Alternativbetriebler beim Benz-Konzern

■ Rund 200 Mitarbeiter Berliner Betriebe und selbstverwaltete Unternehmen legten die Arbeit nieder, um vor den Werkstoren von Mercedes-Benz gegen die Rüstungsproduktion zu demonstrieren

Marienfelde. »Keine Arbeit für den Krieg!« Mit dieser Forderung wandten sich gestern mittag rund zweihundert Frauen und Männer aus verschiedenen Betrieben, Projekten und selbstverwalteten Kollektiven bei einer Kundgebung vor den Toren von Mercedes-Benz in Marienfelde an die Belegschaft des Werkes. Das Werk gehört zum Daimler-Benz- Konzern. Und dieses Imperium, das auch den Rüstungskonzern MBB sein eigen nennt, produziert auch modernste Rüstungstechnik und belieferte damit auch den Irak.

Zur Teilnahme an dieser Aktion hatten rund 40 Betriebe, Projekte und Kollektive aufgerufen, wie zum Beispiel der Naturkost-Großhandel »Ökotopia«, die Druckerei »Oktober-Druck«, die Kneipenkollektive »EX« und »Kuckucksei«, der Kreuzberger Kinderbauernhof, die Frauenfrühstücksgruppe und die Aktionsgemeinschaft der TaxifahrerInnen-Kollektive »Taxistas«.

Auf der Kundgebung, die am frühen nachmittag zum Schichtwechsel vor dem Werksgelände in Marienfelde abgehalten wurde, wies eine Frau über Lautsprecher darauf hin, daß im Berliner Mercedes-Werk keineswegs nur Motoren, sondern auch LKWs für militärische Zwecke produziert würden. Zum Zeitpunkt der Aktion verließen nur wenige ArbeiterInnen das Werksgelände. Ihre Reaktionen reichten von zustimmenden Äußerungen wie »sehr gut« und »das hättet ihr schon früher machen sollen« bis hin zum wütenden »Weg frei« und demonstrativem Zerknüllen von Flugblättern. Vor den reichlich vorhandenen Flugblättern gab es kaum ein Entkommen, weil sich die Verteiler, die in einem Spalier vor dem Werksausgang standen, auf jeden, der rauskam, sofort mit einem freundlichen »schönen Feierabend« zustürzten.

Mit großem Gejohle wurde von den Teilnehmern der Aktion die Ankunft des Konvois der Taxi- und BusfahrerInnen begrüßt. Der Konvoi, an dem rund sechzig Taxis und mehr als zehn Reisebusse teilnahmen, kam von einer mehrstündigen Demonstration, die vom Ernst-Reuter-Platz über den Platz der Luftbrücke bis nach Marienfelde geführt hatte. Die Taxis und Busse waren mit Spruchbändern wie »Nein zu Völkermord und Rüstungsproduktion«, »Boykottiert, desertiert, sabotiert« und Aufrufen zum Generalstreik behängt.

Ein Taxi hatte auf dem Dach eine Panzerattrappe befestigt, andere hatten über das Taxileuchtzeichen »Solidarität für den Frieden« geklebt. Auf einem Taxi, in dem mehrere Frauen saßen, war zu lesen: »Keine Leichenkränze für die Macht der Schwänze«.

132 Abschiedsbriefe an Verteidigungsminister Stoltenberg: Im Demo-Zug nach Pankow ging diese wichtige Sonderpost gestern nachmittag direkt zum neuen Kreiswehrersatzamt Berlin II in der Pestalozzistraße. Zuvor hatten 70 Reservisten der aufgelösten Nationalen Volksarmee (NVA) und 62 ihrer ehemaligen Todfeinde aus der Bundeswehr vor der Pankower Kirche »Zu den vier Evangelisten« gemeinsam ihre Kriegsdienstverweigerungsanträge unterschrieben.

Reservisten sagen ade

»Da machen doch nur ein paar Leute ihre Show«, kommentierte Wolfang Steinlechner, Leiter des Kreiswehrersatzamtes, als sich die Verweigerer vor seiner Behörde sammelten. Obgleich vorgewarnt, wollte er die Verweigerungsanträge nur entgegennehmen, jedoch nicht einzeln quittieren. Dazu habe er keine Zeit, schließlich müsse er noch in ein Konzert.

Außerdem seien seine Mitarbeiter (»alles Ossis«, so Steinlechner) schon längst zu Hause: »Wir sind Beamte.« Auch bräuchten sich NVA- Reservisten nicht zu fürchten, da sie ohnehin nicht »brauchbar« seien. Weil nicht an Westgerät ausgebildet, verfügen sie über »keine Peilung«, wie der Chef des Kreiswehrersatzamts das ausdrückt. Schließlich gab er die Quittung doch noch: Pauschal für alle 132 Anträge. plu/mf