SEL-Protest bei Diepgen

■ Knapp tausend SEL-Beschäftigte demonstrierten vor dem Rathaus Schöneberg/ Diepgen will mit SEL-Vorstand und Alcatel reden

Schöneberg. Routine für die Polizei vor dem Rathaus Schöneberg — Pelzmützen statt Schutzhelme. Noch verlaufen die Demonstrationen von kündigungsbedrohten ArbeitnehmerInnen ausgesprochen gesittet. Die knapp 1.000 Beschäftigten des SEL- Werkes in Tempelhof, die gestern dem Regierenden Bürgermeister Diepgen einen »Protestbesuch« abstatteten, trommelten und pfiffen eher gegen die Eiseskälte als gegen die neugewählte Landesregierung an. Währenddessen versuchten drinnen bei humaneren Temperaturen SEL-Betriebsrat Günther Eller und IG-Metall-Chef Manfred Foede dem Bürgermeister mitsamt seinem Wirtschaftssenator Meisner und seiner Arbeitssenatorin Bergmann den Ernst der Lage klar zu machen. Nicht nur 2.700 Arbeitsplätze in Ost- und West-Berlin sind bedroht, wenn die Konzernleitung ihre Ankündigung wahrmacht und ihre Produktionsanlagen aus Berlin abzieht (die taz berichtete). »Da hängen auch 40 bis 50 Zuliefererbetriebe mit dran«, sagte Eller. Von den Gesprächsergebnissen berichteten den durchgefrorenen Beschäftigten nach gut einer Stunde nur Foede und Eller. Von Seiten des Senats ließ sich zum Unmut der Versammelten niemand sehen. »Herr Diepgen hat sich die Argumente sehr genau aufgeschrieben«, erklärte Foede, und wolle sich um die Belange der ArbeitnehmerInnen kümmern. Der Gewerkschafter warnte erneut davor, daß SEL nicht der einzige Betrieb sein werde, der seine Produktion aus Berlin wegverlagere. Die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) hatte Diepgen bereits am Vorabend der Aktion in einem Positionspapier darauf hingewiesen, das »Modell SEL« könne sehr schnell ein »Modell Berlin« werden. Die Senatspressestelle ließ inzwischen verlauten, Diepgen wolle mit dem SEL- Vorstand und mit der Muttergesellschaft Alcatel sprechen.

Dem Betriebsratsvorsitzenden Günther Eller reichte das bei weitem nicht. Eine klare Aussage des Bürgermeisters, »daß er sich für die Arbeitsplätze einsetzt« habe er erwartet. »Diese Aussage habe ich nicht bekommen«, erklärte Eller nach dem Gespräch sichtbar enttäuscht. Große Hoffnungen hatte sich unter den DemonstrantInnen ohnehin niemand gemacht. »Als ob Diepgen da noch etwas drehen oder wenden könnte«, sagte eine SEL-Beschäftigte. »Wer regiert im Berliner Land? Diepgens oder Zeidlers Hand?« hieß es bezeichnend auf einem der Transparente.

Gerhard Zeidler, Vorstandsvorsitzender der SEL in Stuttgart ist zur Zeit die personifizierte Existenzbedrohung für 2.700 Beschäftigten im Ost- und Westteil der Stadt, die ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Zeidler nennt das »Umstrukturierung«, die ArbeiterInnen sprechen von »Kahlschlag«, von »Verarschung«. Am 31. Januar 1990 habe ihnen der Vorstand noch versichert, daß in Berlin »alles paletti ist«, sagt ein Demonstrant. »Berlin produziere weiter für den europäischen Markt, haben sie uns erzählt.« Gerhard Zeidler hat sich für die kommende Woche auf dem Tempelhofer Werksgelände angesagt. »Für einen gebührenden Empfang«, so Gewerkschafter und Betriebsangehörige, »werden wir schon sorgen.« anb