Der Osten kann nicht singen

■ Nur eine Teilnehmerin aus der Ex-DDR beim nationalen Vorentscheid zum europäischen Schlagerwettbewerb Grand Prix Eurovision

Mitte. Das ganze Geschwalle von wiedervereinigt, gesamtdeutsch und national macht natürlich nicht vor dem Geschäft mit dem Schlager halt. So fanden auch gestern die smarten Herren aus dem Gassenhauergeschäft viel wohlfeile Worte, um die erste gesamtDeutsche Vorentscheidung zum Grand Prix 1991 anzukündigen. Die kommt am 21. März aus dem Friedrichstadtpalast und wird von da live ausgestrahlt über die ARD.

Auf der proppevollen Pressekonferenz in der Kleinen Revue, dem »intimen Nachttheater« des Unterhaltungspalastes, gingen die politfähigen Artigkeiten über den neuen Standort Berlin zwischen den koproduzierenden Anstalten BR, SFB und DFF hin und her. Erst auf den zweiten Blick erwiesen sich die staatstragenden Töne als pralle Worthülsen. Außer dem Austragungsort und dem DFF-Fernsehballett für den Showteil des Schlagerwettbewerbs sind die fünf neuen Bundesländer aktiv beim nationalen Sangeswettstreit so gut wie nicht vertreten.

Einzig Conny & Komplizen aus der Ex-DDR sind ins Zehnpunkteprogramm des Teilnehmerfeldes mit reingerutscht. Dabei sei es ganz korrekt zugegangen beim Auswahlverfahren, versichert der zuständige BR-Redakteur. Alle Plattenfirmen und Musikverlage, die dem Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft e.V. angehören, durften zwei Demo-Kassetten einreichen, ganz anonym. Zehn Fachjournalisten wählten dann die zehn Wettbewerbstitel aus. Wie viele Vorschläge aus dem Osten eingereicht wurden, mochte der BR-Vertreter nicht mehr erinnern. Und ob bei der Journalisten- Jury auch Ost-Kompetenz mit entschied, war ihm ebenfalls entfallen.

Dafür glänzt die Starterriege wieder als weiße Serie, Unbekannte fast allesamt. Unter den phantasiearmen Namensneuschöpfungen wie Vox, Francis oder Atlantis hat man lediglich schon mal von Cindy Berger gehört, früher mit Bert als Duett unterwegs und heute singendes Aushängeschild für Portas — Der Renovierungsspezialist Nr.1 in Europa. Daß keine Stars in die Grand-Prix- Manege steigen, bedauern die Herren aus München sehr. Aber Leute wie Westernhagen oder Grönemeyer hätten wohl Berührungsängste mit dem Wettbewerb. Um solche Namen bemüht hätten sie sich allemal.

Damit der schöne TV-Abend im März nicht gänzlich untergeht, können die Veranstalter doch noch einen Promi präsentieren: Hape Kerkeling, dralle Ulknudel der ARD, darf wieder moderieren — inzwischen zum dritten Mal. Dabei hätte er diesmal so gerne mitgesungen, bekennt der Wonneproppen aus dem Ruhrgebiet. Doch die Verantwortlichen waren dagegen. Weil er wohl gewonnen hätte? Dafür muß er im »Showact« der Sendung zusammen mit The Magic Doctor einen »tollen Trick präsentieren, der noch nie im Fernsehen zu sehen war«.

Neben dem Wettbewerbsstandort Berlin und der exklusiven Vorauswahl der Plattenindustrie hat diesjährig auch ein neuer Modus zur Siegerermittlung Premiere. War bislang der große unbekannte TED für die Plazierung auf dem Siegertreppchen zuständig, wird 1991 repräsentativ umgefragt. Ein Marktforschungsinstitut soll unmittelbar nach der Songpräsentation tausend ErsthörerInnen befragen, in Ost und West. So ist der Osten dann doch noch dabei, mit Stimme, wenn auch nur zur Wahl. Elmar Kraushaar