„Aus Grenzen müssen Räume werden“

■ Claude Marcori ist Expertin der französischen Raumplanungsbehörde DATAR INTERVIEW

Claude Marcori: Nachbarschaftliche Kooperation zwischen Grenzgemeinden gab es natürlich schon immer. Bei der komplexeren Frage, wie zwei Regionen unterschiedlicher Staaten ihre jeweiligen Potentiale zusammenlegen können, war es noch bis vor einigen Jahren sehr viel schwieriger. Die Zentralregierungen waren nicht prinzipiell gegen eine Kooperation, aber sie blieben in ihrer nationalen Logik stecken und versuchten, zunächst das Beste fürs eigene Staatsgebiet herauszuholen.

taz: Inwieweit begünstigt die europäische Einigung die Herausbildung von grenzübergreifenden Wirtschaftsräumen?

Im Rat ist ausführlich diskutiert worden, wie man Grenzen nicht als Randgebiete behandeln kann, sondern als Entwicklungsräume, in denen sich die Menschen begegnen. Im Idealfall würde aus zwei Peripherien ein Zentrum werden. Derartige Projekte gibt es heute an allen Grenzen der Gemeinschaft.

Die zuständige Delegation der EG-Kommission fördert die Kooperation zwischen Regionen und hat im Rahmen des Strukturfonds ein spezielles Programm „Intereg“ dafür eingerichtet. Geld gibt es nur für Entwicklungsprojekte, wenn es vor Ort eine wirkliche grenzübergreifende Kooperation gibt.

Welche Rolle spielt die Pariser Zentrale noch bei den Kooperationen?

Sie ist prinzipiell nach wie vor der Vertragspartner von Brüssel. Die EG kann nicht mit allen Regionen und Departements direkt verhandeln. Bei „Intereg“ allerdings verhandelt Brüssel direkt mit interregionalen Vereinigungen, etwa mit den Versammlungen der europäischen Gemeinden und Regionen, damit es schon im Vorfeld eine Art Koordination gibt. Zwischen dem Elsaß und Baden-Württemberg klappt die Zusammenarbeit gut, weil dort eine entsprechende Tradition besteht. Bei anderen Kooperationen in Spanien oder Italien mußten wir die Erfahrung machen, daß Paris als strukturierendes und schlichtendes Element notwendig war. Als Vertretung des Realitätsprinzips, wenn Sie so wollen. Sonst wäre es wohl bei feierlichen Arbeitsessen der Regionalpräsidenten geblieben. Die Geographie spielt übrigens auch eine große Rolle: In der Ebene kooperiert es sich besser als in den Bergen.

Wieso gibt es so viele Widerstände dagegen, die französischen Regionen Schritt für Schritt den Bundesländern anzugleichen?

Natürlich müssen wir die Regionen aufwerten. Aber Sie haben in Deutschland eine föderale Tradition, wir nicht. In Frankreich hat der Staat die Rolle des einigenden Elements spielen müssen. Auch da spielt die Geographie mit hinein: Wir haben kein homogenes Staatsgebiet. Mitten in Frankreich liegt ein schwarzes Loch, das Zentralmassiv — eine sehr schöne, aber äußerst arme Region. Deutschland dagegen liegt mitten in Europa, ganze Teile Frankreichs liegen im Abseits. Eine zu starke Regionalisierung würde die räumliche Solidarität beeinträchtigen. Regionalisierung ist leider nur zu oft ein leicht zu durchschauendes Argument der Reichen. Interview: smo