Keinen Bock mehr auf eine dreckige Elbe

Wenn es ums Trinkwasser geht, wollen Experten und Betroffene nicht länger aneinander vorbeireden/ Grüne Liga stellt Thesen zum Wasser zur Diskussion/ Arzneimittelwerk Dresden und Zellstoffwerke Pirna müssen Schadstoffeinleitung in die Elbe reduzieren und einstellen  ■ Von Detlef Krell

Dresden — Um Fachleute und Laien, Experten und Betroffene zu gemeinsamer Öko-Aktion zusammenzuführen, haben Ende vergangenen Jahres in Dresden mehrere Öko-Initiativen das Umweltprojekt „Elbesanierung“ angeschoben. Die Initialzündung gab die von Greenpeace organisierte „Beluga-Expedition“ auf der Elbe, eine Reise auf dem drittgrößten und dreckigsten Fluß Europas. „Wir schließen den Kreislauf“, verkündete damals vor gut einem Jahr ein meterlanges Transparent den verdutzten MitarbeiterInnen des „VEB Vereinigte Zellstoffwerke Pirna“. Greenpeace hatte an das Abflußrohr des Elbvergifters einen Schlauch angebracht und die gelb schäumende, flockige Brühe in den Betrieb zurückgeleitet. Im Ergebnis der Greenpeace-Aktion wurde den DresdnerInnen die stinkende Elbbrühe unter die Nase gehalten und eine umfangreiche Studie über die Trinkwasserversorgung im Raum Dresden vorgelegt.

Eine Öffentliche Diskussion um den Dreck

Die bis dahin nur hinter vorgehaltener Hand geführte Diskussion über die Trinkwasserqualität im Oberen Elbetal gelangte somit endlich an die Öffentlichkeit. Die anschließend im November in Dresden von Greenpeace vorgestellte Studie des Instituts für sozialökologische Forschung Frankfurt/Main provozierte erneut die kontroverse Diskussion über ökologische Trinkwasserkonzepte. Was die Dresdner tagtäglich aus ihren Leitungen als Trinkwasser vorgesetzt bekommen, ist alarmierend. Neben der Papierindustrie vergiften insbesondere kommunale Abwässer und die der chemischen Industrie den Wasserhaushalt. Ein Umweltsünder, das Arzneimittelwerk Dresden, mußte nunmehr zehn Produktionsverfahren einstellen, da Wasserschadstoffe der Kategorie 1 endlich nicht mehr in die Elbe eingeleitet werden dürfen. „90 Millionen DM Produktionsausfall“ rechnet die Unternehmensleitung vor und bittet um Zeit bei der ökologischen Sanierung des Werkes, das heute noch 130 Arzneimittel, so zur Behandlung von Herz- und Kreislauferkrankungen und Erkrankungen des Zentralnervensystems, herstellt.

Vom täglichen Verbrauch von sieben Tonnen chemischen Sauerstoffs soll das Werk auf drei Tonnen zurückfahren; knapp vier Tonnen sind nunmehr erreicht. Immer noch zu viel, aber „eine zwischenzeitlich akzeptable Lösung“, verlautete aus dem sächsischen Umweltministerium. Für das Umweltprojekt Elbesanierung nur ein „Kompromiß“. Die Staatliche Gewässeraufsicht und die BürgerInitiative Lebensraum Obere Elbe e.V. würden maximal zwei Tonnen hinnehmen.

Ein Öko-Auge zugekniffen für eine ökonomische Chance

Die Zukunft der für die Elbe tödlichen Zellstoffindustrie ist noch immer unklar. Heidenau, Coswig, Trebsen und Crossen, alles technisch zurückgebliebene, unrentable Werke, mußten schließen; Pirna und Gröditz arbeiten noch immer, doch niemand will sie so recht haben.

