Der Automatische Hahn

■ “Wir machen hier die Special Effects!“: Kurze Zeitreise in die Rüstwerkstatt des Bremer Theaters

In einem verschollenen Winkel des Theaters hausen, von dessen täglichem Donner ganz verschont, zwei alte Buben. Den ganzen Tag tüfteln sie und erfinden garantiert unnütze Dinge (einen Schaukelstuhl zum Beispiel, der von selber schaukelt), und die Zeit geht auf Zehenspitzen an ihnen vorbei.

I. Bis das Kreuz brennt

Mit Heule-Motor und flügelschlagend ist ein Hahn auf Rädern hinter mir her; hinter dem Schweißgerät dreht er bei und rollt, man muß sagen: gravitätisch, quer durch die Werkstatt wieder davon. Bis Hans-Ingo Gradt die Fernbedienung abschaltet und schon wieder lachen muß: „Ja, wir in der Rüstwerkstatt, wir machen hier die Special Effects. Schaun Sie, da drüben, der Hase!“ Da hockt still und stumm der elektrische Hase aus den „Lustigen Weibern von Windsor“, als Hoppler sonst ein geborener Komiker; jetzt ist leider die Batterie alle, und mir entgeht, wie der Hase läuft.

Rüstmeister Gradt und sein Kollege Karl-Heinz Gieschen sind unter den Illusions-Technologen die Kleinkünstler. Die verzwicktesten Problemchen lösen sie serienmäßig und mit Vergnügen. „Da kommt also“, sagt Gradt, „der Polixa, der Regisseur vom Don Carlos, und will ein brennendes Kreuz. Machen wir. Die ganze Pyrotechnik, auch das is unser Fach.“ Und erzählt von dem Kniffeln und Knobeln und Zündeln, von Strömungsturbulenzen und Druckausgleich. Aber sie haben es schließlich hingekriegt, daß das Gas über fünf Meter Kreuzhöhe jetzt gleichmäßig austritt. „Wenn die dann bei der Aufführung nicht immer vergessen würden, die Flasche aufzudrehen.“

II. Das Geheimnis des Schaukelstuhls

Und die Geisterhand, die den Schaukelstuhl im Zerbrochenen Krug anschubst? Da muß Gradt sich nachträglich noch am Kopf kratzen. „Bis wir das hatten!“ Und was hat er gemacht? Einen Scheibenwischermotor eingebaut, der ein Gewicht schwenkt. „Mußte der Stuhl auch mit.“ Und ich muß mit Gradt in die nächste Ecke.

Da zeigt er mir ein heruntergekommenes Moped, welches in der Verkauften Braut, wo es mitspielt, bloß Schall machen darf, keinesfalls Rauch und Gestank. Gradt hat ihm also einen Elektromotor eingebaut. Die Kraft überträgt ein altes Waschmaschinen- Trommelrad, die Akkus sind im Tank versteckt, und den Lärm macht ein Lautsprecher unterm Sattel. Natürlich muß Gradt einmal honoris causa um die Drehbank knattern; er steigt ab, und es quakt entsetzlich. „Das ist eine alte Alarmhupe. 220 Volt, hab ich auf 12 Volt umgewickelt.“ Da müssen wir zwei Jungens kichern; ich würd ihm auf die Schulter hauen, aber er ist schon weiter, der Düsengetriebene, ist schon vorausgelaufen ins Lager.

III. Eine Dose „Theaterblitz weiß“

In Regalen liegen Hunderte von Schwertern, Degen, Floretten, größtenteils selbstgefertigt, daneben ein Metallgurt zum Umschnallen, ein halber Dolch ragt heraus. Und Helme, Kronen, bauchige Rüstungsteile, Kettenhemden. Und Kabel und alte Motoren. Auf einem Spind steht Pyromat. Meinhoff. Gradt öffnet die Tür. „Ja, die Ulrike Meinhof von Kresnik. Da muß ja mal ein Container explodieren. Ham wir auch gebaut. Mit viel Theaterblitz und Feuer.“ Er zeigt mir ein Döschen. Aufschrift: Theaterblitz weiß. Zwei Stifte an der Unterseite, für die Zündkabel. Rechterhand stehen Kübel voller Brennpaste. „Das ist ein schwarzes Zeug aus Spiritus und so, das füllen wir dann in Blechrinnen.“

Gradt (weißhaarig, schwere Hände, Brille) ist ein doppelt Gelernter: sowohl Maschinenbauer als auch Rundfunk- und Fernsehtechniker. Früher hatte er mal einen Fernsehladen, seit elf Jahren ist er beim Bremer Theater, sagt er, und erzählt schon wieder von einer Kamera, die mal einer verlangte, die sollte irre schnell blitzen können - Hat er also jetzt seinen Traum, sage ich. „Schon, aber wir sind hier nur zwei. Manchmal stehn wir sechzehn, siebzehn Stunden täglich.“

IV. Das Traumfresserchen

Was kommt jetzt auf ihn zu? Weiß er noch nicht, sagt er und denkt nach. Und im Weitergehen zeigt er mir noch seine Wellenmaschine, eine Art Wasserplanierschild, „Frequenz und Wellenhöhe regelbar“, sagt er. „Ja, ich weiß nicht, Fricsay braucht wieder viele Gags, Gasfackeln und so. Aber erstmal machen wir einen aufblasbaren Wanst. Demnächst für das Traumfresserchen“. Manfred Dworschak