Bunte Untergrundparade für die Morgenmuffel

■ Der U-Bahnhof in der Paradestraße erstrahlt im neuen G'wand

Tempelhof. Vor dem Hintergrund der kriegerischen Auseinandersetzungen in Ost und West sei ihre Aufgabe »nicht so ganz einfach« gewesen, bekannte gestern bei der Übergabe des neugestalteten U-Bahnhofs Paradestraße die freischaffende Künstlerin Gabriele Stirl. Frau Stirl hatte die neuen Wandfliesen auf dem Tempelhofer Bahnhof der Linie6 irgendwie so zu gestalten, daß sie an das frühere Paradefeld der kaiserlichen Garderegimenter auf dem jetzigen Flughafengelände erinnern, aber nicht gar zu militaristisch wirken. Die Fahrgäste können nun auf ein abstraktes Raster kunterbunt glasierter Spaltplatten auf den ansonsten weißen Fliesenflächen gucken. Militärisch betrachtet sei trotz der formalen Strenge eine »Defensive« veranschaulicht, erklärte die Künstlerin. Denn: Vor dem Ersten Weltkrieg präsentierten die »Kaiserlichen« in bunter Paradepracht, aber keineswegs in Kampfesuniform.

Der BVG gefällt's. Man könne sich vorstellen, wie »auch der letzte Morgenmuffel« im Bahnhof für den ganzen Tag »erheitert« werde, schwärmte Geschäftsleiter Helmut Döpfer. In rund einjähriger Bauzeit erneuerte die BVG für rund sechs Millionen Mark in Tempelhof auch die Bahnsteige, die Stromversorgungs- und anderen technischen Anlagen. Ebenfalls eingeweiht werden konnte gestern ein neuer Behindertenaufzug. Er ist ergänzt durch ein erstmals auf einem BVG-Bahnhof zu findendes Blindenleitsystem: »Halt — hier geht es nicht weiter« signalisieren längs der Bahnsteigkante geriffelte weiße Steine.

Leider könnten unter dem Diktat der leeren Kassen im BVG-Bereich jährlich nur drei bis vier Bahnhöfe auf diese Weise renoviert werden, bedauerte Döpfer. In rund einem halben Jahr dürften sich erst einmal die Kreuzberger freuen: Dann werde das südliche Zugangsgebäude zum Bahnhof Prinzenstraße der U-Bahn- Linie1 fertiggestellt sein. Nächstes Großprojekt: Die Restaurierung des U-Bahnhofes Hermannplatz. Teuer wird dort schon das Nachbrennen der gelben Fliesen aus der letzten Schaffensperiode des Architekten Grenander. Folgt man dem für Technik und Bau zuständigen BVG-Oberen, müssen die Ostberliner wieder in die Röhre gucken: »Bei den Bahnsteigen drüben muß man das Geld vorerst in die Substanzsicherung stecken — und dann später erst in eine Renovierung.« Laut Döpfer müssen die provisorisch instandgesetzten Bahnhöfe der U-Bahn-Linien6 und 8 zunächst auf Vordermann gebracht werden, zum Beispiel die Stationen Stadtmitte mit der im Volksmund »Mäusetunnel« genannten Verbindung zwischen den beiden Untergrundlinien. thok