Laßt Bilder sprechen

■ Das kleine Fernsehspiel „Leningrad, November“, Di., ZDF

Schade, daß wir keinen Hund haben“, sagt Igor und wirft im hohen Bogen ein Stöckchen in den Kanal, der schnurgerade zu einem im Nebel verhüllten Schloß führt. Igor und Max gehen weiter durch den Park. Die mit diffusem Weichzeichner weniger fotografierte als „erlittene“ Szenerie erweckt den Eindruck, als wollten die beiden Regisseure mit Kubricks Barry Lyndon konkurrieren. Szene um Szene reiht sich aneinander wie Bilder einer Ausstellung. In penetrant beiläufigen Standardsituationen wie auf dem Rücksitz eines Autobuses, einer Parkbank oder im Bett erfolgen Dialoge, die so zwanglos und natürlich sind, daß wir beim Zuschauen beinahe selbst ins Gespräch verwickelt werden. Dann wieder einer dieser melancholischen Schwenks über die Dächer von Leningrad.

Die Perspektive, aus der die Situation des Exilrussen Max (Grigori Gladij) geschildert wird, der aus der Bundesrepublik ans Sterbebett seines Vaters gerufen wird, der ihn nicht mehr zu kennen scheint, ist die der Empfindsamkeit. Eine Symphonie aus Nebelbildern, über Fensterscheiben rinnenden Wassertropfen und Blicken in einsame Seitengassen. Zuschauen, entspannen, nachdenken.

Wer nicht abfährt auf diese visuelle Leutseligkeit, die uns einmal mehr das dräuende Pathos von der schweren russischen Seele auf die Netzhaut tätowieren will, diesen fotogenen Katalog kalkulierter Empfindsamkeit, dem kommt das alles ab einem bestimmten Punk nur noch pennetrant vor. Wenn der Film doch noch eine gewisse Qualität aufweist, so diese, daß er einen Prototypen darstellt, und zwar für auf „Sinnlichkeit“ getunte Filmkritiker, die mit stereotyper Beharrlichkeit von „schönen Bildern“ sprechen, wobei sie damit genau das meinen, was sie nicht in Worte zu fassen vermögen. Und dann am Ende noch der mit Max zurück in die Bundesrepublik aus dem Bahnhof ausfahrende Zug, dem Igor auf dem Bahnsteig hinterherrennt. Fast hätten sie sich noch die Hnd reichen können. Wenn nicht das Zugfenster geklemmt hätte. Manfred Riepe