Prioritäten durcheinandergeraten

■ Einfälle und Ausfälle einer Michiganer Friedensgruppe

Southfield, Michigan (taz) — Die Ausrichter von der Friedensbewegung „SANE/FREEZE“ in Michigan hatten sich große Mühe gegeben. Sie wollten eben nicht eine dieser Antikriegsveranstaltungen abhalten, in denen die fest Überzeugten nur den bereits Konvertierten von der Unseligkeit und Nutzlosigkeit dieses Golfkrieges predigen würden. Nein, an diesem Sonntag nachmittag sollten sich Kriegsgegner und Kriegsbefürworter in der Turnhalle des „Vereins Christlicher Junger Männer“ zu einer Übung in Dialogbereitschaft treffen: „Speak out at a Town Meeting“ forderte die Einladungsschrift — und rund 200 Bürger der Gemeinde am Nordrand von Detroit nahmen das Angebot zur Aussprache an.

Was folgte, war eine bunte Mischung aus lokalen Ansichten, Einfällen und Ausfällen, die Offenbarung schmerzlicher Gewissenskonflikte und die Zurschaustellung unverschämter Sicherheiten. Ein Ortsdichter schrie seine Opposition gegen diesen und andere Kriege in rhythmischen Jamben ins Publikum; ein schwarzer Sozialarbeiter erinnerte daran, daß sich in dieser Nacht in Detroit wahrscheinlich wieder mehr US-Bürger gegenseitig ermorden würden, als US-Soldaten am Golf den Tod fänden.

„Gewöhnlich bin ich ein Mann des Friedens“, setzte der Vertreter der jüdischen Gemeinde an, ein lebenslanger Gegner republikanischer Administrationen, ehe er dann ausgerechnet George Bush seine Unterstützung für Operation Wüstensturm zusicherte. Der Mann von der „Irakischen Demokratischen Union“ gab offen zu, daß ihm als US-Bürger oft seine „Prioritäten durcheinandergeraten“, wenn er sich im Fernsehen die Zerstörung seines Heimatlandes mitanschauen müsse. Ein altkluger Collegestudent ahmte schon gekonnt die Mediensprache nach, derzufolge „unsere Truppen am Golf einen Job zu erledigen haben“ — und allein deswegen schon Unterstützung verdienten.

Damit war das Stichwort gefallen, das in diesen Tagen in den USA alle politischen Diskursversuche scheitern läßt: die Einstellung zu „unseren Truppen“. Am Anfang dieser Dialogdynamik stand die Entscheidung eines großen Teils der Friedensbewegung, aus den Fehlern des Vietnamkriegs lernen zu wollen. Statt die kämpfenden Truppen für den Krieg mitverantwortlich zu machen — und sich damit der Anschuldigung eines mangelnden Patriotismus auszusetzen — betont man nun seine emotionale Loyalität gegenüber dem ausführenden Organ der Kriegspolitik: „Unterstützt unsere Truppen. Bringt sie heim!“

Doch was der Friedensbewegung als geschickter Schachzug erschien, bleibt für die Anhänger George Bushs ein unauflösbares Paradoxon. „Wir stehen hinter unseren Männern und Frauen am Golf, wirklich“, versuchte eine Friedensbewegte der anderen Seite verzweifelt klarzumachen. Doch für die Mitglieder der militärischen Unterstützergruppen ist diese Position unhaltbar. „Mit euren Protesten fallt ihr unseren Jungs in den Rücken, egal was ihr daherredet“, gab ihr ein jungkonservativer Studentenvertreter abweisend zurück. Da pflichtete ihm sogar die revolutionäre Meute von der Detroiter 'Arbeiterstimme‘ bei: die Trennung von Krieg und Kriegern sei einfach absurd.

Statt wie weiland über den Patriotismus wird so in diesen Tagen über das korrekte emotionale Verhältnis der Bürger zu ihren Truppen diskutiert — während am Golf auch der 50.000ste Bombenausflug politisch ungestört über die Kriegsbühne geht.

Der Streit über die Unterstützung der eigenen Truppen, über die Anzahl der gelben Rosetten an den Briefkästen der Nation, ist längst zum wichtigsten Kriegsschauplatz an der Heimatfront geworden. Die Frage, „in welcher Sache“ die eigenen Truppen denn Unterstützung verdienen, ist dagegen seit Kriegsausbruch in den Hintergrund getreten.

So vermochte auch das Town Meeting von Southfield, diese verspätete Übung in lokaler Demokratie, am Ende nicht mehr nachzuholen, was Medien, Administration und Kongreß in den fünfeinhalb Monaten vor Kriegsausbruch auf nationaler Ebene versäumt hatten. Die nur Anfang Januar ansatzweise geführte öffentliche Debatte über das Für und Wider einer amerikanischen Intervention in der Golfregion ist längst zu einer losen Abfolge emotionaler Ausbrüche verkommen. Rolf Paasch