Krieger des Westens vor der Ostkamera

■ »Piloten im Pyjama« und »Der lachende Mann« im fsk

Willy Brandt: »Ich denke, es wäre unvernünftig von den Amerikanern zu verlangen, daß sie abziehen.« Nachdenklich-sozialdemokratische Worte zum Vietnamkrieg von langer Haltbarkeit. Golfkrieg und Vietnamkrieg haben zwar nicht viel miteinander gemeinsam, aber die begleitenden Anpreisungen haben zwanzig Jahre unbeschadet überstanden. Markig- staatsmännisch Franz-Josef Strauß: »Die USA verdienen dafür die Bewunderung und Dankbarkeit aller, die es ernst meinen mit der Sache der Freiheit.« Plakativ hingegen Christdemokrat Kai-Uwe von Hassel: »In Vietnam wird auch unsere Freiheit verteidigt.« Bundespräsident Lübke formuliert lieber pastoral-demokratisch für die Ewigkeit: »Möge auch der gegenwärtige Kampf, den Ihr Land als Vorkämpfer der Freiheit gegen die Mächte der Unterdrückung führt, von Erfolg gekrönt sein.« Nur das Betroffenheitsgelaber (Sportführer Willy Daume: »Der Sport trauert.«) gab es damals noch nicht. Wozu auch? Glaubwürdigkeit und Ansehen rekrutierten sich nicht wie heute aus verlautbarter Fähigkeit zu trauern, sondern aus dem Willen zu Freiheit und Härte. Die Positionen waren klar verteilt. Von dem jetzigen mentalen Kuddelmuddel keine Spur. GIs gutt, Vietcong schlächt, bzw. umgekehrt.

Aus dieser Klarheit heraus entstand 1968 der vierteilige Dokumentarfilm Piloten im Pyjama von Heynovski und Scheumann. (Das fsk zeigt den dritten Teil: Der Job). Den beiden DDR-Dokumentarregisseuren wurde es von der Regierung in Hanoi gestattet, gefangene amerikanische Piloten vor der Kamera zu interviewen. Heynovski und Scheumann befragen die abgeschossenen Bomberpiloten nach ihrem Job, ein Wort, das ja auch im Golf zur Gebrauchsanleitung der militärischen Operation gehört. Welche Arten von Bomben haben Sie transportiert? Ist das eine Arbeit wie jede andere? Hat sich Ihr Gehalt durch den Vietnameinsatz erhöht? Die Piloten sitzen im Pyjama vor einer kahlen Wand auf einem Stuhl und geben im Stil einer Bedienungsanleitung Auskunft. 750-Pfund-Bomben habe man geflogen, 1.000-Pfünder, 2.000-Pfünder und 3.000-Pfünder auch. Die Cluster-Bombe (ein tennisballgroßer Metallkörper, der beim Aufprall auf dem Boden explodiert und dabei Tausende von kleinen Stahlkugeln verschießt), die auch heute noch im Golfkrieg zum Einsatz kommt, habe einen großen Streubereich und diene dazu, das Abwehrfeuer durch Beschuß der Flaksoldaten einzudämmen. Die Stahlkugeln seien schmerzhaft und destruktiv. Nach diesen sachlichen Schilderungen durch die Piloten zeigen Heynovski und Scheumann Aufnahmen von zerschossenen Kinderköpfen, gelähmten Männern und toten Frauen — die hohe Kunst der Agitation. Nicht ausgewogen, sondern parteilich, nicht betulich, sondern scharf.

Zu großer Form laufen Heynovski und Scheumann bei zersetzenden Montagen auf. Sie geben den gefangenen US-Piloten Gelegenheit, ihren Eltern, Frauen und Kindern eine Botschaft zukommen zu lassen. Nach jedem Gruß an die Lieben daheim folgen Bilder von toten vietnamesischen Männern und Frauen, die keine Grüße mehr ausrichten lassen können. Hier sind Heynovski und Scheumann Meister ihres Faches. Zu herzensdummen Plattheiten Ulbrichtscher Dimension kommt es hingegen, wenn die schöne Idee des Sozialismus mit einnehmenden Bildern belegt werden soll. Ein knappes Dutzend vietnamesischer Ärzte und Krankenschwestern, die sich ebenso besorgt wie intensiv um ein kaputtes amerikanisches Kniegelenk kümmern — das ist selbst für die damaligen klaren Verhältnisse von äußerster Plumpheit. Der sozialistische Mensch in Vietnam hatte nicht nur unüberwindlich in der Luftabwehr zu sein, sondern in ihm mußte auch noch ein Herz so groß und gütig wie das Mutter Theresas schlagen.

