Ein Leibwächter Saddam Husseins berichtet

Karim al-Jabouri war einer von 25 Leibwächtern, die den irakischen Diktator rund um die Uhr bewachen. Im vergangenen September fürchtete er, er sei bei Saddam in Ungnade gefallen und flüchtete. Der Mann weiß nur zu genau, wovor er Angst haben muß. Das hier gekürzte Protokoll ist in der Februarausgabe der Zeitschrift 'Transatlantik‘ nachzulesen.  ■ 

Als der Präsident ihn bei der Hand nimmt und sich eingehend nach der Familie erkundigt, begreift Karim, daß er in den innersten Kreis aufgenommen worden ist. „Ich war unglaublich stolz darauf, für ihn arbeiten zu dürfen.“ Als Begrüßungsgeschenk bekommt er einen weißen Volkswagen, made in Brazil. Draußen wartet der Konvoi mit dem gepanzerten Mercedes des Präsidenten. Saddam Hussein hält sich nie in dem Wagen auf, in dem man ihn vermutet: Vor dem eigentlichen fährt stets noch ein „Phantom- Konvoi“, der als Köder für einen möglichen Anschlag dient.

„In den ersten Monaten war selbst bloße Routine das reinste Glück für mich“, erinnert sich Karim. [...] Die Menschen respektieren ihn, er hat Informationen und Macht, er strahlt im Lichte dessen, dem er dient.

Der Tag beginnt um fünf Uhr früh, wenn der Präsident auf seiner „Farm“ erwacht, einem Palais, das sich über ein gewaltiges Viertel von Bagdad erstreckt und das von Flugzeugen nicht überflogen werden darf. Saddam Hussein schläft niemals an zwei aufeinanderfolgenden Nächten in demselben Gebäude; um von einem Raum in den anderen zu gelangen, benutzt er unterirdische Gänge, die niemand außer ihm betreten darf.

Der Tagesablauf auf der „Farm“ ist stereotyp. Von fünf bis sechs Uhr zehn spaziert der Präsident, in Beduinengewändern, durch die Gärten des Besitzes, zwischen Gazellen und künstlichen Seen, die er hat anlegen lassen. Anschließend liefert ein Hubschrauber das Frühstück an — eine Flasche Kamelmilch, die man jeden Morgen aus einer Herde von 200 weißen Kamelen herbeischafft, ein Geschenk des saudiarabischen Königs Fahd. Spätestens um 6.55 Uhr streift Saddam Hussein seine kugelsichere Weste über und begibt sich in sein Büro im Ghazi-Palast. Dort schließt er sich ein, mitunter arbeitet er bis zu zehn Stunden ununterbrochen an ein und derselben Akte. Nur eine Person darf ihn dann stören: die 14jährige Hala, seine Lieblingstochter.

Gegen 13 Uhr steuert Saddam Hussein sein Schnellboot über den Tigris, um „Mazgouf“-Fisch zu essen, danach schwimmt er ein paar Züge in seinem Swimmingpool oder geht in den Straßen von Bagdad spazieren. Saddam hält es nie lange an einem Ort, sagt Karim. Ab zehn Uhr abends zieht der Präsident sich mit seinen Beratern zurück. Der Kreis der Vertrauten ist klein. [...] Der Diktator ist mißtrauisch, läßt sein Essen vorkosten, um nicht vergiftet zu werden, er wäscht sich ständig die Hände, hat panische Angst vor Krankheiten und Bakterien und läßt sich zweimal die Woche ärztlich untersuchen — vom Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Bagdad, der auch die Idealtemperatur für Büro und Aufenthaltsräume des Präsidenten festlegt. [...]

