Schafft ihn ab!

■ Plädoyer für die Verwerfung des Davis Cups PRESS-SCHLAG

Hellauf begeistert war Niki Pilic, nachdem seine Tennis-Zöglinge in der Dortmunder Westfalenhalle einen 1:2-Rückstand gegen Italien in der ersten Runde des Davis Cups noch in ein 3:2 umgemünzt hatten und nun Ende März in Berlin oder Frankfurt gegen Argentinien spielen dürfen. Zuerst hatte Boris Becker in einem beidseitig großartigen Match Omar Camporese mit 3:6, 4:6, 6:3, 6:4, 6:3 bezwungen, dann gelang im Duell zweier Halbinvaliden dem nasenblutenden Michael Stich mit 7:6, 6:7, 7:5, 6:1 der entscheidende Punkt gegen den hinkenden und wehklagenden Paolo Cané.

Becker, vom Tennis-Olymp, den er im heißen Australien erklommen hatte, rabiat in die Niederungen eines profanen Davis-Cup- Erstrundenmatches geworfen, hatte gegen den 45. der Computer- Rangliste bis zum 0:3 im zweiten Satz nicht die Spur einer Chance. Wie ein Schlafwandler tappte er über den Platz und schaute voller Fatalismus den in aller Ruhe plazierten Returns und Passierbällen des exzellent spielenden Bolognesers nach. „Er hat mir die Bälle um die Ohren gehauen, als wäre ich Nummer eins und er null“ wunderte sich Becker hinterher.

Doch dann demonstrierte er, wodurch sich ein absoluter Top- Spieler auszeichnet. Als Camporese bei 3:0-Führung im zweiten Satz zum erstenmal ein Nachlassen seiner Konzentration offenbarte und einen leichten Ball ins Netz schlug, war Becker sofort auf dem Posten wie ein waidwunder Kaffernbüffel, die, so berichtet uns Hemingway, ja besonders gefährlich sein sollen. Von da an wurde er immer besser, die Leistungskurve des Italieners hingegen wies leicht nach unten.

Auch sein Umgang mit den merkwürdigen Entscheidungen des Schiedsrichters Malcolm Huntington, der seine Linienrichter gern und falsch überstimmte, bewies kaltes Blut. Während Camporese zuvorkommend und generös einen Aufschlag Beckers, den Mister Huntington im Gegensatz zum Linienrichter im Aus gesehen hatte, gut gab, heimste der Deutsche in gleicher Situation ein klares As seines Gegners ungerührt für sich ein; der empörte Camporese beging prompt einen Doppelfehler, futsch waren Aufschlag, dritter Satz, Match. In den letzten beiden Sätzen war Becker dann absolut auf der Höhe seines Könnens: „Da bin ich im Rausch, da mach' ich Schläge, da weiß ich selber nicht, wo die herkommen.“

„Das ist Davis Cup“, freute sich Pilic. „Da gibt es weder Regeln noch Gesetze.“ Der Davis Cup, ein Hort der Anarchie? Eine Bühne für die freie Entfaltung des Sports? Schauplatz der puren Lust am Spiel? Der reinen Freude an artistischen Leistungen? Weit gefehlt! Nicht umsonst wurde dieser Wettbewerb von Dwight Filley Davis geschaffen, einem Mann, der später Kriegsminister der USA wurde.

Die 11.600 Menschen in der Westfalenhalle, deren sportliche Sozialisation unverkennbar in der rabaukigen Atmosphäre der umliegenden Fußballstadien stattgefunden hat, schufen eine Stimmung, die von den Spielern als „phantastisch und hilfreich“ empfunden wurde, jedoch hierzulande eine neue Dimension im Tennis eröffnete. „La ola“, frenetisches Gebrüll mitten in die Ballwechsel hinein, eine auf den Platz fliegende Banane, jenes unsägliche dumpf-martialische „Sieg, Sieg“-Gebrüll, das aus den italienischen WM-Stadien sattsam bekannt ist, und eine gehörige Portion Unfairneß bestimmten das Bild. Jeder Ball eines Italieners, der auch nur in die Nähe der Linie geriet, wurde mit wütenden Aus- Rufen quittiert, und es konnte kaum verwundern, daß sich ein schwacher Schiedsrichter wie Malcolm Huntington davon beeinflussen ließ. „Mach ihn alle“, „Hau ihn weg“, lauteten beliebte Anfeuerungsrufe, die ersten Tennis-Hooligans dürften nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Die Atmosphäre des Davis Cups mit ihren nationalistischen Ausbrüchen, die in Paraguay oder Kolumbien auch schon mal gezückte Messer zutage förderte, widerspricht zutiefst dem kosmopolitischen Geist, der dieser Sportart eigentlich anhaftet. Die Protagonisten des aus vielen Ländern zusammengewürfelten Tenniszirkus, die in aller Welt ihre Turniere spielen, werden in der Regel eher als Einzelwesen, denn als Vertreter ihrer Nation betrachtet, ein Standpunkt, den normalerweise auch Boris Becker vertritt, der sich als „Weltbürger“ definiert. Sympathien für einzelne Spielerinnen oder Spieler haben ihre Wurzeln meist weniger im Patriotismus, als darin, ob jemand nun McEnroe oder Edberg, Sabatini oder Navratilova mag.

Der Davis Cup steht dieser begrüßenswerten Tendenz zur sportlichen Individualisierung diametral entgegen und schürt Nationalismus in einer Zeit, in der man ihn am wenigsten gebrauchen kann. Hymnen, Fahnen, chauvinistische Delirien — alles völliger Quatsch, der längst auf den Müllhaufen der Geschichte gehört. Zwei Begegnungen im Davis Cup sind wegen des Golfkrieges ohnehin verschoben worden, die Austragung der anderen zum jetzigen Zeitpunkt war von Spielern, unter anderem von Boris Becker, scharf kritisiert worden. Die Gelegenheit ist günstig. Schafft ihn ab! Matti