: Colonia Dignidad vor der Auflösung?
■ Chiles Regierung will die berüchtigte deutsche Terrorsiedlung schließen
Santiago (taz/afp) — Die chilenische Regierung hat am Freitag die Schließung der berüchtigten deutschen Siedlung Colonia Dignidad angeordnet. Seit 30 Jahren sind an die 300 Menschen hinter doppeltem Stacheldrahtzaun unter dem Regime des deutschen Sektenführers Paul Schäfer einem Alltag von Mißhandlungen und Arbeitszwang ausgesetzt. Seit nunmehr 15 Jahren versuchten Angehörige der in der Siedlung gefangengehaltenen Sektenmitglieder und die Menschenrechtsorganisation „amnesty international“ die Auflösung der Colonia Dignidad zu erzwingen. Vergeblich. Die Militärdiktatur, die auf dem Gelände der Siedlung zeitweilig eine Folterstätte unterhielt, stellte sich immer quer. Ob der Regierung des Christdemokraten Patricio Aylwin nun die Schließung gelingt, ist noch offen. Der Anwalt der Colonia, Fidel Reyes, hat Berufung gegen das präsidiale Dekret eingelegt. Außerdem stellt sich auch das Problem, wer die Auflösung konkret durchsetzen soll. Schwer bewaffnete Patrouillen der Sekte sicherten bislang das Gelände.
Zahlreiche Mitglieder der Sekte im Süden Chiles wehrten sich vermutlich auf Anweisung ihres Führers Paul Schäfer mit einem Hungerstreik gegen die Anordnung. „Wir verstehen nicht, warum wir nicht in Frieden arbeiten dürfen“, sagte am Samstag Hartmut Hopp, der in der 350 Kilometer südlich von Santiago de Chile gelegenen Colonia Dignidad als Arzt tätig sein soll. Menschenrechtsorganisationen werfen den Sektenführern unter anderem Folter und weitere massive Menschenrechtsverletzungen vor. Sie sprachen wiederholt von einer Willkürherrschaft auf dem etwa 15.000 Hektar großen Gelände. Dort würden auch Gehirnwäschen vorgenommen. Der Lagerleitung unter Sektenführer Paul Schäfer wurde vorgeworfen, die Bewohner systematisch gefoltert und sexuell mißbraucht zu haben. Nach Angaben geflüchteter Sektenmitglieder mußten die Bewohner der Siedlung getrennt von ihren Ehepartnern leben und Zwangsarbeit verrichten.
Zudem soll der chilenische Geheimdienst die Kolonie nach dem blutigen Militärputsch 1973 als Folterort benutzt haben. Der Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes CUT, Nelson Fuentes, erklärte vor einem chilenischen Gericht, er sei 1975 mit Schlägen und Stromstößen traktiert worden. Während der Zeit seiner Gefangenschaft habe es mindestens 40 weitere Häftlinge gegeben, die ebenfalls schwer gefoltert worden seien. Chiles ehemaliger Diktator General Augusto Pinochet hatte in der Zeit seiner Gewaltherrschaft von 1973 bis 1990 schützend seine Hand über die Colonia Dignidad gehalten. Bemühungen, die Zustände auf der Ranch von internationalen Organisationen überprüfen zu lassen, wurden wiederholt von den Militärs abgeschmettert.
Die Siedlung, die von der chilenischen Regierung mit jährlich 237.000 Dollar subventioniert wurde, verfügt über große Ländereien, Schürfrechte, Industrie- und Handelsbetriebe. Diese Vermögen „wurden durch die Zoll- und Steuerbefreiungen vermehrt“, heißt es in einer offiziellen Erklärung. Die erzielten Gewinne seien weder den vorgesehenen gemeinnützigen Zwecken zugeführt noch für die einzigen sozialen Einrichtungen ausgegeben worden, die die Colonia Dignidad mit einem Krankenhaus und einer Schule unterhalte.
Der Besitz der Sekte soll nun laut Regierungsbeschluß auf eine methodistische Gesellschaft übergehen. Aus Regierungskreisen verlautete zudem, falls die Sektenanführer nicht in Kürze Chile verließen, würden ihnen Strafverfahren nach geltendem chilenischen Recht drohen. Als wenig wahrscheinlich bezeichneten Beobachter Vermutungen, daß Schäfer nach Deutschland zurückkehren werde. thos
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen