Kahlschlag trotz Sozialpaktgesäusels

■ Der DGB kritisiert die ausschließliche Ausrichtung der Treuhandgesellschaft auf Privatisierung oder schnelle Stillegung als „beschäftigungspolitische Bankrotterklärung“

Ulf Fink, der stellvertretende Vorsitzende des DGB und Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse, ist verhalten optimistisch. Die Bonner Regierungskoalition und die Gewerkschaften, bemerkte er am Dienstag abend vor Journalisten, seien bei der Bewältigung der Aufgaben der deutschen Einheit ein Stück zusammengerückt. Der Bundeskanzler habe in seiner jüngsten Regierungserklärung einen Sozialpakt zwischen Regierung, Ländern und sozialen Parteien angeboten. Und auch der DGB habe sich zu einem solchen Dialog mit der Regierung bereit erklärt.

Was sich auf hoher Ebene so harmonisch anbahnt, findet sich in der Praxis kaum wieder. Horst Klaus, als Mitglied des geschäftsführenden IG- Metall-Vorstandes im Aufsichtsrat der Ostberliner Treuhandgesellschaft vertreten, stellte erst jüngst bei der Entscheidung über die Einstellung der „Wartburg“-Produktion wieder fest: „Mit dem Abstimmungssieg der rein betriebswirtschaftlichen Argumente sind die Arbeitsplatzinteressen in der Region Eisenach auf der Strecke geblieben.“ Von Dialog, Kompromiß oder sozialer Abfederung der Umstrukturierung war im Falle „Wartburg“ nichts zu spüren. Die Treuhandgesellschaft setzte rigoros das völlige Auslaufen der „Wartburg“-Produktion in Eisenach für Ende März durch.

Vorschläge der Gewerkschaften und des Landes Thüringen, die Restproduktion bei reduzierter Arbeitszeit im Einschichtbetrieb möglichst zu strecken, um bis zum Anlaufen der vorgesehenen „Opel“-Produktion im nächsten Jahr Zeit für Umschulung und Qualifizierung zu gewinnen, wurden rigoros abgebügelt. Klaus bewertete die Kahlschlagsanierung der bundeseigenen Treuhand als „regional- und beschäftigungspolitische Bankrotterklärung“. Trotz allen Sozialpaktgesäusels auf Bonner Kabinettsebene fühle sich die Treuhand offensichtlich nur für die schnelle Privatisierung oder schnelle Stillegung unrentabler Betriebe zuständig.

Der Vorsitzende der IG Metall, Franz Steinkühler, hat in einem Beitrag für das Düsseldorfer 'Handelsblatt‘ ebenfalls die rigorose Verkaufs- bzw. Stillegungspolitik der Treuhand kritisiert. Er gibt zwar zu, daß in vielen Fällen ganze Unternehmen oder auch Unternehmensteile in den neuen Bundesländern stillgelegt werden müssen. Aber nicht jeder Betrieb, für den sich im Westen kein Käufer findet, müsse eingestellt werden. Es gebe durchaus rentabel arbeitende Betriebe, die sich auch ohne Westkäufer selbständig erhalten könnten. Steinkühler plädiert dafür, solche sanierungsfähigen Betriebe in einer staatlichen Holding zu belassen. Auch in anderen westeuropäischen Ländern gebe es staatliche Holdinggesellschaften. Die Treuhand, die eine solche Lösung kürzlich in einem Rundschreiben ausgeschlossen hatte, beschuldigt er, sie räume „ideologischen Tendenzen zuviel Spielraum ein“.

Steinkühler bevorzugt die Sanierung von Gesamtbetrieben, anstatt die derzeitigen Betriebe zu zerstückeln und die besten Teile daraus an den Westen zu verkaufen. Gerade die nächsten Monate würden zum Engpaß für die Umsetzung von Sanierungskonzeptionen, der durch Krisenmanagement überbrückt werden müsse. Ob die Manager dazu in der Lage sind, bezweifelt der IGM-Vorsitzende. „Ich bin sicher, daß jeder gute Betriebsrat betriebliche Engpässe und Investitionserfordernisse besser kennt als manche Manager der oberen Etagen.“ Notwendig sei sowohl auf betrieblicher Ebene wie auch auf der Ebene der Treuhand eine Kooperation zwischen den beteiligten Gruppen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat auf Grund der verschärften Krise in den ostdeutschen Ländern am Mittwoch ein „wirtschafts- und sozialpolitisches Sofortprogramm“ in Höhe von 60 Milliarden Mark gegen den „wirtschaftlichen Infarkt“ gefordert. Mit diesem Geld sollen die marode Infrastruktur in den neuen Bundesländern saniert, Wohnungen gebaut und jährlich rund 700.000 Menschen umgeschult werden. DGB-Vorstandsmitglied Geuenich verwies auf die neuesten Arbeitslosenzahlen und äußerte die Befürchtung, die ehemalige DDR werde zum „wirtschaftlichen und sozialen Hinterland“ der Bundesrepublik. Er forderte ergänzend eine vorübergehende Bevorzugung ostdeutscher Firmen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Das Investitionsprogramm soll durch eine Arbeitsmarktabgabe und eine Ergänzungsabgabe für Besserverdienende finanziert werden. Wenn alle Erwerbstätigen, also auch Beamte und Selbständige, knapp ein Prozent ihrer Einkommen zahlten, sei die vorgeschlagene Summe leicht zu erreichen. Martin Kempe