Atommüll in die Nordsee gekippt

Vor dem Hanauer Landgericht begann der Prozeß gegen leitende Mitarbeiter der Transnuklear Mit strahlendem Abfall Millionen gescheffelt/ Hintermänner des Nuklear-Skandals kauften sich frei  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Hanau (taz) — Vor dem Hanauer Landgericht begann gestern der Prozeß gegen leitende Mitarbeiter der inzwischen liquidierten Atomtransportfirma Transnuklear (TN). Wegen gemeinschaftlichlich und fortgesetzt begangener rechtswidriger Handlungen „in besonders schweren Fällen“ müssen sich der TN-Geschäftsführer Johann Peter Vygen, der Leiter der Abteilung „Radioaktive Abfälle“ Wilhelm Emil Brethag, der Fachmann für „Endlageraktivitäten“ Bernhard Christ und das TN- „Finanzgenie“ Hans Günther Knackstedt vor der fünften großen Strafkammer verantworten.

Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, fremdes Vermögen mißbraucht und teilweise in die eigenen Taschen gewirtschaftet, die Finanzbehörden um erhebliche Steueranteile betrogen zu haben. Wohl schwerwiegendster Vorwurf jedoch: Die Angeklagten sollen hochgefährliche radioaktive Abfälle entweder unsachgemäß oder überhaupt nicht entsorgt haben.

Staatsanwalt Geschwinde beschäftigte sich gestern vormittag ausschließlich mit der Praxis der illegalen Deponierung und Beseitigung der von der TN in den Jahren 1981 bis 1987 zur „Entsorgung“ angenommenen radioaktiven Abfälle aus diversen bundesdeutschen und europäischen Atomkraftwerken.

Obgleich den Verantwortlichen bei der TN klar war, daß ihr „Entsorgungspartner“ im belgischen Nuklearcenter Mol über keinerlei technische Einrichtungen zur Konditionierung, respektive zur Volumenreduzierung spezieller strahlender Abfälle aus den Atomkraftwerken verfügte, nahm TN fortlaufend Entsorgungsaufträge an. Die kontaminierten Abfälle wurden zwar von der TN nach Mol gebracht, doch danach entweder auf dem Betriebsgelände in Mol unsachgemäß deponiert oder — wie in einem besonders gravierenden Fall — einfach in die Nordsee gekippt.

Die AKW-Betreibergesellschaften zahlten Millionenbeträge für die „ordnungsgemäße“ Entsorgung ihrer permanent anfallenen Abfälle, obgleich für die TN und die mit den TN-Verantwortlichen unter einer Decke steckenden Manager des belgischen Nuklearcenters lediglich die Transportkosten abgedeckt werden mußten.

Um die AKW-Betreibergesellschaften, die einer Rücknahmepflicht für den von ihnen „produzierten“ radioaktiven Müll unterliegen, zu täuschen, ließ TN in Mol Container und Fässer mit Granulaten oder anderen Materialien füllen und transportierte sie zu den AKWs zurück. Vielfach wurden diese „Rückführungen“ mit radioaktiven Substanzen, etwa Cobalt 60, gestreckt, damit die Fässer und Container ohne Beanstandungen die Eingangskontrollen in den AKWs passieren konnten.

Betrogen wurden auf diese Weise AKW-Betreibergesellschaften quer durch die Republik und in der Schweiz. Die Hanauer Staatsanwaltschaft glaubt auch beweisen zu können, daß von der TN in einigen Fällen plutoniumhaltige Abfallchargen zur „Entsorgung“ angenommen wurden, deren Strahlungsintensität teilweise den erlaubten Grenzwert „um das 595fache“ überschritten habe. Damit diese dunklen Geschäfte der TN auch wie geschmiert laufen konnten, wurden Mitarbeiter von AKWs mit Schmiergeldern und Sachzuwendungen bedacht.

Vor allem der Angeklagte Knackstedt entwickelte laut Anklageschrift immer wieder neue Methoden, um die Schwarzkasse der Eingeweihten füllen zu können: Da wurden Scheinfirmen gegründet, Rechnungsformulare anderer Firmen gefälscht, Konten in der Schweiz und in Schweden angelegt, Geheimverträge mit Autohändlern und Ingenieurbüros abgeschlossen und Phantasiepreise für nie erfolgte Entsorgungsvorgänge festgesetzt.

Gut eine Stunde lang listete Staatsanwalt Popp akribisch die Finanztransaktionen des Quartetts auf, bei denen auch einiges auf den Privatkonten der Angeklagten hängenblieb.

Daß daß Gericht nach Absprache mit der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung im Vorfeld des Prozesses das angestrengte Verfahren gegen den Verbindungsmann der TN-Mafia zur TN-Mutter Nukem gegen Zahlung einer Geldbuße in Höhe von läppischen 50.000 DM niedergeschlagen hat, sorgte bei den Prozeßbeobachtern aus den Reihen der Hanauer Bürgerinitiative für einigen Unmut. Sie forderten auf einem Transparent die „Einstellung des Prozesses wg. Lächerlichkeit“, weil man die eigentlichen Hintermänner der Affaire aus den Chefetagen der Nukem, der Degussa und der RWE habe laufen lassen.