1938 bietet keine Lehren für 1990

■ Betr.: "Zweites München für Hussein", taz vom 29.1.91/"My Wonderful War", taz vom 26.1.91

betr.: „Zweites München für Hussein?“, taz vom 29.1.91

Bemerkenswert finde ich, daß die Friedensbewegung im Moment für sämtliche Versäumnisse der deutschen Politik und des deutschen Volkes verantwortlich gemacht wird.

Es gehen Menschen auf die Straße, um deutlich zu machen, daß sie eine Politik fordern, für die Krieg keine Möglichkeit ist, weder als Konfliktlösung zwischen Völkern und Staaten, noch zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen. Genau dieser Forderung kommt weder die deutsche Regierung noch die der USA und natürlich auch nicht, die des Irak nach. Diese Forderung hat weniger damit zu tun, „moralisch“ sauber zu bleiben, als mit der Befürchtung, daß uns Menschen auf dieser Erde wenig Zeit bleibt, wenn wir nicht lernen, die Konflikte, auch wenn sie Saddam Husein heißen, auf friedlichem Weg zu lösen. [...] Dina Hamza

Der Artikel ist ein interessanter Hinweis auf die moralische Zweideutigkeit von Klaus Hartung. Er übernimmt darin die billigsten und durchsichtigsten „Argumente“ der kriegführenden Regierungen und schleudert sie der Friedensbewegung ins Gesicht.

Vielleicht ärgert sich Klaus Hartung ganz einfach, daß die Friedensbewegung, im Gegensatz zu ihm, die Hintergründe dieses Krieges in ihre „politische Grundannahme“ mit einbezieht und sich nicht mit der flotten Formulierung des „irakischen Hitlers, der zu stoppen ist“, abspeisen läßt. Liest Herr Hartung eigentlich nicht die taz? Bei seiner im „Debattenbeitrag“ gezeigten Fähigkeit zur Analyse, würde er sich dann vielleicht ein bißchen kritischer mit den vorgeblichen „Kriegsgründen“ auseinandersetzen können. [...] Ludwig Bayerer, Zenting

Lieber Klaus Hartung, daß Du mit vielen Argumenten die Sicherheit und das Lebensrecht Israels in den Mittelpunkt des Golfereignisses stellen willst, ehrt Dich, doch wirst Du damit Verfechter der großzügigsten Lesart der UNO-Resolution, nämlich als Auftrag, den Irak „plattzumachen“ (vergleiche in derselben Ausgabe den britischen Verteidigungsminister King). In diesem „Friedensziel“ der von Dir unterstützten „Kriegsbewegung“ [um Dein Bonmot(?) umzukehren], sehe ich weder eine eindeutigere Moral, noch eine politisch sinnvolle, sichere Perspektive. Die Scuds fliegen doch erst, seit die Politik durch den Krieg ersetzt wurde. Also: zurück zur Politik — vielleicht sogar zu einer besseren! Klaus Schorer, West-Berlin

[...] Fällt es Herrn Hartung gar nicht auf, daß die neue Friedensbewegung sich im Unterschied zur Anti-Vietnam-Bewegung nicht mit einem Kriegspartner identifiziert?

Wie steht Herr Hartung eigentlich zur von Saddam Hussein geforderten Nahost-Friedenskonferenz? Darf einer sinnvollen Forderung nicht nachgegeben werden, weil ein Diktator sie im falschen Zusammenhang stellt?

Kann er es sich nicht vorstellen, daß im Auseinanderdividieren von „arabischer Sache“ und Saddam Husseins Wahnsinnspolitik eine Chance liegt, das „Tertium non datur“ in Frage zu stellen, das Hartung im Gleichklag mit Bush und Saddam Hussein proklamiert?