Als Greenpeace die Pirnaer im vergangenen April besuchte, war noch von neuen Technologien die Rede; bis 1994 sollten, wie es der damalige Betriebsleiter ankündigte, ein geschlossener Wasserkreislauf und die zweistufige, biologische Reinigung stehen. Heute, ein Öko-Auge zugekniffen, geben Land und Treuhand dem Betrieb und seinen 2.500 Beschäftigten eine letzte ökonomische Chance: Noch bis zum 30. Mai ist die Galgenfrist gesetzt, dann soll das Arzneimittelwerk an die Kläranlage Kaditz angeschlossen werden. Dort entsteht bis dahin die erste, die mechanische Abwasserbehandlungsstufe als Teil des weitgehend vom Bund finanzierten modernsten Klärwerks Deutschlands.

180 Millionen Liter Abwasser täglich ungeklärt in die Elbe

Noch fließen täglich 180 Millionen Liter ungeklärten Dresdner Abwassers in die Elbe. Die sehr engen Grenzen einer mechanischen Behandlung, zumal noch im Probebetrieb, von pharmazeutischen Abwässern liegen auf der Hand. Deshalb fordern die Öko-Initiativen eine erste Abwasserbehandlung im Werk, anstatt, wie bisher, die Brühe nur zu lagern und zu neutralisieren. Aber die Zellstoffwerke sind nur eine der Ursachen für den alarmierenden Zustand des aus der Elbe gewonnenen Trinkwassers. Das industrielle Ballungsgebiet im Oberen Elbtal, zwischen Schmilka und Riesa, entlädt täglich eine Fracht in die Elbe, die den Fluß zum schwimmenden Bergwerk verkommen läßt. 100 Tonnen Kupfer, 60 Tonnen Chrom, 50 Tonnen Blei, 25 Tonnen Nickel, 12 Tonnen Arsen und 2,5 Tonnen Cadmium kamen Ende der 80er Jahre in Hamburg an.

Kürzlich hatte, der Greenpeace- Studie folgend, das Umweltprojekt Elbesanierung zu einer Konferenz für ein ökologisches Konzept der Zellstoffindustrie im Osten eingeladen. Industrie, Wasserwirtschaft, Gewerkschaft, Wissenschaft, Greenpeace und die Grüne Liga diskutierten die Probleme im Spannungsfeld Ökologie — Industriestandort. Dieses von der alternativen Umweltbewegung initiierte Miteinander war eine Premiere, zu der jedoch Umweltministerium und Treuhand fehlten. Das Zellstoffwerk Pirna konnte darstellen, wie es die Chloranwendung verlassen hat und den Einsatz von Chemikalien verringert. In der Elbe macht sich das bereits bemerkbar, wie die Wasserwirtschaft feststellte; doch das Sanierungskonzept, kritisierten die ÖkologInnen, läßt dem ökologischen Umbau zuviel Zeit.

Zum Sortiment der Pirnaer Zellstoffwerke sollen auch künftig mehrere Wegwerfartikel gehören, hergestellt aus hochwertigem Zellstoff. Greenpeace kündigte in Dresden eine Zellstoff-Dokumentation an, die auf eine erhöhte Sensibilität der VerbraucherInnen ziele.

Unterdessen ist die Bevölkerung im Oberen Elbtal einem erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt. Von 143 zwischen März 1987 und Januar 1989 durch die Dresdner Medizinische Akademie entnommenen Elbwasser-Proben erwiesen sich 89,5 Prozent als viruspositiv. Nach aktuellen Greenpeace-Untersuchungen ist das Risiko, im Oberen Elbtal an Krebs zu erkranken, um 50 Prozent höher als sonst im Osten Deutschlands. Weniger beunruhigende Ergebnisse hatten Untersuchunen der in Dresden aktiven Gelsenwasser AG gebracht. So wurden die gefährlichen Clorphenole im Elbwasser nicht festgestellt. Allerdings räumte das Unternehmen ein, nicht ohne eine gehörige Portion Medienschelte, daß die an zwei Tagen entnommenen Wasserproben für die teilweise erheblich schwankenden Belastungen der Elbe nicht repräsentativ seien.

