'Barricada‘ im neuen Gewand

■ Das sandinistische Parteiorgan wird unabhängig/ Profi-Journalismus statt Guerilla-Mentalität

Managua (taz) — Der schießende Guerillero hinter der Barrikade aus Pflastersteinen war mehr als zehn Jahre lang das Markenzeichen der sandinistischen Parteizeitung 'Barricada. Das Verschwinden dieses Symbols auf rot-schwarzem Grund (den Farben der FSLN) aus dem Kopf der Tageszeitung ist äußeres Anzeichen für den Beginn einer neuen Epoche: 'Barricada‘ in der vergangenen Woche durch einen Beschluß der Parteiführung in die Unabhängigkeit entlassen. Gleichzeitig soll die Guerilla-Mentalität in der Berichterstattung nach dem Ende der revolutionären Epoche endgültig professionellem Journalismus weichen. Die neue Linie des bisherigen Horts revolutionärer Wahrheit gehört zu den viele innerhalb der Partei umstrittenen Entwicklungen.

Die neue 'Barricada‘, so Comandante Bayardo Arce in seinem Leitartikel, „soll auf die Perfektion eines ausgewogenen Journalismus hinarbeiten, der mit der in Nicaragua vorherrschenden Einseitigkeit der Information bricht“. Verteidigung des Rechtsstaates und der Verfassung, Kampf für soziale Gerechtigkeit und mehr Partizipation der Massen, das sind die hehren Prinzipien, unter denen die Zeitung verantwortungsvoll Opposition machen will. „Für die nationalen Interessen“, heißt jetzt der Leitspruch der Zeitung. Doch die neue Aufmachung und die formale Unabhängigkeit „bedeuten nicht, daß 'Barricada‘ aufhört sandinistisch zu sein“, stellt Arce klar. Der Revolutionskommandant, der bisher als Chef der FSLN-Propaganda-Abteilung der Zeitung seinen Stempel aufgedrückt hatte, ist Präsident des Herausgeberrates, der sich ausschließlich aus altgedienten Parteikadern rekrutiert.

Darunter auch — und das mag ein Signal für die neue Kritikfähigkeit sein — Xavier Reyes Alba, der vor einigen Jahren als Vizedirektor der Zeitung abgesetzt wurde, weil er einen evangelischen Pastor zitiert hatte, der nach einer Begegnung mit Daniel Ortega gesagt habe, der Präsident sei ihm unsympathisch. Der Herausgeberrat soll die strategische Entwicklung des Blattes mitbestimmen, sonst aber nur auf der Meinungsseite zu Wort kommen. Für die tägliche Gestaltung ist allein die Redaktion verantwortlich, deren Direktor Carlos Fernando Chamorro bleibt, der sandinistische Sohn der Staatspräsidentin.

Die erste Ausgabe macht mit einer Farbreportage über den Drogenhandel an der Atlantikküste auf, berichtet über die Vorbereitungen des Parteikongresses und wettert gegen ein Dekret der Regierung, das die Pressefreiheit via technische Kontrollen einschränkt. Die Leserbriefseite eröffnet mit einem Furioso: Ein Parteiaktivist beschuldigt dort die sandinistische Führung, aus der Wahlniederlage nicht die Konsequenzen gezogen zu haben, denn die erhoffte Reinigung der Partei von Opportunisten und korrupten Elementen sei unterblieben.

Spätestens seit 'La Prensa‘, das Blatt der Staatspräsidentin, vom oppositionellen Kampfblatt zum offiziösen Organ geworden ist und 'El Nuevo Diario‘ sich durch halbnackte Mädchen und sensationell aufgemachte Mordgeschichten auf das Niveau einer billigen Boulevardzeitung begeben hat, meinen auch viele Konservative, daß 'Barricada‘ die lesenswerteste Zeitung des Landes ist. Ralf Leonhard