Die Zeit differenzierter Kommentare scheint vorbei zu sein. [...] Günther Egidi, Bremen

betr.: dito und „My Wonderful War“ von Henryk M.Broder,

taz vom 26.1.91

Endlich weiß der/die linke Intellektuelle, warum es genau richtig war, erstmal mit dem Arsch zu Hause zu bleiben. Ist doch die eine Hälfte der „Friedensbewegung“ eh für Saddam, die andere zumindest moralisch zweifelhaft. Diese Botschaft, gepaart mit der Schilderung der eigenen Begehrtheit [bezieht sich auf Broders Artikel. d.Red] oder gespickt mit einem lateinischen Bonmot (man ist ja humanistisch gebildet...) ist die Option für ein späteres „Ich hab's ja schon immer gesagt...“ mit nahezu beliebiger Fortsetzung — trotz oder gerade weil sie jetzt so unheimlich differenziert sein will. Thomas Müller, Marburg

Die Wiederherstellung der Souveränität Kuwaits und die Verringerung einer von Irak ausgehenden langfristigen Bedrohung anderer Staaten sind gewichtige Ziele. Allerdings hebt die Friedensbewegung zu Recht hervor, daß diese Ziele nur propagandistisch im Vordergrund stehen. Abgesehen davon stellt sich die Frage, ob der Krieg selbst ein angemessenes Mittel ihrer Durchsetzung ist. Dazu müßten zwei Minimalbedingungen erfüllt sein: Die Bedingung der letzten Option und die der Verhältnismäßigkeit. Hinter Klaus Hartungs Position erkenne ich die folgenden Prämissen: 1.Der Krieg ist die einzige, letzte Möglichkeit zur Durchsetzung der eben angeführten Ziele. 2.Der Verzicht auf ihre Durchsetzung würde langfristig zu so großen Übeln verschiedener Art führen, daß diese die kurzfristigen katastrophalen Kriegsfolgen übersteigen würden.

Zur Entkräftung der ersten Prämisse sollte man sich die Lage unmittelbar vor dem alliierten Angriff in Erinnerung rufen: Politiker und Kommentatoren waren sich keineswegs darin einig, daß die Anwendung politischer Maßnahmen (Nahost-Konferenz) beziehungsweise Gewaltmaßnahmen unterhalb der Kriegsschwelle wirkungslos bleiben würden (ein militärisch abgestütztes, langfristig angelegtes Embargo in Verbindung mit einem Verhandlungsangebot für den Rückzug aus Kuwait, begrenzte Truppenstationierung). Dies bestärkt meine Überzeugung, daß die Wahrscheinlichkeit größer als Null war, mindestens eines der beiden Ziele auf nichtkriegerische Weise zu erreichen. Da der Irak beim Aufbau seiner rein militärischen Macht auf massive europäische Unterstützung angewiesen war, ist beispielsweise die Annahme plausibel, daß seine militärischen Fähigkeiten beim Ausbleiben des Güternachschubs sich rasch vermindert hätten. Auf den Einwand, es habe noch nie ein erfolgreiches Embargo gegeben, würde ich erwidern, man habe auch noch nie die für den Krieg jetzt bereitsgestellten materiellen und logistischen Ressourcen zugunsten eines solchen Embargos eingesetzt.

Klaus Hartung hat damit Recht, daß es bei diesen Argumenten um Wahrscheinlichkeitsannahmen geht. Zwei unbeweisbare empirische Hypothesen stehen sich gegenüber: Die Behauptung einer angemessenen Erfolgswahrscheinlichkeit für nichtkriegerische Maßnahmen einerseits und die gegenteilige Behauptung andererseits. In dieser Situation plädiere ich für einen ethischen Gesichtspunkt, der die Umkehrung der von Klaus Hartung nahegelegten Beweislast fordert: Derjenige hat die Beweislast zu tragen, der mit seiner Handlungsoption kurzfristig mehr menschliches Leid in Kauf nimmt. Mit anderen Worten: Die Effizienz eines längerfristigen Embargos hätte erst erprobt werden müssen, bevor an eine ethische Rechtfertigung des Krieges auch nur zu denken ist. [...] Lars Riebold, West-Berlin

[...] Israel hat bis jetzt auf einen Gegenschlag verzichtet. „Eine Spur der Vernunft.“ Ja!

In der gleichen Weise ist es auch vernünftig davon auszugehen, daß ein Waffenstillstand Saddam Hussein am ehesten von einem Giftgasangriff auf Israel abhält.

