piwik no script img

Hongkongblues

■ »The Killer« im Eiszeit

Haufenweise Tote, Morden als Job und die Ästhetik des Kugelhagels: darf man so etwas überhaupt zeigen, jetzt, da Krieg ist und es die Friedensetikette verbietet, Lieder wie I shot the sheriff über den Rundfunkäther gehen zu lassen? Und da die Karnevalsführer, der ADAC- Vorstand oder die SFB/RIAS-Musikleiter zur Zeit den wohltemperierten Verhaltenskodex bestimmen? Aus Pietätsgründen mußte auf dem Filmsektor bislang nur Air America (fidele Bomberpiloten in Vietnam) dran glauben, der aus 50 Kinos zurückgezogen wurde — zu Recht, weil oberbescheuert. Vielleicht stellt sich tatsächlich Unbehagen ein, wenn man The Killer sieht und fasziniert das Töten auf der Leinwand verfolgt. Andererseits verpaßt man einen wirklich klasse Film.

The Killer — das muß klar gesagt werden — erzählt die Geschichte einer Männerfreundschaft — zwei Männer, vier Pistolen und Munition ohne Ende. Die Liebe zueinander steigt mit der Anzahl der Schußwechsel. Ein abgefrühstücktes Thema, mögen manche einwenden. Tatsächlich ist dieses Genre ziemlich auf den Hund gekommen. Nach abgestandenen Frotzelgespannen wie Bud Spencer/Terence Hill oder Nick Nolte/Eddie Murphie (Wieder 48 Stunden) ist man jetzt bei Mann und Tier angelangt (Mein Partner mit der kalten Schnauze und dergleichen mehr). Von diesen Summbeuteleien ist The Killer meilenweit entfernt. Die (natürlich latent homoerotische) Liebe zueinander kommt aus den Gewehrläufen, nicht von schlechten Witzen. Der eine ist ein Killer im Dienste der Unterwelt, der andere ein Killer im Dienste der Polizei. Beide sind die besten auf ihrer Seite. Zuerst arbeiten sie gegeneinander, dann prügeln sie sich und, schließlich schießen sie miteinander.

Ja, ja, zugegeben: das hat man schon tausendmal gesehen. Wie zum Beispiel auch die Geschichte vom scheiternden Ausstieg, in welcher der Berufskiller den Revolver an die Wand hängen will, aber von der Vergangenheit eingeholt wird und mit dem Leben bezahlen muß. Genauso gut kennt man auch die Geschichte vom eiskalten Todesengel, der wegen einer Frau weich wird und Fehler macht. Sicher, alles alter Stoff. Aber Regisseur John Woo schwelgt weder in Klischees noch klebt er an Genremustern bis zum letzten »Schau mir in die Augen, Kleines«. Er gibt ihnen gleich gar keine Chance, sich unangenehm bemerkbar zu machen. In einer Tour werden die Klischeeanwandlungen von den davoneilenden tödlichen Ereignissen über den Haufen gefahren. Keine Zeit für Sentimentalitäten. Und die Ereignisse eilen, wie sich das für einen Hongkong-Film der Extraklasse gehört, mit Lichtgeschwindigkeit davon. Was nicht heißt, daß ein kopfloses Ereignisgewimmel unübersichtlich und überhastet über die Leinwand rauscht. Schnurstracks verläuft der Weg zum definitiven Showdown (besser: Shoot-down) — ein folgerichtiger Abschluß. Eine Kugel gibt die andere. Das ist konsequent und ebenso unumkehrbar wie die deutsche Einheit. Alle Ausgänge geschlossen. Lebend kommt hier keiner raus. Als wär's ein Stück von Shakespeare: alle müssen sterben.

Das Töten ist keine einmalige, zweimalige oder fünfmalige Angelegenheit. Es wird permanent getötet. Die Kommunikationsebene ist ziemlich bleihaltig. Einmal weint der Killer oder führt ein ernstes Gespräch. Aber das sind nur Rückfälle in einer vergangene Zeit. Aber der Showdown ist unausweichlich und gehört zweifellos zu den zehn besten Kinoballerien der letzten 95 Jahre. Zwei gegen zweihundert. Was in Peking Opera Blues die Akrobatik der Körper, ist in The Killer die Akrobatik der Waffen. Und da wir gerade bei den filmgeschichtlichen Vergleichen sind: wenn Sam Peckinpah in seinen Western blutiges Todesballett inszeniert hat, dann macht John Woo Killer-Hiphop. Oder, um mit Leonard Cohen zu schließen: I'm guided by the beauty of our weapons. Volker Gunske

The Killer , Hongkong 1987, von John Woo mit Chow Yun-Fat, Sally Yeh, produziert von Tsui Hark (»Peking Opera Blues«). Ab heute im Eiszeit, 23.30 Uhr (OF).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen