Die Kommunistische Partei schreit auf

Harsche Töne bestimmen das Resümee des ZK der KPdSU/ Neues Richtungsdokument weist alte Wege/ Die grauen Zwischenschichten dominieren/ Mobilisierung für den neuen Unionsvertrag  ■ Aus Moskau K.-H. Donath

Lange Zeit hatte man sie eigentlich schon abgeschrieben und ihr gewünscht, sie möge aus ihrem Winterschlaf schmerzlos in den ewigen Frieden hinüberfinden. Konzeptionell hatte die KPdSU seit langem nichts mehr zu bieten. Die intellektuelle Elite, die sich anfangs noch um Gorbatschow scharte, war längst zu neuen Ufern aufgebrochen.

Die letzte Sitzung des ZK und der Zentralen Kontrollkommission hat denn auch keine neuen Erkenntnisse zutage gefördert, wie sich dem Aufruf der Partei „Über die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der KPdSU“ in der gestrigen 'Prawda‘ entnehmen ließ. Aber wie es so ist, wenn ein Haufen mittelmäßiger Kleinbürger zusammenhockt, dann wird ordentlich vom Leder gezogen, und man vergreift sich deutlich im Ton.

Das Dokument, das die Richtungskorrektur der KPdSU jetzt schwarz auf weiß belegt, ist in außergewöhnlich scharfem Zungenschlag gehalten. Als wäre die Situation nicht schon ernst genug, simuliert es in kompromißlosen und dramatischen Wendungen bereits die Bürgerkriegssituation. Schuld daran tragen alle nichtkommunistischen Kräfte: „In der politischen Arena bemühen sich alle diejenigen Kräfte zu vereinigen, die sich die Veränderung der gesellschaftlichen Verfaßtheit der UdSSR zum Ziel gemacht haben.“ Sie seien antisozialistisch und gegen das Volk gerichtet. Die national-separatistischen Bewegungen steuerten überdies den Kurs, die sozialistischen Errungenschaften zu liquidieren und die Verständigung zwischen den Völkern zu unterminieren. In den abtrünnigen Republiken „formieren sich nationalistische und totalitäre Regime, die offen gegen Menschen- und Bürgerrechte verstoßen“.

Die Kampfaufgabe begreift die Partei in der Mobilisierung ihrer Mitglieder für das Referendum am 17. März, in dem landesweit über die Notwendigkeit eines neuen Unionsvertrages abgestimmt werden soll. Jeder müsse das Recht haben, sich frei zu entscheiden. Aber es gelte zu verhindern, „daß das Referendum in den Händen verantwortungsloser Stammtischpolitiker zu einem Instrument wird, das den Zusammenbruch des Staatswesens befördert“. Damit sind die demokratisch gewählten Regierungen der abtrünnigen Republiken gemeint. Was in dem Dokument noch namenlos geschieht, wird in den abgedruckten Debattenreden dingfest gemacht. Hier tauchen die Feinde namentlich auf: die Bewegung „Demokratisches Rußland“ und die Deputierten der interregionalen Gruppe des Obersten Sowjets der UdSSR.

Jurij Prokowjew, der Moskauer Parteichef: „Die Rede kann nicht mehr nur vom Einfluß der Schattenwirtschaft auf unser Leben sein, sondern vielmehr von dem der ,Schattenpolitik‘. Die Redner sprachen es zwar nicht offen aus, aber einen politischen Pluralismus wollen sie nicht hinnehmen. Davon zeugt auch der Aufruf, der sich in den klassischen Kategorien an die bekannten sozialen Schichten der Sowjetgesellschaft richtet. Ein Verbot politischer Parteien wird nicht gefordert. Die Perestroika hat immerhin soviel an politischer Kultur hinterlassen, daß man sich einen „pseudorechtsstaatlichen“ Anstrich zulegt. Aber was heißt das heute noch?

Seine Analysefähigkeiten entfaltete der Erste Sekretär der KP Dagestans, Alijew, eindrucksvoll: Da Demokraten wissen, wie das Volk zum Kapitalismus steht, benennen sie ihren Kampf um die Macht nicht mit den dafür bekannten Begriffen wie Kapitalismus, bürgerliche Gesellschaft und bourgeoise Ideologie. Dagegen sei das Volk schließlich gefeit. Sie verpackten ihre wahren Ziele anders. Die renommierte Soziologin Tatjana Saslawskaja spreche von einer „blühenden Zivilisation“, der Moskauer Bürgermeister Popow von dem „heutigen Niveau der menschlichen Zivilisation“, und der ehemalige Wirtschaftsberater Gorbatschows, Schatalin, wähle dafür die „andere Ordnung“. So einfach ist das. Ausgestattet mit soviel gedanklichem Tiefsinn bläst die graue Masse, die sich der Partei endgültig bemächtigt hat, wieder zum Kampf um die intellektuelle Führungsrolle.