Wasserforum für den 21. Februar angesetzt

Nach diesem verdienstvollen, außerparlamentarischen Einstieg in die Umweltpolitik des Landes wollen die Initiative Elbesanierung, die IG Lebensraum Obere Elbe, der Ökologische Arbeitskreis der Dresdner Kirchenbezirke und die Greenpeace- Gruppe Dresden die öffentliche Diskussion am 21. Februar mit einem Wasserforum fortsetzen. Dafür legen sie bereits jetzt eine Reihe von Thesen vor.

„Als Sofortmaßnahme muß die Versorgung mit hygienisch bedenklichem Trinkwasser durch eine Flaschenversorgung abgelöst werden“, heißt eine durch Wasserwirtschaft und Umweltministerium heftig angegriffene Auffassung. Nach Auffassung von Elbesanierung und Greenpeace sollen mobile Container-Aufbereitungsanlagen mit Aktivkohle-Technologie die Versorgung überbrücken, um Zeit für „nachhaltige Zukunftskonzeptionen“ zu gewinnen.

Trinkwasser aus der sächsischen Kreide?

Es steht zu befürchten, daß die Dresdner Wasserversorgungs GmbH auf Sanierungskonzepte setzt, die schon in den Schreibtischen der DDR-Bürokratie lagerten. Neben dem bereits begonnen Ausbau der Wasserwerke sind vor allem die „Erschließung“ der Sächsischen Schweiz, die Ableitung von Wasser aus dem Senftenberger Raum und der Bau von Prozeßspeicherbecken in der Diskussion. Greenpeace und andere Umweltorganisation halten dagegen, daß die Zeit gekommen sei, „Vorstellungen durchzusetzen, die sich nicht nur am unmittelbaren Krisenmanagement orientieren, sondern die den Raum für Gesamtkonzeptionen — im Sinne eines ökologischen Aufbruches — ermöglichen, mit welchem nicht nur die Fortsetzung des SED-Krisenmanagement der BRD-Wasserwirtschaft vermieden werden können“.

Unter scharfer Kritik der ÖkologInnen steht die als „Erschließung“ euphemistisch umschriebene Entwässerung der Sächsischen Schweiz. Während sich Wasserwirtschaftler in eine Mengendiskussion flüchten, weisen ökologische Arbeitsgruppen auf die nicht absehbaren Folgen auch geringer Ableitungen von Grundwasser aus der Sächsischen Kreide für Artenvielfalt und Landschaftsbild hin.

Dr. Stein, Landschaftsschutzgebiets-Inspektor in der Sächsischen Schweiz, findet in diesem Konzept ökologische Schäden „von vornherein einkalkuliert“.

