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Leichen im Keller der irischen Regierung

Dubliner Gericht lehnte die Zulassung der Zivilklage gegen prügelnde Polizisten ab/ Urteilsbegründung stützte sich ausgerechnet auf das Denning-Urteil gegen die Birmingham Six  ■ Von Ralf Sotscheck

Die irische Regierung hat sich bis heute nur halbherzig für die Birmingham Six eingesetzt — kein Wunder, hat sie doch ihre eigenen Leichen im Keller. Seit 15 Jahren weigern sich die irische Regierungen anzuerkennen, daß die Gardai — die irische Polizei — Geständnisse aus Gefangenen herausgeprügelt hat. Die Gefangenen-Hilfsorganisation amnesty international hat bereits 1977 eine unabhängige Untersuchung der Fälle verlangt und diese Forderung im vergangenen November wiederholt. In diesem Monat entscheidet das höchste irische Gericht, ob zwei dieser Polizeiopfer, Nicky Kelly und Osgur Breatnach, Klage gegen die prügelnden Beamten einreichen dürfen.

Am 31. März 1976 wurde der Postzug zwischen der südirischen Stadt Cork und Dublin überfallen. Die Beute betrug über 200.000 Pfund (ca. 550.000 Mark). Es war der letzte einer Serie von Zugüberfällen, durch die der Polizeiapparat immer stärker unter Druck geriet. Innerhalb weniger Stunden wurden fast 50 Leute verhaftet — fast ausschließlich Mitglieder der Irisch-Republikanischen Sozialistischen Partei (IRSP).

Die IRSP war 1974 aus einer Abspaltung der offiziellen Sinn Fein und der IRA entstanden, die heute — sozialdemokratisiert und unter dem Namen „Workers' Party“ — im irischen und im Europaparlament sitzt. Die IRSP war mit einem radikalen sozialistischen Programm angetreten und unterstützte den bewaffneten Kampf durch ihren militärischen Flügel, die Irisch-Nationale Befreiungsarmee (INLA). Von Anfang an wurden beide Organisationen blutig bekämpft, zunächst durch die Offizielle IRA und später durch paramilitärische Protestanten-Organisationen in Nordirland, die mit Unterstützung der „Sicherheitskräfte“ die politische Führung von IRSP und INLA liquidierte. Den Todesstoß versetzten sich die beiden Organisationen jedoch selbst: Im Verlauf einer internen Fehde im Jahr 1987, die mehr von persönlichen als von politischen Differenzen geprägt war, wurden zwölf Mitglieder getötet.

Kurz nach dem Postzugüberfall im März 1976 „gestanden“ vier führende IRSP-Mitglieder — Breatnach, Kelly, McNally und Plunkett — die Tat, nachdem sie 48 Stunden lang verhört worden waren. Danach wurden sie um Mitternacht unter Ausschluß der Öffentlichkeit vor ein Dubliner Bezirksgericht gestellt, das die Untersuchungshaft anordnete — jedoch nicht im Gefängnis, wie es üblich ist, sondern in einem Polizeirevier. Darüber hinaus wurden die Gefangenen entgegen den Vorschriften zu zweit in die Zellen gesteckt. Das sollte sich als schlauer Schachzug erweisen.

Die Gefangenen hatten vor Gericht erklärt, daß die „Geständnisse“ aus ihnen von einer Spezialeinheit, die damals immer wieder in die Schlagzeilen geriet, herausgeprgelt worden waren. Mitgefangene in Nachbarzellen bestätigten, daß sie Schreie gehört hätten. Sowohl die medizinischen Sachverständigen der Verteidigung als auch die der Anklage stellten Verletzungen fest, die mit den Angaben der Angeklagten übereinstimmten. Da die ärztlichen Untersuchungen jedoch durch die verlängerte Untersuchungshaft in Polizeigewahrsam verzögert worden waren, ließen sich die Verletzungen nicht mehr genau datieren. Das dreiköpfige Sondergericht ohne Geschworene folgte schließlich der Polizeiversion, daß die Gefangenen sich die Verletzungen in der Untersuchungshaft gegenseitig beigebracht hätten. Während des Verfahrens hatte einer der Richter, William O'Connor, seinen Kopf ständig auf die Akten gelegt und war eingenickt. Der Antrag der Verteidigung vor dem höchsten Gericht, das Sondergericht deshalb aufzulösen, wurde abgelehnt. Erst als O'Connor am 65. Verhandlungstag nicht mehr aufwachte, wurde der Prozeß unterbrochen und mit einem Ersatzrichter neu begonnen. Kelly und Breatnach wurden zu zwölf Jahren Haft verurteilt, McNally zu neun Jahren. Plunkett wurde freigesprochen.

Nicky Kelly war während des Prozesses gegen Kaution auf freiem Fuß und hatte sich vor der Urteilsverkündung in die USA abgesetzt. Nachdem im Mai 1980 der Berufung in Breatnachs und McNallys Fall stattgegeben wurde, weil sie ihre Geständnisse „nicht freiwillig“ gemacht hätten, kehrte Kelly nach Irland zurück. Obwohl die Umstände in seinem Fall identisch waren, wurde Kellys Berufung abgelehnt. Zahlreiche Politiker, Rechtsanwälte, Gewerkschafter und Bischöfe sowie amnesty international setzten sich für Kelly ein. Die Irisch-Republikanische Armee (IRA) erklärte, daß eine ihrer Einheiten den Überfall auf den Postzug begangen hatte und daß Kelly daher unschuldig war. Es war das erste Mal seit Ausbruch des nordirischen Konflikts, daß die IRA die Verantwortung für eine Aktion in der Republik Irland übernommen hatte. Kelly blieb jedoch im Gefängnis und begann im Mai 1983 einen Hungerstreik.

Erst als der irische Justizminister Kelly öffentlich aufforderte, die prügelnden Polizisten zu verklagen, brach dieser seinen Hungerstreik nach 38 Tagen ab. Das Gericht scherte sich jedoch nicht um die Äußerung des Ministers und lehnte die Eröffnung des Verfahrens ab. Dabei bezog es sich ausgerechnet auf die berüchtigte Begründung des britischen Richters Lord Denning, der in London dieselbe Klage der Birmingham Six abgelehnt hatte: Prügelnde Polizeibeamte darf es offiziell nicht geben (siehe oben). Auch Osgur Breatnach wurde die Zulassung der Zivilklage wegen Mißhandlung in Polizeigewahrsam mit der gleichen Begründung verweigert. In McNallys Fall steht die Entscheidung noch aus.

Der damalige Justizexperte der oppositionellen Fianna-Fail-Partei (Soldaten des Schicksals), Gerry Collins, versprach 1977 eine Untersuchung der Fälle Kellys, Breatnachs und McNallys, falls seine Partei die Macht übernehmen würde. Im selben Jahr kam Fianna Fail an die Regierung und Collins wurde Justizminister. Heute ist er Außenminister und setzt sich bei seinem Londoner Amtskollegen Douglas Hurd vorsichtig für die Freilassung der Birmingham Six ein. Die versprochene Untersuchung im eigenen Land ist bis heute nicht eingeleitet worden. Sollte Kelly, Breatnach und McNally das Recht auf eine Zivilklage auch im Berufungsverfahren verweigert werden, so wäre das fatale Denning- Urteil endgültig fester Bestandteil des irischen Rechts.

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