Es sollte bis zum Sommer 1986 dauern, bis das schöne Bild Risse bekommen hat und Karim erkennt, daß Saddam Hussein nicht unbedingt der untadelige Führer ist, dem er zu dienen glaubte. Es ist die Zeit der großen iranischen Offensiven. Eines Morgens um 6.30 Uhr teilt der Verteidungsminister mit, daß Khomeinis pasdaran, die Revolutionsfreiwilligen, eben Fao eingenommen hätten. Diese Halbinsel im Süden des Iraks galt als uneinnehmbare Festung — und sie war gefallen! Zornbebend fordert Sadam einen sofortigen Gegenangriff. Auf seinen Minister, der ihm die Verluste an Menschenleben vorrechnet, will er nicht hören. „Was kümmern mich die Verluste!“ schneidet er ihm das Wort ab. „Es kommt nur darauf an, daß wir Fao zurückerobern!“ Im winterlichen Schlamm starten die Irakis massive Gegenoffensiven. Die Männer sterben in Scharen, und mit jedem Schuß fressen sich die Panzer tiefer im Matsch fest. Ende April geht Saddam an die Front, um persönlich die Operation zu befehligen. Er bestimmt 400 Mann aus der Präsidentengarde, schickt sie an die vorderste Front und ordnet einen massiven Angriff mit chemischen Waffen an. Aber der Wind frischt auf und dreht sich: „Unsere eigenen Männer wurden vergast. Wir mußten die Kadaver von 120 Leibwächtern einsammeln. Ich selbst habe die Leiche eines Freundes aus Ramadi nach Bagdad gebracht. Das war Leutnant Kassem, ein Mann, der einen Königsadler gezähmt und aufgezogen hatte — um ihn Saddam zu schenken.“ An jenem Tag beginnt Karim, sich Fragen zu stellen.

Die Antwort erhält er am darauffolgenden August. Der Boden ist inzwischen sehr trocken geworden, perfekt für einen Panzerangriff. Für elf Uhr morgens hat Saddam 110 Kilometer von Fao entfernt eine Sitzung in der unterirdischen Befehlszentrale des Hauptquartiers der 7. Armee einberufen. [...] Im Hintergrund stehen Karim und zwei Leibwächter.[...]

Saddam entscheidet sich für eine großangelegte Frontaloffensive. Am anderen Ende des Tisches widersetzt sich General Salah el-Kadi diesem Plan mit Nachdruck. Er widerspricht, verurteilt die gewählte Taktik, sagt eine sichere Niederlage voraus. Die Diskussion zieht sich lange hin. „,Steh auf!‘ befahl Saddam dem General“, ruft Krim sich die Szene in Erinnerung. „Der General erhob sich von seinem Stuhl. Saddam sagte: ,Du, du bist ein Feigling! Ein Verräter!‘ Alles war mucksmäuschenstill. Der General wich zurück, bis er mit dem Rücken zur Wand stand. Dann zog Saddam seine Pistole und feuerte ihm sieben Kugeln in die Brust. Es war mitten im Krieg, die Offiziere waren an Explosionen und Schüsse gewöhnt, aber das... Alle waren wie gelähmt. Wir wateten geradezu im Blut. Saddam sagte ganz ruhig: 'Schafft mir das weg!‘ Und dann setzte er die Sitzung noch eine gute halbe Stunde lang fort. Als sei nichts geschehen!

Der Sturm auf Fao wird angeordnet, er endet in einer blutigen Niederlage. General Salah el-Kadi mußte sterben, weil er gegen den Diktator recht hatte. Einige Zeit später macht Saddam posthum einen Helden aus ihm und überhäuft seine Familie mit Geschenken. [...]

