich entschieden: Auch er will kein Instrument der Bundeswehr sein. „Für mich ist wichtig, daß ich nicht in den Gewissenskonflikt gerate, jemanden töten zu müssen.“
Als der ehemalige KFZ-Mechaniker 1983, damals arbeitslos, zur Bundeswehr kam, sah er hier endlich eine Möglichkeit, sich eine Existenz aufzubauen. Später hatte er zwar Zweifel, konnte aber, da er inzwischen spielsüchtig geworden war, nicht mehr auf das Geld verzichten. Mindestens zehn Jahre wird er noch Schulden zurückzahlen müssen. „Mittlerweile ist es mir aber vollkommen egal, welche Konsequenzen es für mein weiteres Leben hat, wenn ich verweigere“, sagt er.
Was für alle eine Überraschung war: Viele der Vorgesetzten zeigten Verständnis. „Uns hat man sogar bei der Parole gesagt, daß die, die verweigern wollen, das jetzt tun sollten und nicht erst in der Türkei, wenn es zu spät ist“, erzählt Patrick Sommer. Dann kam allerdings die große Bestürzung, als so viele davon Gebrauch machten. Immerhin seien es in der dritten Staffel die Hälfte aller Wehrpflichtigen und zwei Zeitsoldaten. „Unsere Staffel hat in dem Geschwader eine echte Vorreiterrolle, was Wehrdienstverweigerer angeht“, meint Mark Pahl. Bei ihnen werde auch viel darüber diskutiert. „Aber jeder muß natürlich sein eigenes Gewissen befragen“, betont Patrick Sommer.
Auch Reservisten verweigern sich
Auch in Bremen sagten am Samstag Soldaten und Reservisten auf dem Marktplatz öffentlich Nein. Über 300 waren gekommen und 150 unterschrieben folgende Erklärung: „Ich stehe der Bundeswehr für den Krieg am Golf oder anderswo nicht mehr zur Verfügung. Hiermit beantrage ich die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer.“ „Wer heute den Kriegsdienst verweigert“, sagte Hartwig Hinney von der Gruppe „Reservisten verweigern sich“ auf der Kundgebung, „der handelt geschichtsbewußt, selbstbewußt, verantwortlich, konsequent und mutig.“ Sich gegen die von Politikern, Militärs und Medien inszenierte Diffamierungskampagne zu wehren, das erfordere Charakter und Willensstärke. Viele, die gekommen waren, begründeten ihre Entscheidung vor dem Mikro, wechselten Uniform- gegen zivile Jacken, und einer zog sich sogar trotz der Kälte bis auf die Unterhose aus; Helm, Wehrpaß, Erkennungsmarke, Hose, Stiefel und Jacke landeten auf der Erde. Birgit Ziegenhagen
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