Und weiter gilt: Wer die Fortführung dieses Krieges fordert, der muß erklären, für wen oder zu welchem Zweck noch mehr irakische Opfer und die militärisch nicht zu verhindernden Taten eines Saddam Hussein in Kauf genommen werden sollen. Die Friedensbewegung sollte deshalb weiter den Finger auf die entscheidenden Motive der (deutschen) Todesexporteure und Kriegsgewinnler legen. [...] Tom Schmidt, Bonn

[...] Klaus Hartung denunziert die Betroffenheit. Das ist schwer in Mode gekommen, weil man dahinter auch immer ein Stück Heuchelei entdecken kann. Und das zeigt sich ja auch jetzt wieder: Ich denke, wir sind diesmal wirklich direkt und selbst betroffen. Die dunklen Szenarien, die über die Ausweitung des Krieges, über die ökologischen Katastrophen gemalt und geschrieben werden, betreffen uns nun mal nicht nur moralisch, sondern direkt und materiell. Das ist auch der Grund, warum so viele junge Menschen, die von „stumpfem Antiimperialismus“ noch nichts wissen können, auf die Straße gehen. Weil wir auch für unsere eigene Zukunft kämpfen. Sind also die Friedensdemonstrationen mit ihrem globalen Anspruch auf Frieden nur eine Rationalisierung der eigenen Überlebensängste?

Das kann schon sein. Und trotzdem finde ich das legitim und nicht unmoralisch. [...] Ich gehe davon aus, daß ein solcher Krieg ein Anachronismus in unserer heutigen Zeit ist. Ich halte es für Männlichkeitswahn, von einem solchen Krieg überhaupt eine Lösung zu erwarten. Und ich fürchte, daß dieser Männlichkeitswahn auch zu einer weiteren Ausweitung dieses Krieges führen wird, weil jeder jedem was tut und dieser nun wieder sein Gesicht wahren und seine Ehre retten muß, bis zum Preis des Untergangs aller. Eigendynamik wird das genannt.

[...] Johannes Hartmann, Friedberg

[...] In dieser Verpackung von Fehlern, Halbwahrheiten, Verdrehungen und Unterstellungen wird die Hauptthese präsentiert: Waffenstillstand sofort=Zweites München für Hussein. Daran ist fast alles falsch, auch wenn Saddam Husseins Menschenverachtung und Rücksichtslösigkeit unter anderem an Hitler erinnert.

1.Deutschland 1938 war ein Land mit Ambitionen und Möglichkeiten, der Welt, zumindest aber Europa seinen Willen politisch, wirtschaftlich und militärisch aufzuzwingen. Irak 1990 dagegen war ein von jahrelangem Krieg ruiniertes Land der „Dritten Welt“ mit einer überdimensionierten, jedoch völlig auslandsabhängigen (und somit Embargo-anfälligen) Militärmaschine.

2.Deutschland drängte Europa den Krieg 1939 auf. Jeder Eskalationsschritt vom Angriff auf Polen, Holland, Belgien, Frankreich bis zum totalen Luftkrieg gegen Zivilbevölkerung, der „Coventrisierung“ europäischer Städte ging von Deutschland aus, bevor die Bomben auf Dresden, Hamburg und andere deutsche Städte fielen. Trotzdem rechtfertigt heute kaum noch jemand diese Aktionen der Alliierten von damals.

Irak verteidigt sich dagegen heute gegen eine vielfach überlegene Kriegsmaschinerie seiner Lieferländer, die ohne Not die schwersten Bombardements der Geschichte gegen seine Städte entfesselt hat. Diejenigen, die hier 10.000e Menschen ausradieren oder das rechtfertigen, haben tatsächlich das Recht verloren, sich über die Besetzung Kuwaits oder die Raketenangriffe auf Israel zu empören.

3.Es gab kein München und kein Appeasement gegenüber Saddam Hussein. Es gab eine aktive Komplizenschaft während des vom Irak begonnenen Krieges mit Iran, während nach der Besetzung Kuwaits sofort beispiellose internationale Anstrengungen zur Isolierung, Boykottierung (und zur Kriegsvorbereitung) gegen Irak liefen. Damit hatte (und hat) Kuwait bessere Chancen, von seinen Besatzern durch wirtschaftlichen Druck befreit zu werden, als es die Tschechoslowakei 1938 oder heute die PalästinenserInnen, die KurdInnen oder die PanamesInnen je hatten. [...] Ich denke, daß nur Menschen, die das Lebensrecht und die Unabhängigkeit aller Völker in der Region im Auge haben und die blutige Einmischung alter und neuer Kolonialmächte ablehnen, den Nahen Osten aus der Sackgasse bringen können. Jeder Tag ohne Waffenstillstand verringert ihren Einfluß, vergrößert die Katastrophe und zerbombt so Chancen für eine friedliche Zukunft. Martin Auge, Hamburg

