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Bayern als Vorreiter: Geldbuße für Kirchenasyl

Nürnberger Pfarrer müssen Geldbuße wegen Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz zahlen/ Sie hatten sechs Monate lang einen per Haftbefehl gesuchten Flüchtling versteckt/ Wachsende Sanctuary-Bewegung nun auch in Deutschland  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Die Nürnberger Kirchengemeinde St. Jobst versteckte ein halbes Jahr lang einen Flüchtling aus Bangladesch vor dem Zugriff der Behörden. Jetzt müssen sechs Gemeindemitglieder und Pfarrer jeweils 250 DM Geldbuße zahlen. Dann will die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz und Strafvereitelung einstellen.

Der Wink zur strafrechtlichen Verfolgung dieses Falls von Kirchenasyl kam von der christlich-sozialen Staatsregierung. Nachahmer sollten abgeschreckt werden. Bayern wurde damit zum Vorkämpfer in der Bundesrepublik gegen eine zunehmende Kirchenasylbewegung.

Anfang Januar letzten Jahres fand der 26jährige Hindu Aurun Kumar Saha Zuflucht in den Räumen der evangelischen Gemeinde. Nach mehrfacher Ablehnung seines Asylantrags stand Saha auf der Fahndungsliste der Polizei. Bei einer Abschiebung nach Bangladesch drohten ihm Folter und eventuell die Todesstrafe.

Grund genug für den Kirchenvorstand der Gemeinde St. Jobst, dem Flüchtling Kirchenasyl im Gemeindehaus zu gewähren. Der Schutz der Kirche sei nötig, weil der demokratische Rechtsstaat dem Flüchtling die erhoffte Hilfe verwehrt habe, argumentierte damals Kirchenvorstandsmitglied Gabler.

Die von Bayerns Innenstaatssekretär Günter Beckstein favorisierte „begleitete Rückführung“ des Hindu kam für die Kirchengemeinde nicht in Frage. Seit Jahren werden in Bangladesch Hindus als religiöse Minderheit verfolgt. Zudem schloß sich Saha der oppositionellen Baksal- Partei an.

Als die Behörden versuchten, ihm einen Mord anzulasten, floh er in die Bundesrepublik. Dort reiste er am 2. Januar 1986 ein. Sahas Asylanträge wurden alle als „offensichtlich unbegründet“ zurückgewiesen. Auch die von der Kirchengemeinde angestrengte Petition im Landtag wurde abgeschmettert. Nach einem Dringlichkeitsantrag von Grünen und SPD sprach Nürnbergs Oberbürgermeister Schönlein schließlich im Juli eine bis Ende November befristete Duldung aus. Vergeblich versuchten die Gemeindemitglieder für Saha ein Aufnahmeland zu finden. Schließlich löste Saha das Problem durch seine Heirat mit einer Deutschen.

Parallel zu dem Nürnberger Fall erregte ein Fall von Kirchenasyl in Augsburg öffentliches Aufsehen. Dort fanden sieben von der Abschiebung bedrohte Flüchtlinge aus Bangladesch Unterschlupf bei der katholischen Gemeinde St. Johannes-Baptist. Nach Ablehnung aller Petitionen flüchteten sie in ein Kirchenasyl nach Hildesheim in Niedersachsen und warten dort auf die Entscheidung im Landtag im Februar.

Die beiden Fälle waren für das bayerische Innenministerium Grund genug zum Einschreiten, zumal in der ganzen Bundesrepublik vermehrt Fälle von Kirchenasyl bekannt wurden. So kommt das Magazin 'Publik Forum‘ bei seinen Recherchen für das Jahr 1990 auf insgesamt 50 Kirchengemeinden und Gruppen. Die „Zeitschrift kritischer Christen“ spricht von einer „wachsenden Sanctuary-Bewegung in Deutschland“ in Anlehnung an das amerikanische Vorbild.

In den USA hatten sich zu Beginn der 80er Jahre anläßlich des Bürgerkriegs in Guatemala und El Salvador und der rigorosen Abschottungspolitik der USA gegen EinwanderInnen eine Vielzahl von Kirchengemeinden entschlossen, öffentliches Kirchenasyl zu gewähren.

1986 hatten sich bereits über 400 Gemeinden zu Asylstätten erklärt. 27 Stadtverwaltungen, darunter die in Chicago, Detroit und New York, hatten die Zusammenarbeit mit den Einwanderungsbehörden aufgekündigt und ihre Städte zu „Freien Flüchtlingsstädten“ erklärt. Die Sanctuary-Bewegung sei, so ihr Mitbegründer Henry Atkins, „ein Mittel, nein zu sagen zur US-Intervention und Außenpolitik in Mittelamerika“.