Der lachende Mann hingegen ist ein Dokumentarfilm, in dem Heynovski und Scheumann erfreulicherweise auf das Lob des Sozialismus verzichtet haben und sich dergestalt ganz auf die vernichtende Häme konzentrieren konnten. 1966 stöberten sie den ehemaligen Oberstleutnant der Wehrmacht, Siegfried Müller, auf, der sich zwei Jahre zuvor bei der Niederschlagung eines antikolonialistischen Aufstandes im Kongo einen Namen gemacht hatte. Mit 40 weißen Söldnern und 150 schwarzen kongolesischen Soldaten startete er im Auftrag des Staatschefs Tschombe die »Operation zur Befreiung Äquatorials«. In nur zehn Tagen »erledigte« (Müller) er blitzkriegmäßig die separatistische Provinz Äquatorial (ca. so groß wie die BRD) und brachte sie heim nach Kongo. Seitdem kannte alle Welt Siegfried Müller nur noch als »Kongo-Müller«. Heynovski und Scheumann ziehen es vor, Kongo- Müller erzählen zu lassen. Hier und da ein paar gezielte Fragen, und der leutselige Edelsöldner spuckt bereitwillig aus. Die Verbindungslinie zwischen seinem Kampf im Dritten Reich und dem Einsatz im Kongo? Na ja, seine antibolschewistische Haltung eben. Er sei ein Krieger des freien Westens. Eigentlich schon damals in Deutschland. Hier im Kongo sei er sein eigener Feldmarschall, haha. Wir haben eine Verantwortung für die Schwarzen. Er kämpfe in Afrika für Europa. Im übrigen sei er gegen das Abschießen von Negern und für die Ideen des Westens.

Mit rundlichem Gesicht, dicken Lippen, kleinen Schweinsäuglein und buschigen Augenbrauen breitet er jovial seine Weltanschauung aus. Daten seiner Biographie begleitet er mit geschmeicheltem Kopfnicken und einem zackig-stammtischbrüderlichen »Richtig, richtig!«. Kongo- Müller ist der nette Faschist von nebenan. Er lächelt bei einem plötzlichen Einfall verschmitzt wie Ekel Alfred in Ein Herz und eine Seele und grient nach einer gelungenen Anekdote wie Wonneproppen Blüm. Wie viele Menschen er persönlich umgebracht hat, ist nicht bekannt. Ähnlich wie Klaus Barbie ist Siegfried Müller ein flottes Stehaufmännchen, der verschiedenste militärische Vereinigungen kennengelernt hat: die deutsche Wehrmacht, die US-Forces in der Nachkriegszeit, die Bundeswehr und dann die kongolesische Armee.

Doch der deutsche Krieger im Dienst der antibolschewistischen Freiheit hat nicht nur eine Schwäche für militärische Orden und Operationen, sondern auch für Alkohol. Im Laufe des Gesprächs leert sich die Pernodflasche neben ihm zusehends, während Müllers Redseligkeit steigt. Das zackige »Richtig, richtig!« ist nur noch ein lallendes »Richichich«. Die großspurige Selbstgefälligkeit hat ihn endgültig aus der Kurve getragen und schwindelerregend komiche Höhen erreicht: »Ich bin für die Befreiung aller Menschen, egal ob Preußen oder Kongolesen«. Heynovski und Scheumann bieten mit Der lachende Mann 65 Minuten bestes Material zur Erforschung der deutschen/faschistischen Psyche. Herzlich, aber rauh. Piloten im Pyjama hingegen ist eine gute Gelegenheit, die derzeit verhängt Militärzensur über den Umweg Vietnam zu umgehen. Die allseits als Bildmaterial geforderten verstümmelten Leichen sind ebenso zu sehen wie die Präzision chirurgischer Schnitte. Volker Gunske

Piloten im Pyjama — Teil 3: Der Job , DDR 1968, von Heynovski und Scheumann läuft von 7. bis 9. Februar.

Der lachende Mann , DDR 1966, von Heynovski und Scheumann läuft von 10. bis 13. Februar jeweils um 22 Uhr im fsk.