„Die wichtigste Voraussetzung für gutes Trinkwasser ist die Sanierung der Elbe“, erklärt Wasserwirtschafts-Chefingenieur Reinhard Rauh, und geht mit dieser Meinung schon über das bisher diskutierte Konzepte-Menü hinaus. Das Unternehmen hat einen Kooperationsvertrag mit der Gelsenwasser-AG, dem größten bundesdeutschen Wasserversorger, abgeschlossen. Beide Unternehmen sind keine kommunalen Wasserwerke, sondern Regionalversorger, und man sei sich, so die Gelsenwasser AG, auch mit Ministerpräsident Biedenkopf einig, daß eine Rekommunalisierung in Form einer städtischen Wasserversorgung verhindert werden müsse. Von Gelsenwasser favorisiert werden, neben der Elbsanierung, der Bau von Talsperren und der Ausbau der „Salppe“, des ältesten Dresdner Wasserwerkes. Gegen ein großes und bisher im Osten nicht übliches Arsenal von Aufbereitungstechnologien erhebt Greenpeace allerdings Bedenken und spricht vom Trend zur „Wasserfabrik“. Jegliche „Flickschusterei“ in der Wasserversorgung des Raumes Dresden sei angesichts der verfahrenen Situation unsinnig. „Vielmehr steht die umfassende Sanierung und Neuordnung des Wasserhaushaltes im Oberen Elbtal auf der politischen Tagesordnung.“ Dabei dürfe die baldige Sanierung der Grundwasservorräte ebensowenig ausgeklammert werden wie die sofortige Sanierung der Elbe. Der von Greenpeace gesetzte Rahmen faßt die Erneuerung des Wasserleitungsnetzes, den sparsamen Verbauch von Wasser, den Erhalt von Arbeitsplätzen, die Ansiedlung neuer Unternehmen, die Ökologie des Elbraumes und der Sächsischen Schweiz und die Kommunalisierung der Trinkwasserversorgung. „Ähnlich wie in Großbritannien der Milchmann täglich die Milch in Flaschen bis zur Wohnungstür ausliefert, sollte der Wasserversorger täglich das Trinkwasser in Flaschen oder Kanistern vorbeibringen.“ Dieser Notdienst, besonders für Schwangere, Kinder, Kranke und ältere Menschen, soll Zeit für brauchbare Lösungen schaffen. Die Wasserversorgung hat dafür bestenfalls ein müdes Lächeln übrig, wie schon die erste öffentlliche Diskussion des Greenpeace-Konzeptes zeigte. Der darüberhinaus vorgeschlagene Weg sieht den Einbau mobiler Aktivkohle-Filter in die Wasserwerke und die Entkoppelung der Trinkwasser- von den Brauchwassernetzen vor. Nach dem Vorbild der Arbeitsgemeinschaft Rhein-Wasserwerke sollte eine Arbeitsgemeinschaft der Elbwasserwerke gegründet werden und ihre Interessen gegenüber der Politik artikulieren.

Offen ist noch immer, wann die Dresdner Wasserwirtschaft GmbH die bereits im November zugesagte, öffentliche Diskussion über Trinkwasserstrategien beginnen möchte.

Greenpeace arbeitet jetzt an einer vergleichenden Studie über die Trinkwassergewinnung aus der Lüneburger Heide.

Die vom Umweltprojekt Elbesanierung angebotenen Thesen erfassen über die Trinkwasserqualität hinaus ebenfalls die Sanierung und Neuverlegung von Rohrnetzen, den Schutz und die Bewirtschaftung des Grundwassers, Aufbereitungs- und Spartechnologien und die Erweiterung von Trinkwasserschutzgebieten. So hatte sich Greenpeace für den Aufbau eines Brauchwassernetzes ausgesprochen. Bisher wird fast ein Viertel des Dresdner Trinkwassers für industrielle Zwecke bereitgestellt.

Integrierte Wasserspartechnologien und -konzeptionen

Neue Freiräume für die Versorgung mit Trinkwasser sehen die UmweltschützerInnen. „Utopisch“ und „nicht neu, aber ökonomisch nicht machbar“ hat die Wasserwirtschaft bereits beim ersten Forum im November abgewunken.

„Die Zukunft der Dresdner Region verkümmert, wenn ihr bloß technische Muster und Empfehlungen der alten Bundesländer übergestülpt werden“, heißt es in den Thesen. Gegen „technisches Krisenmanagement auf Dauer“ setzen die Dresdner Öko-Gruppen auf „integrierte, moderne Wasserspartechnologien und -konzeptionen“, die in die politische und wissenschaftlich- technische Debatte einbezogen werden müßten. Ob die Politiker in Sachsen diesen Weg mitgehen wollen, wird das anstehende Forum im Februar ahnen lassen.

Neben der kommunalen steht aber auch eine internationale Zusammenarbeit im Gewässerschutz an der Tagesordnung. Die „Internationale Kommission zum Schutz der Elbe“ hat, wie Sachens Umweltminister Weise kürzlich informierte, erste Arbeitsgruppen gebildet, zu deren Zielen auch Programme zur Reduzierung der Schadstofffrachten gehören. Innerhalb von zwei bis drei Jahren sollen diese Programme „die qualitätsgerechte Trinkwasserproduktion an der Oberen Elbe und in der Elbaue bei Torgau“ sichern.