Ulrike Meinhof, Take five

■ Der Lego-Effekt: Im Studio III von Radio Bremen wird Hans Kresniks Tanztheater in Fernsehen verwandelt

Der erste Blick sieht schon alles: Leutegewimmel, schwere Kameras, droben ein Scheinwerfer-Firmament. In der Mitte eine Szene. Frau, aufgebahrt. Das Fernseh- Studio III ist ein Kasten, ein Laborbehältnis, und verbirgt nichts. (Eine andere, eine Theaterbühne ist, von dort, wo wir sitzen, womöglich unendlich tief).

Wer in ein Fernsehstudio kommt, ist unverzüglich ermuntert. Allseits flirren Hallöchen wie Luftschlangen; ein Lächeln fällt ins andere. Kamera 1 kitzelt Kamera 4 mit einem Witz. Die Herstellung guter Laune ist nicht leicht. Plötzlich ist Kresnik da. Geht schon los.

Radio Bremen macht aus Johann Kresniks „Ulrike Meinhof“ einen Film. Kresnik und Klaus Bertram, der Regisseur, haben lang gebrütet über dem Drehbuch. Wie macht man eine Szenerie kameratauglich und allseits befahrbar? Wie zerlegt man Tanztheater erst in 16 Takes und dann immer weiter bis in die einsamsten Einzelblicke? Seit Freitag wird gedreht; wenn's gut geht, bis 15. Februar. Sendetermin ist der 27. Juni, im Ersten. Wir haben Dienstag, 10.45 Uhr. Die Vorbereitungen für Take 5 beginnen.

Jedesmal braucht es halbe Stunden Hin, Her und Stimmenwirrwarr, ehe wieder, versuchshalber, zwei Gesten und paar Schritte aufgezeichnet werden können. Dann geht die Inspizientin umher und jätet Unruhe, bis endlich ringsum bloß noch die Stille wächst. Also los. Jetzt nagen drei Kameras von drei Seiten an der Aufgebahrten und entnehmen Probebilder. Die Aufgebahrte ist übrigens grau gekleidet statt wie auf der Bühne weiß. Die Kameras vertragen das grelle Weiß nicht.

“Können wir mal sehen, ob man das gut schneiden kann?“ ruft Klaus Bertram, der Regisseur. Die Bildregie in ihrer Kabine hat mitgehört und ein paar Hebel umgelegt: Auf mehreren Monitoren sehen wir da in flackrig schneller Folge, was in diesem Augenblick jede der drei Kameras sieht: zur Kontrolle. An einem Monitor lehnt der Tänzer des Röhl, Joachim Siska, ein Schäker, und stupst an die Geige der Geigerin.

An alle Kameras sind Drehbuchkopien geklemmt, man erkennt Szenen-Listen, Kameraposi

Im Fernsehstudio: Rechts oben das abgesaugte BildFoto: Jörg Oberheide

tionen, Bühnenaufteilungen piktogrammatisch, alles in knappen Kolonnen: „Kamera: tief; Szene: U.M. auf Stuhl; Ton: Zuspiel; Licht: Lichtwechsel; Spezial: Alle Kameras Sternenfilter“

Wieder eine Szene: Zwei zackige

hierhin das

verschwommene

Bild mit

Kamera,

Ihr Lieben

Sado-Bullen treiben, mit Stockhauen und Brutalgelall, den Türken in einen peinlichen Tanz. Kamera 2 hinterher, sie sieht jetzt gefährlich aus. Wie ein Blicke- Werfer.

Nebenan wiegen im Take 5 unterdessen die Eltern ihre Ulrike.

Damit man diese drei im Fernsehen ebenfalls wie gleichzeitig sehen kann, ordnet der Regisseur und Blickführer rasche Wechselschnitte der Kameras 1 und 3 an: „Und 1, und 3, und 1, und 3...“

Hinterher wird vielleicht alles ganz anders zusammengesetzt. Das kann jetzt, wo bloß rohe Bilder abgesaugt und weggeräumt werden, niemand sagen.

Das Fernsehen hat nur fiktive Splitter, Material. Seine weitaus größte Arbeit ist es, nicht danach auszusehen. Das ist der Lego-Effekt.

Am Boden schlängeln sich überall dicke Kabel. In ihnen fließen Bilder wie durch Pipelines in die Raffinerie des Regieraums. Dort gibt es nur Bildschirme und ein großes Mischpult. Der Regieraum ist das große Tor: alle Bilderschnipsel, alle Geräuschfetzen, alle Melodien, die in den Film kommen wollen, müssen durch. Die wenigsten werden genommen. Frisch geschneuzt, geputzt und gekämmt dienen sie fortan dem Ganzen.

Herein spaziert ein junger Mann, sprüht beste Laune rechts und links zum Gruß, und sagt, er ist ein Tagesschau-Redakteur. Sonst macht er ja speziell, sagt er, vorsorgliche Film-Nachrufe auf bedeutende Personen, grad hat er den Wedemeier in Arbeit, sagt er und grinst wie einer, vor dem wir alle einschrumpfen zu kümmerlichen Noch-Lebenden. Aber heute, heute will er, für die Sendung Profile, nicht wahr, verfilmen, wie Radio Bremen verfilmt, was Hans Kresnik für eine Choreographie aus der Literatur von und über Ulrike Meinhof gemacht hat.

Und jetzt ist er selber gefangen, der Redakteur, in diesem Text. Worüber gleich wieder? Manfred Dworschak