Zurück in Bagdad, wird Karim Karim al-Jabouri zu den Dawrat el Dhabat beordert, einer Gruppe von Palastoffizieren, die für die innere Sicherheit zuständig sind. [...] Ungefähr zu jener Zeit betritt Karim al-Jabouri erstmals die Zentrale des irakischen Sicherheitsdienstes im Bagdader Viertel Al-Nidal. Es wird eine Reise in den Schrecken. „Ich sah ein völlig verdrecktes junges Mädchen, das Haar voller Ungeziefer. Sie war im sechsten Monat schwanger und wurde in einer 1,20 Meter mal 1,80 Meter großen Zelle gehalten, ohne Licht und Fenster. Sie betete. Ihr Vater war ein Oppositioneller. Mitunter kamen am Freitag, dem Feiertag, ein paar Offiziere, wuschen sie und trieben dann ihre Späße mit ihr. Das Mädchen war gerade 17 Jahre alt.“ Von Menschenraub und systematischen Folterungen der Kinder von Oppositionellen war wiederholt in amnesty-international-Berichten die Rede. Kinder, die in Käfige gesperrt werden, vergewaltigt oder schlicht ausgehungert, um ihre Eltern zu „Geständnissen“ zu zwingen. Das jüngste Kind war, diesen Berichten zufolge, ein fünf Monate altes Baby. [...]

Ende 1987 verschlimmert sich der Alptraum noch: Sein Vater, der Sheikh aus Ramadi, hat Karim gebeten, sich nach dem Schicksal eines Nachbarn zu erkundigen, der als Hausmeister im örtlichen Funktionärsklub gearbeitet hatte. Der Mann heißt Karim Hmoud, er wurde verhaftet, und seither hat man nichts mehr von ihm gehört. Karim stellte Nachforschungen an, doch er findet nichts heraus.[...]

„Vielleicht“, sagt der Begleitoffizier zu Karim, „hat man den Mann in Säure aufgelöst.“ „Wovon redest du?“ „Komm mit. Ich zeig's dir.“ Der Offizier führt ihn in ein anderes Gebäude, eine elektrische Tür öffnet sich, und Karim steht vor einem großen Glasfenster. „Dahiner lag ein Raum mit einer Art Bassin, das in den Boden eingelassen war — etwa fünf mal fünf Meter groß, eingezäunt von einer braunen, schmiedeeisernen Balustrade. Das Bassin hatte einen dunklen Zementboden, aus dem Bad dampfte es. Säure. Ich sah menschliche Überreste, die noch an der Oberfläche schwammen. Der Offizier sagte mir: „Der da wurde vor knapp zwei Stunden aufgelöst.“ Er erklärte mir, daß man zunächst Hände und Füße des Delinquenten in die Säure taucht und ihn dann bei lebendigem Leibe ins Säurebad wirft.“

Der Hausmeister aus Ramadi hatte dasselbe Schicksal erlitten. Zunächst hatte er sich des Verbrechens schuldig gemacht, achtlos auf ein Saddam-Hussein-Plakat zu treten, das von einer Wand gefallen war. Man hatte ihn gefoltert, und er hatte es gewagt, sich zu beschweren und seine Peiniger noch zu beschimpfen!

Die Monate gehen ins Land. Karim schläft zusehends schlechter, immer stärker verfolgt ihn der Gedanke: „Irgend etwas muß getan werden!“ Von einigen Kameraden, die ihn halbwegs ins Vertrauen ziehen, weiß er, daß er mit seiner Meinung nicht allein dasteht. Eines Abends versammeln sich an einem Tisch des Hotels Mansour elf Offiziere, darunter zwei Kommandierende von Panzer- und Raketeneinheiten. Niemand wagt es, offen zu sprechen, alle wissen, daß die großen Hotels von Bagdad mit Wanzen gespickt sind. Dieses Abhörsystem war 1980 installiert worden, als Bagdad die Konferenz der Blockfreien ausrichtete. Damals wurde viel gebaut. Im Hotel Méridien, das inzwischen „Hotel Palästina“ heißt, sind die Kameraobjektive hinter der Tapete unterhalb der Klimaanlage versteckt. Im Untergeschoß des Präsidentenpalastes, in der Nähe des Casinos, werden die Videokassetten und Tonbänder in einem Zimmer abgehört, in dem drei Personen nur damit beschäftigt sind, ein rundes Dutzend Videomonitore zu überwachen. Das Abhören der Telefongespräche geschieht im „Büro 85“ am Al-Masbah-Platz, einem vierstöckigen Gebäude, dessen Obergeschoß für die Datensammlung reserviert ist. „Das einzige Problem“, sagt Karim, „besteht darin, daß sie nicht mehr als 10.000 Telefone auf einmal abhören können.“[...]