[...] Ich setze mich gerne mit anderen Ansichten auseinander und über vieles im Golfkrieg kann man auch streiten, aber nicht darüber, daß die Situationen 1938/Hitler und 1990/Saddam Hussein nicht wirklich vergleichbar sind und 1938 somit keine Lehren für heute bietet. [...] Hans-Joachim Feuchter, Schorzberg

Gegenfrage, Herr Hartung: Der andauernde Krieg jetzt, dämft er die Bereitschaft Saddam Husseins, diese Apokalypse zu entfesseln? Hat er Saddam Hussein die Möglichkeit genommen, mit ihrer Entfesselung zu beginnen? Wird er absehbar die Massenvernichtungsmittel Saddam Husseins „beseitigen“ können, ohne daß sie alle oder ein Teil davon zum grauenvollen Einsatz gelangen?

Er wird auf jeden Fall tausende von Menschenleben fordern, Zerstörung und Umweltkatastrophen hinterlassen, sowie die dann überflüssige Frage, wer hier von „moralischer Stumpfheit“ geschlagen war! Ingrid Schuller, Homburg/Saar

Dieser Krieg bringt bereits bei uns politische Verwerfungen hervor, an denen viele verzweifeln und die Orientierung verlieren werden. So, wenn ausgerechnet Klaus Hartung in der taz ganz im Stil der Kriegspropaganda die Alternative anbietet, unter Verzicht auf Wahrnehmung und Denken als politischer Naivling mit einer Kerze in der Hand herumzulaufen oder eben die Vernichtung Israels in Kauf zu nehmen („Tertium non datur“ [für NichtlateinerInnen: „Ein Drittes gibt es nicht“. d.Red.]) Da es sich bei diesem Angebot um eine chorische Inszenierung handelt, ist gegen diese Art Meinungsbildung schwer anzugehen, vor allem, wenn man weder über eine Zeitung noch über einen Fernsehsender verfügt.

Was bleibt in der „Mediendemokratie“ da anderes übrig, als entweder zu verzweifeln oder einzusehen, daß hier der Realitätssinn geschärft, die Grundstrukturen der Wirklichkeit erkannt werden?

Das ist gleichzeitig eine gute Voraussetzung dafür, sich nach getaner Arbeit und geleistetem Solidarbeitrag an die Entwaffnung der nächsten Diktatur zu machen, die Völker- und Menschenrechte mißachtet, über Massenvernichtungsmittel verfügt und fremde Territorien besetzt. Ich schlage China vor. Jörg Hein, Frankfurt am Main

[...] Die Forderung nach einer Nahost-Konferenz mit dem Münchner Abkommen zu vergleichen, zeugt entweder von Geschichtslücken oder von böser Polemik. Das Münchener Abkommen von 1938 entstand unter völlig anderen weltpolitischen und -strategischen Bedingungen, als heute eine Friedenskonferenz im Nahen Osten unter Aufsicht der UNO stattfinden würde. Es gilt dabei, innerhalb der Friedensbewegung eine Reform der UNO-Struktur zu problematisieren und ins Gespräch zu bringen.

Solange die Großmächte durch ihr Veto Entschlüsse blockieren können, besteht die Gefahr, daß die UNO zum Instrument der Außenpolitik dieser Länder verkommt. Im herrschenden Krieg scheint es, als hätte die UNO eine Entwicklung gestartet, über die sie jede Kontrolle verloren hat. Der Krieg verselbständigt sich durch seine mörderische Hochtechnologie genauso, wie durch diese einmalige Zensur unserer ach so demokratischen Pressefreiheit. Dieser Logik folgend, ist daher in Klaus Hartungs Argumentationen weder für die ungezählten Toten, noch für politische Hoffnungen nach der Vernichtung des irakischen Volkes Platz. Ralph Tews, Bochum