Lohn der Angst

■ Deutsche Soldaten beweisen Mut an der richtigen Stelle

Es mag die Lehre aus zwei verlorenen, verheerenden Kriegen sein, aber auch die späte Ernte antiautoritärer und feministischer Bewegungen, daß in diesen Tagen ungewöhnliche Bilder über die bundesdeutschen Fernsehschirme flimmern: Junge Männer in Uniform sprechen offen über ihre Angst, in den Krieg zu ziehen. Gestandene Alpha-Jet-Piloten bekennen nach ihrem Einsatz in der Türkei, daß sie sich um Jahre gealtert fühlen. Nachdenklich gestehen einige ein, zum ersten Mal über ihre Rolle reflektiert zu haben und verunsichert zu sein. Etliche der jungen Soldaten signalisieren mehr als deutlich, daß sie an Verweigerung denken, andere Uniformierte sind diesen Schritt bereits gegangen. Ein Verteidigungsminister kann vor laufender Kamera nur mit gequältem Lächeln seinen Unmut über diese fehlende „Moral der Truppe“ verhehlen. Ein Major im türkischen Erhac muß konsterniert und gekränkt bekennen, daß er „seine Männer“ falsch eingeschätzt habe. Trotz jahrelanger Einübung seien die Piloten ihrem „Charakter“ nach wohl doch keine „richtigen“ Soldaten geworden.

Wenn es an diesem Krieg überhaupt etwas Ermutigendes geben kann, dann sind es diese Bekenntnisse der letzten Tage, daß das Soldatsein nicht mehr als selbstverständliche, quasi genetisch bedingte Charaktereigenschaft jedes Mannes angesehen werden kann. Es sind — wenn auch vorsichtige — Ansätze eines neuen Rollenverständnisses, die anhand der Aussagen der Soldaten deutlich werden. Teile einer Generation von jungen Männern sind nicht mehr bereit, für irgendwelche von oben gesetzten Ideale, Religionen oder Befehle zu sterben, sondern sie nehmen sich selbst und die Unversehrtheit ihrer Körper ernst. Die Angst um das eigene Leben — und das Leben anderer — überwiegt vor der Angst, das Etikett „Schlappschwanz“ angeheftet zu bekommen — und das ist vielleicht eine der größten Errungenschaften einer Zivilisation.

Diese Errungenschaft wiegt um so schwerer in einem Land wie Deutschland, das in seiner Geschichte zahllose Kriege angezettelt und kaum einen ausgelassen hat. Wenn Historiker und linke Intellektuelle jetzt die deutsche Geschichte bemühen, um eine historische Verantwortung zum militärischen Eingreifen in den Golfkrieg herbeizuschreiben, dann sollten sie sich an diesem fatalen Kapitel „deutschen Mannesmutes“ mit seinen jeweils verheerenden Folgen nicht vorbeischummeln. Soldatsein, Heldsein, für das „Vaterland zu fallen“ waren (männer)generationenlang scheinbar natürliche Sozialisationsetappen in Deutschland. Und sie waren Synonyme für Männlichkeit und Mut — Mut, den jetzt erstmals eine beachtlich große Zahl von Soldaten an der richtigen Stelle zeigt. Mut, den vor allem auch die Länder jetzt nicht mit Verhöhnung belohnen sollten, die noch vor kurzem vor einem einigen, übermächtigen Deutschland warnten. Denn den Lohn der Angst ernten nicht die Soldaten selber. Vera Gaserow