Verbrechensbekämpfung und Erfolgsquote

■ Gorbatschow erläßt neuen Ukas/ Innenministerium wird beauftragt, eine neue Polzeieinheit zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens aufzustellen/ Die Prämien der Kripo errechnen sich nach dem Verhältnis angezeigter zu aufgeklärter Verbrechen

Einen Monat erhält das sowjetische Innenministerium Zeit, um eine neue Abteilung einzurichten, die sich ausschließlich mit der Bekämpfung von Schwerstkriminalität, organisiertem Verbrechen und Drogenhandel befassen soll. So will es ein neues Dekret Gorbatschows, das ein vom Obersten Sowjet der UdSSR bereits im vergangenen Jahr verabschiedetes Gesetz „Über Maßnahmen zur Stabilisierung des wirtschaftlichen und politischen Lebens des Landes“ jetzt konkretisiert. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme begründet der Ukas mit dem gestiegenen Anteil krimineller Organisationen, die dazu übergehen, landesweit und im internationalen Maßstab zu operieren.

Der Ukas beauftragt die Moskauer Zentrale, innerhalb von zwei Monaten regionale Unterabteilungen zu bilden und sie mit den notwendigen technischen Arbeitsmitteln auszustatten. Besondere Aufmerksamkeit verdient allerdings der vierte Absatz des Dekretes. Demnach behält sich die Regierung vor, noch im ersten Halbjahr diesen Jahres die Frage der Gründung einer innerbehördlichen Kontrollkommission zu prüfen.

Das Mißtrauen auch gegenüber einer neuen Behörde ist natürlich nicht unbegründet, gerade wenn es sich um organisierte Kriminalität handelt. Die sowjetische Kriminalistik unterscheidet drei Stufen organisierten Verbrechens. Regionale und lokale Banden ohne nennenswerte politische Verbindungen, Gruppen, die mit korrupten Funktionären zusammenarbeiten und einflußreiche Organisationen, die überregional operieren und über beste Beziehungen in die obersten Etagen des Partei- und Regierungsapparates verfügen.

Von 1989 bis 1990 hat die Kriminalität in der Russischen Föderation allein um 12 Prozent zugenommen. Die Aufklärungsrate stagniert dagegen um die 50 Prozent. Der sowjetische Kriminologe Tschernenko macht hierfür den moralischen Verfall der Mitarbeiter des Innenministeriums verantwortlich. „Bestechlichkeit, Geheimnisverrat, Bürokratismus, Gefühllosigkeit, Grobheit, Isolationismus und Gesetzlosigkeit“ seien weitverbreitet. Hinzu kommt noch ein Paradox. Die Kriminalpolizei wird nach dem Verhältnis der aufgeklärten zu den angezeigten Straftaten prämiert. Da die Prämie sinkt, je mehr Verstöße registriert werden, zeigen Miliz und Kriminalpoizei wenig Interesse an einer flächendeckenden Verbrechensbekämpfung. Staatsanwaltliche Ermittlungen ergaben, daß 1988 mindestens 40.000 Straftaten von der Polizei unterschlagen worden sind.

Ist der Erfolg des Anti-Mafia-Ukas ungewiß, so kann sich, wenn man der Agentur 'Tass‘ Glauben schenkt, der Erlaß über den Einsatz gemischter Patrouillen aus Miliz und Polizei erster Erfolge rühmen. 5.000 kleine Fische sollen „wegen unterschiedlicher Gesetzesverletzungen“ festgenommen worden sein. Die Zahl der Einsatzorte ist seit Einführung der gemischten Doppel am letzten Freitag um ein Drittel auf 86 erhöht worden. Nach den baltischen Republiken, Armenien und Moldawien haben allerdings jetzt auch die Sowjets Moskaus, Leningrads und Kiews den Einsatz der Patrouillen untersagt. Die Balten lehnen den Einsatz sowjetischen Militärs als mit ihrer Unabhängigkeit unvereinbar ab, Rußland und jetzt auch die Ukraine halten ihn für unannehmbar, weil der Verfassung widersprechend.