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“Tradition ist Schlamperei!“

■ Elisabeth Leonskaja und die Philharmoniker in der „Glocke“

Nach dem philharmonischen Konzert am vergangenen Montag mochte man diesen Ausspruch Gustav Mahlers gerne umdrehen. Denn Schlamperei aller Beteiligten war es, die nach den Aufführungen von Mozarts Krönungskonzert und Bruckners Sechster einen leicht bitteren Nachgeschmack hinterließ.

Mit Elisabeth Leonskaja hatte man zwar eine international gefragte, große Künstlerin eingeladen. Sie hatte jedoch einen ausgesprochen schlechten Abend. Da gab es unausgegorene, nicht immer stilechte Verzierungen, so manchen danebengelandeten Finger und eine doch recht einheitliche Farbgebung. Das Orchester war auf diesen Mozart wesentlich besser vorbereitet als im letzten Konzert. Mehr als ein solides Begleiten war aber dennoch nicht drin. Immerhin wurde in kleiner Besetzung gespielt, und die Faktur des Werkes war gut durchhörbar. Die Bläser musizierten recht delikat, die Streicher jedoch manchmal schlampig (meist verschleppte Synkopen der Violinen / wackeliges Zusammenspiel der Bässe).

Dennoch war die Aufführung ein Publikumserfolg. Vielleicht war er vor allem Mozart zu verdanken, der mit diesem Werk ein wirkungsvolles Stück Unterhaltungsmusik im besten Sinne schrieb.

Bruckners Sechste ist im Konzertrepertoire immer ein Stiefkind gewesen. Spieltechnisch ist sie vielleicht Bruckners Schwerste, dabei interpretatorisch äußerst problematisch. Staatsorchester, Dirigent und Hörer hatten an diesem Brocken gewaltig zu kauen. Wolfgang Bothe zeigte sich als standfester Kapellmeister, schaffte es jedoch nicht, die Architektur des Werkes aufzuzeigen. Die Temporelationen stimmten nicht - Bruckners Partiturvorschrift „bedeutend langsamer“ im Seitenthema des ersten Satzes wurde nicht beachtet. Es war im Gegenteil schneller als das Grundtempo. Auch das makabre Scherzo war zu schnell. Das Orchester pfuschte oft, zergliederte große Bögen durch gemeinsames Atmen im falschen Moment und war rhythmisch instabil. Der immer wiederkehrende Grundrhythmus im ersten Satz der Symphonie wackelte, die reichlich einkomponierten Synkopen schleppten. Allerdings bliesen die Hornisten ausgezeichnet (Solopartien; das ebenfalls schwere, weil immer tiefe dritte Horn). Die manchmal wackelige Intonation war sicher der stickigen, warmen Saalatmosphäre zuzuschreiben. Oft standen die Streicher aber auch vor den komplizierten Vorzeichen ihrer Stimmen wie der Ochs vorm Berge. Hier hätte man sorgfältiger proben müssen.

Im Übrigen tat man der Sinfonie mit dieser Aufführung eher einen Bärendienst. Den umherfliegenden Gesprächsfetzen beim Hinausgehen war zu entnehmen, daß die Hörer damit wenig anzufangen wußten. Gunnar Cohrs

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