Im Geiselprozeß lebenslänglich gefordert

Staatsanwaltschaft plädierte auf lebenslange Haftstrafen für die „Gladbecker Geiselgangster“ Rösner und Degowski/ 14 Monate für Marion Löblich/ Angeklagte voll schuldfähig  ■ Von Walter Jakobs

Essen (taz) — Lebenslang für Hans Jürgen Rösner und Dieter Degowski, 14 Jahre Haft für Marion Löblich — so lautet das Strafmaß, das die Staatsanwälte Hans Christian Gutjahr und Joachim Lichtinghagen am Mittwoch im Essener Prozeß gegen die sogenannten „Gladbecker Geiselganster“ forderten. Für Rösner wurde zusätzlich Sicherungsverwahrung beantragt.

Alle Angeklagten sind nach Auffassung der Staatsanwälte „voll schuldfähig“. Zwar könne nach den Gutachten der Sachverständigen nicht ausgeschlossen werden, daß im Verlauf des Verbrechens, das am 16.8.1988 in der Filiale der Deutschen Bank in Gladbeck seinen Anfang nahm, eine verminderte Schuldfähigkeit durch Alkohol- und Tablettenzunahme eingetreten sei, doch darauf komme es bei der Beurteilung der Tat nicht an.

Entscheidend sei, daß die Angeklagten „vollverantwortlich“ die Tat geplant und begonnen hätten.

Während die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, daß Dieter Degowski den 15jährigen italienischen Jungen Emanuele de Giorgi vorsätzlich ermordet hat, erbrachte die Beweisaufnahme in Bezug auf die Tötung der Geisel Silke Bischoff nach Meinung der Ankläger nicht den eindeutigen Beweis dafür, daß Rösner, aus dessen Revolver der tödliche Schuß zweifelsfrei abgegeben wurde, mit Vorsatz gehandelt hat. Es könne auch sein, daß sich der Schuß infolge der Verletzung von Rösner durch eine Polizeikugel beim Sturm des Fluchtautos auf der A3 unbeabsichtigt gelöst habe. Rösner müsse sich aber den Tod von Frau Bischoff als „Geiselnahme und räuberischeen Menschraub mit Todesfolge“ zurechnen lassen.

Mit dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft ging am 103. Verhandlungstag die wiederholte Ankündigung vom absehbaren Ende der Beweisaufnahme zur Erleichterung der Prozeßbesucher endlich in Erfüllung. Eineinhalb Jahre dauerte der Prozeß um das wohl spektakulärste Verbrechen der Nachkriegszeit, dessen Geschehen dem Fernsehpublikum zum Teil live in die Wohnzimmer serviert worden war.

Wohl kaum ein anderes Verbrechen ist schon im Vorfeld des eigentlichen Prozesses so genau dokumentiert, analysiert und beschrieben worden. Wesentlichen Anteil daran hatte der Untersuchungsausschuß des Düsseldorfer Landtags, der die zahlreichen Pannen der Polizei und das fragwürdige polizeiliche Fahndungskonzept offenbarte. Bei einer zurückhaltenderen Fahndung wären die Geiseln möglicherweise unbehelligt freigelassen worden, lautete ein Vorwurf an die Polizeiführung.

Die CDU führte die Eskalation des Verbrechens seinerzeit auf das genaue Gegenteil zurück. Die „weiche Linie“ von Innenminister Schnoor, so bellten die Christdemokraten damals in die politische Landschaft, habe dazu geführt, daß frühe Zugriffsmöglichkeiten — unter Einschluß des sogenannten „finalen Rettungsschusses“ — nicht genutzt worden seien.

Zu der politischen und polizeilichen Verantwortung am Ausgang des Verbrechens, die bei Prozeßbeginn insbesondere von Degowskis Anwalt Rolf Bossi thematisiert worden war, hat der Essener Prozeß kaum Neues gebracht.

Sicher ist nach der Beweisaufnahme auch, daß der von Degowski aus siebeneinhalb Zentimeter Nähe abgegebene Schuß auf den jungen Italieniener absolut tödlich war. Das Versagen der Einsatzleitung, die keinen Krankenwagen zum Tatort geschickt hatte, blieb insoweit ohne schwerwiegenden Folgen. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hat der Prozeß keinerlei Hinweise für ein rechtswidriges Verhalten der Polizei erbracht.