: Das Recht auf Asyl
■ Lore Stefanek inszeniert Aischylos in Darmstadt
Wenn die geflohenen Danaidentöchter die Götter anrufen, meldet sich Zeus wie ein amerikanischer Kampfhubschrauber aus Coppolas Apokalypse Now — ein gefährliches Geräusch, die Frauen erschrecken. Sie haben allen Grund, denn Zeus ist der Letzte, der Schutz gewährt. Darauf stimmen sie christlich-liturgische Gesänge an: ein Akt der Auflehnung. Wieder fährt ihnen der Gott in die Parade, erzürnt über die fremdartigen Gesänge während der kultischen Handlungen, die ihm gewidmet scheinen. Es sind Störgeräusche in Lore Stefaneks Inszenierung von Aischylos Schutzflehenden. Wie die meisten antiken Dramen besteht auch dieses, eines der ältesten, nur aus Monolog, und man ist es inzwischen gewohnt, daß solcher Bühnenstoff gesanglich und rhythmisch aufgefrischt wird. Lore Stefanek hat dem Stück einen Klang- und Rhythmusteppich unterlegt — und immer wieder fremde Geräusche eingewebt.
Aischylos plante die Geschichte der Danaiden als Trilogie, erhalten sind nur Die Schutzflehenden. Sie werden heute seltsamerweise so gut wie nie gespielt, obwohl sie vor Aktualität strotzen: Die Urenkelinnen der Io sind vor den Söhnen des Aigyptos geflohen, die sie als Ehegattinnen beanspruchen. In ihrer Urheimat gelandet — am Strand von Argos, wo Zeus Io mißbrauchte —, suchen sie um Asyl nach und bringen König Pelasgos durch ihr Anliegen so in Bedrängnis, daß er sich höchst demokratisch windet. Da ist einerseits das heilige Gastrecht, auf dem Meer nahen aber schon die wilden Aigyptossöhne. Die Frauen stehen in größter Ungewißheit am Strand.
Lore Stefanek läßt sie immer wieder rituell ihre Herkunft beschwören und ihr Recht fordern, allen voran Anke Schubert als Chorführerin, der das Aufbegehren ein wenig zu offensichtlich aus den Augen blitzt. Pelasgos schnüffelt angewidert an den Kleidern der Frauen und vermutet, daß sie nur wilden und unzivilisierten Afrikanerinnen gehören können. Matthias Kniesbeck spielt das halb belustigt, halb verunsichert und zeigt die Mechanismen des Selbstschutzes: Was ängstigt, muß denunziert werden. Er läßt das Volk entscheiden, und das gewährt Asyl. Lore Stefanek beläßt es hier nicht bei der Darstellung des Vorgangs, sondern benennt den Preis, den die Asylsuchenden zu zahlen haben. Ein Sack wird vor ihnen ausgeschüttet, voll mit schicken Jäckchen, hochhackigen Schuhen, Lippenstiften und Plunder. Anpassung ist der Preis, die Eingemeindung macht die Frauen kraftlos, und zwar ausgerechnet dann, als wie aus heiterem Himmel ein Herold der Aigyptossöhne auftaucht.
In Darmstadt wird es dramatisch, was in der Inszenierung antiker Stücke selten geschieht. Der Herold ist ein „Wilder“ im Lendenschurz mit Saxophon. Er umgirrt eine der Danaiden halb brutal, halb zärtlich mit einem Netz und seinen Tönen. Sie will auftrumpfen, zeigt die Zeichen ihrer neuen Zugehörigkeit und stakst hochhackig. Die „zivilisierte“ Dame gelingt ihr nicht.
Am Ende müssen die Aigyptossöhne abziehen. Ob das griechische Asylrecht etwas taugt, ist vermutlich in den anderen Teilen der Trilogie zu erfahren. Denn dort kommen die „Wilden“ wieder. Aber die sind verschollen. Jürgen Berger
Aischylos: Die Schutzflehenden. Regie: Lore Stefanek. Bühne: Cornelia Adis. Kostüme: Sandra Meurer. Musik: Hakim Ludin. Weitere Aufführungen: 6., 20., 23. und 27. Februar
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