Frühjahr 1988: In Beji, einem kleinen Dorf, steht Saddam vor einer 80jährigen, etwas wirren Frau, die nicht verwinden kann, daß ihr einziger Sohn im Krieg gefallen ist. Sie verflucht den Diktator: „Du bist ein Verbrecher! Du lebst, und mein Sohn mußte sterben! Du Feigling! Du Mörder!“ Saddam antwortet ihr nicht. Statt dessen befiehlt er seiner Leibwache: „Aus dem Wagen! Schlagt sie!“ Die umstehende Menge fleht, man möge die Alte schonen, die doch gar nicht wisse, was sie sage. „Vier der Leibwächter schlugen mit Gewehrkolben und Stiefeln auf sie ein — ziemlich lustlos. Zum ersten Mal schien mir, daß er außer sich vor Wut war. Er schrie: „Ich habe euch doch gesagt, ihr sollt sie totschlagen! Ich will da Blut aus ihrem Körper spritzen sehen!“ [...]

Karim al-Jabouri hätte den „Palast ohne Wiederkehr“ in Bagdad vergessen können und all seine geraubten Illusionen. Den Mord an dieser alten Frau hat er Saddam nie verziehen. Am nächsten Morgen hält er Wache vor Saddams Zelt in der Wüste. Als der Diktator im Morgengrauen herauskommt, im Beduinengewand und ohne kugelsichere Weste, umklammert Karim seine Kalaschnikow. „Es war der 28. Mai, 7 Uhr morgens, einen Tag nach dem Tod der alten Frau. Ich hatte Saddam vor der Flinte, schutzlos. Und dann... ach, wie ich diesen schwarzen Moment bereue, in dem ich zurückgeschreckt bin!“

Saddam wurde von Tag zu Tag stärker. Seine Truppen hatten Fao zurückerobert, indem sie die Iraner mit einer wahren Mauer von Artilleriefeuer belegten. Als der Sieg sicher scheint, bricht Saddam nach Saudi- Arabien auf. Er, der nie gebetet hatte, fliegt mit seinen hundert Leibwächtern im Hubschrauber direkt vor die Tore von Mekka. Noch heute ist Karim fassungslos, wenn er sich erinnert, wie sie in die heilige Stätte einfielen, auf Strümpfen, aber die Uniform auf dem Rücken, die Waffe in der Hand. „Wir stießen die Pilger beiseite, als wären wir bei uns zu Hause, im Irak.“ Saddam bereitete es ein Riesenvergnügen, die Saudis zu demütigen und das Foto verbreiten zu lassen, das ihn barfuß und in weißer Toga bei der Umarmung des schwarzen Steins im heiligen Mekka zeigt.

Karim hätte noch lange so weitermachen können — im Schatten von Saddam Hussein auf den passenden Tag, die passende Stunde warten können. Aber diesmal ist es er, der Angst hat. Man hat ihm einen Spezialauftrag erteilt: Er soll den Verteidigungsminister Adnan Khairallah töten, den Schwager des Präsidenten, einen Politiker ersten Ranges. Saddam kann dem Verteidigungsminister nicht nachsehen, daß er sich während des Krieges eine immense Popularität erworben hat, die weit über die Kreise der Armee hinausreicht. Für Karim ist es die Katastrophe: „Die Alternative war einfach: den Befehl verweigern und sich dadurch verdächtig machen und auf lange Sicht ein toter Mann sein. Oder den Auftrag annehmen und Gefahr laufen, ein störender Zeuge zu werden, den man früher oder später aus dem Weg räumen würde.“