Ähnliche Motivationen treiben deutsche Gemeinden um. Sie wollen ein „Zeichen gegen die Asylpolitik setzen“ (Patricio Aravena, Königstein), sie „können keinen Menschen ins offene Messer laufen lassen“ (Dorothea Voßgröne, Bunde/Ostfriesland) oder handeln nach der Devise, man müsse „Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Pfarrer Bringmeier, Ahaus). Dabei berufen sich die Gemeinden auf die griechisch-römische Tradition des Kirchenasyls. Sie wollen wieder verstärkt Zufluchtstätten für Verfolgte sein — eine Absicht, die der auf rigorose Abschiebung setzenden bayerischen Staatsregierung extrem zuwiderläuft.

So ersuchte Innenminister Stoiber sofort Niedersachsen um Amtshilfe bei der Abschiebung der Augsburger Bengalen. Sein Staatssekretär Beckstein kündigte dem Nürnberger Pfarrer Walter Steinmaier an, er werde ihn haftbar machen. Auftragsgemäß nimmt im Juli Nürnbergs Oberstaatsanwalt Stöckel ein Flugblatt der Unterstützer des Kirchenasyls von Saha zum Anlaß, um gegen die sechs abgebildeten Gemeindemitglieder, darunter zwei Pfarrer, Ermittlungen einzuleiten.

„Es war der Staatsanwaltschaft sichtlich unangenehm, gegen die Kirche zu ermitteln“, erinnert sich Pfarrer Steinmaier. Das Innenministerium signalisierte der Anklagebehörde, daß das Verfahren auf gar keinen Fall wegen Geringfügigkeit eingestellt werden dürfe. Schließlich bestünde das öffentliche Interesse, andere Gemeinden abzuschrecken. Außerdem könne schon eine „psychische Unterstützung“ eines Flüchtlings in einer derartigen Situation als strafbar gewertet werden.

Um weiteres öffentliches Aufsehen in dem Freistaat, der viel auf seine christlichen Traditionen hält, zu vermeiden, bot die Staatsanwaltschaft von Anfang an den betroffenen Gemeindemitgliedern an, gegen eine Geldbuße das Verfahren wegen Beihilfe zur Straftat und Strafvereitelung einzustellen. Doch die Beteiligten lehnten ab. Sie gaben an, im Auftrag der Kirche und nicht als Einzelpersonen gehandelt zu haben. Auch waren sich die Kirchenasylaktivisten keinerlei Schuld bewußt. „Wir haben den Staat nur an seine Pflicht erinnert und keinen Alleingang gegen Staat und Recht unternommen“, betont Pfarrer Steinmaier.

Aus juristischer Sicht kommt Verwaltungsrichter Bertold Huber aus Frankfurt zu dem Schluß, daß das Gewähren von Kirchenasyl „als Ultima ratio zur Abwendung einer akuten Gefahr für Leib und Leben eines Flüchtlings in Betracht kommen“ könne. Obwohl die Rechtslage für die Gemeinde zu sprechen schien, gingen die Betroffenen schließlich doch auf die Zahlung der Geldbuße ein. „Es wird immer deutlicher, daß sich die deutsche Rechtsprechung dem politischen Willen anpaßt“, argumentiert Pfarrer Steinmaier. Ein Freispruch sei daher in Bayern „äußerst unwahrscheinlich“.

Mit diesem Verfahrensende kann sich der Freistaat Bayern rühmen, wieder einmal Vorreiter in Deutschland zu sein. Trotz vermehrter Fälle von Kirchenasyl wurde bislang von einer Bestrafung abgesehen. So gab die Augsburger Staatsanwaltschaft aufgrund der wackeligen Rechtsgrundlage den Versuch auf, die dortigen Gemeindemitglieder strafrechtlich zu belangen.

Einen ähnlichen Rückzug unternahmen die Behörden in Gelsenkirchen. Als dort die Lukasgemeinde zum dritten Mal Flüchtlingen Kirchenasyl gewährte, drohte der Justizminister mit einem Strafantrag gegen Pfarrer Rolf Heinrich. Dabei blieb es auch. Nur in Wolfsburg laufen derzeit noch Ermittlungsverfahren gegen drei Pastoren, die in ihren Gemeinden im April 1990 vier Indern Unterschlupf gewährt hatten. Während das juristische Ende noch offen ist, steht für Pastor Günther Schulze bereits fest, daß sich mit der rot-grünen Regierung in Niedersachsen am Umgang mit den von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen nichts geändert hat. So verweigert Innenminister Glogoski bislang jeglichen Kontakt mit den Gemeinden.

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