Italiens „Ligen“ haben kurze Beine

Hinter der Forderung nach Regionalisierung verbergen sich finanzpolitische Interessen der begüterten Provinzen  ■ Aus Rom Werner Raith

Für Laura Cima, Fraktionsvorsitzende der italienischen Grünen, ist die Sache klar: „Die haben uns die Idee geklaut.“ Die Christdemokraten, vertreten durch den ehemaligen Fußballstar Gianni Rivera aus Mailand, machen zwar keine Vaterschaftsansprüche geltend, sehen aber „in alledem einen durchaus verfolgenswerten Ansatz“. Die Aufmerksamkeit gilt vordergründig der Forderung, die eine stark nach vorne drängende Formation stellt und die sich nun übers ganze Land verbreitet: Die Auflösung des seit der Reichseinigung im vorigen Jahrhundert bestehenden Zentralstaates zugunsten einer Förderation von Regionen, nach der die oberitalienischen „Ligen“ (Lega veneto, Lega lombarda, Union Ligure ua.) rufen.

Im schlichtesten Fall geht es um die Aufteilung Italiens in drei Großbezirke (Ober-, Mittel- und Unteritalien), im kompliziertesten um eine Aufspaltung nach den derzeitigen Verwaltungseinheiten von insgesamt zwanzig „Regioni“. Hinter Lob wie Kritik steht freilich weniger eine Aufnahme der zugrundeliegenden Problematik, als vielmehr die Suche nach einer Antwort auf den enormen Erfolg, den die „Ligen“ bei Wahlen einheimsen (bis zu 21 Prozent bei den letzten Kommunal- und Regionalwahlen in Oberitalien 1990). Der Erfolg ist keineswegs nur auf die Forderung nach Regionalisierung zurückzuführen, sondern auf allerlei Accessoires, mit denen die Ligisten um den Mailänder Senator Umberto Bozzi antreten: Raus mit den seit Jahrzehnten permanent zuziehenden (freilich vor allem von den Fabriken angeworbenen) Süditalienern; weg mit den farbigen Immigranten, deren Handel mit Tand und Andenken heimische Geschäftsleute verschreckt; weg auch mit jeglicher Förderung anderer Gebiete außer der eigenen Region, speziell Aussetzung der Südförderung (wohin in der Tat seit Kriegsende umgerechnet mehr als 100 Milliarden D-Mark geflossen sind und meist ohne sichtbaren Erfolg versickerten).

Die Altparteien und die Grünen hatten das Programm der Ligen zunächst als rassistisch zu denunzieren versucht. Doch der Wahlerfolg ließ sich „längst nicht mehr nur mit solchen Schlagworten erklären“, wie der Mailänder Politologe Giorgio Galli erkannte. „Dahinter stehen tiefgreifende Ängste vor seelenlosen Großräumen und unkontrollierbaren Entscheidungen ferner Instanzen.“ Bester Beleg dafür ist die Tatsache, daß sich solche Ligen mittlerweile auch in Mittel- und Süditalien bilden und ohne jeden Rassismus die örtlichen Probleme aufgreifen. Für die antizentralistischen Programmpunkte der Ligen reklamieren die Grünen tatsächlich nicht ohne Grund das Erstgeburtsrecht: Schon seit Beginn der achtziger Jahre fordern sie eine Stärkung lokaler und regionaler Autonomie, ja sogar die weitgehende Ausschaltung der Zentralregierung aus den Verhandlungen mit der EG bei lokal- und regional wichtigen Fragen wie dem Umweltschutz.

Aber „möglicherweise hat unsere fast ausschließliche Ausrichtung an der Ökologie unsere Reichweite beschränkt“, vermutet der Grüne Abgeordnete Gianni Lanzinger. Erst als eine politische Bewegung, eben die Ligen, diese Sache weniger an der Ökologie, sondern an der Ökonomie festmachte — vor allem am Geldbeutel der weit über Landesdurchschnitt verdienenden Oberitaliener — sprang der antizentralistische Funke über. Dennoch: wie eine regionalistische Wende konkret aussehen könnte, weiß in Italien niemand so ganz genau zu sagen. Einig ist man sich nur, daß die bisher einigen Regionen zugestandenen Sonderrechte nicht das Gelbe vom Ei sind. Die oberitalienischen Spezialstatute in Südtirol, Val d'Aosta und Friaul räumen lediglich ethnischen und sprachlichen Minderheiten Schutzrechte ein. Nur Sizilien hat, nach separatistischen Aufständen bei Kriegsende, eine autonome Nische erhalten, die bis hin zur Bank- und Polizeihoheit reicht.

Doch auch das ist nicht die Form der Regionalisierung, von der die Ligen und mittlerweile auch die anderen Parteien sprechen: Ihnen geht es schlichtweg um eine andere Form des Regiertwerdens. Transparenz ist gefordert, Sparsamkeit der öffentlichen Hand, Kontrolle der Organe, bessere Dienstleistungen und besserer Schutz der Bevölkerung (im Gesundheitswesen wie auf den Straßen, bei Gericht und beim Wohnungsbau). Doch all das ist bisher eher Kritik an Rom denn eine praktische Vorstellung von Alternativen. Grüne wie Ligen sind zum Beispiel bis heute eine praktikable Antwort auf die Frage schuldig, wie denn der von ihnen geforderte „direkte Zugriff auf EG-Institutionen und -Gelder“ aussehen soll, wenn der neue Großraum schon bei bisher nur zwölf Verhandlungspartnern — den Regierungen der Mitgliedsstaaten — unbeweglich genug ist.

So suchen sich nun alle Parteien auf den regionalistischen Trend eher kosmetisch denn inhaltlich einzustellen und ihn allenfalls für Wahlkämpfe zu instrumentalisieren. Und konsequenterweise kommt bisher auch nicht viel mehr heraus, als das Lamento über geklaute Ideen — wie bei den Grünen — oder das Versprechen, „in unserer Partei das lokale Element zu stärken“ (DC-Rivera). Besonders schwer tut sich die Sozialistische Partei des von 1983 bis 1987 regierenden Bettino Craxi. Seit Jahren steigen er und seine Genossen in die Bütt, um dem Volk eine Stärkung der Exekutive schmackhaft zu machen, plädieren für die Direktwahl des Staatsoberhaupts und die Einführung eines Präsidialsystems nach dem Muster Frankreichs. Der Erfolg der Regionalisierungsfans hat Craxis Konzept durcheinandergebracht.

Schwach ist der Versuch der PSI, noch auf den fahrenden Zug aufzuspringen und gleichzeitig mit dem Präsidialsystem auch eine Stärkung der Regionen — „alle internen Fragen betreffend“ zu versprechen. Hinter vorgehaltener Hand tuscheln die Sozialisten denn auch über eine andere „Lösung“ des Falles, Codewort „Litauen 2“: Gerade wo die Ligen teilweise mit regelrechten Abspaltungstendenzen drohen, sei eine starke Zentralmacht wichtig, und vielleicht am Ende das einzige Mittel, die Auflösung des italienischen Nationalstaates nach Art der Baltenrepubliken zu verhindern.